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Problem der karolingischen Konzeption

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Die zweite Gefährdung der Westallianz liegt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu seinen atlantischen Hauptpartnern, USA, Frankreich, Großbritannien. So lange Adenauer die Zügel straff in der Hand hielt, war die Übereinstimmung mit dem Frankreich de Gaulles das Fundament jeder Bonner Außen- und Weltpolitik. Nun konnte aber der Staatsmann, der bis vor etwa zwei Jahren faktisch auf internationalem Gebiet alleiniger Sprecher und Lenker der deutschen Politik war, niemals so unbekümmert um Widerspruch von innen und um die Meinung seiner Alliierten wie de Gaulle in Frankreich entscheiden. Die durch einen Vertrag besiegelte Bindung der so viele Jahrhunderte alten Erbfeindschaft zu Frankreich wurde in Deutschland allgemein, auch von Adenauers innenpolitischen Gegnern als sein rühmenswertes Verdienst anerkannt. Nur war es allen Hellsichtigen klar, daß man weder an derlei Pakte noch an irgendwelche andere Verabredungen die Erwartung knüpfen durfte, die Bundesrepublik werde sich, vor eine unvermeidbare Wahl zwischen USA und Frankreich gestellt, für Paris und gegen Washington aussprechen. Während als tiefste Ursache französisch-amerikanischer

Spannungen die Auflehnung des von de Gaulle verkörperten Weltmachtbewußtseins, das Begehren nach Hegemonie in Europa und die „karolingische“ Konzeption eines einzigen West- und Mitteleuropa gelten muß, womit sehr gewichtige wirtschaftliche und kulturpolitische Probleme verknüpft sind, haben die seit Erhards Kanzlerschaft sichtbare Abkühlung des Verhältnisses zwischen Paris und Bonn, das eifrige deutsche Werben um die USA, dem Johnson freundlich, obzwar vorläufig noch mit wahlkluger Zurückhaltung begegnet, zum Urgrund, daß man in weiten und einflußreichen Sphären der Bundesrepublik mißtrauisch gegen ein nach-gaullisti-sches Frankreich ist, daß man ferner, in militärischer Hinsicht vor allem, wenn nicht ganz, auf die Vereinigten Staaten setzt.

Großbritannien betreibt in diesen Vorwahl-Monaten eine Weltpolitik, die sehr geschickt zwischen einer nicht unbedingt glänzenden Isolation und artigem Grüßen nach allen beachtlichen Seiten einherpendelt. Man ist unter Sir Douglas-Home um einiges näher an Frankreich gerückt, man bemüht sich sehr, den kommenden Urnengängen Rechnung tragend, mit Washington guten Kontakt zu wahren, und man

ist rtnrh lim pin nflflr rirnHp Hphnsamer gegenüber Bonn. Erhards zweitägiger Besuch in London scheint nicht nur den angekündigten Staatsbesuch der Königin in Bonn heimgebracht zu haben.

Damit rücken wir zum Kern der weltpolitischen Hauptfrage von heute vor. Sind ernste Anzeichen vorhanden, daß einer der großen Westalliierten auf Extratouren mit einem Partner der Ostallianz abzielt, und wie sieht es in dieser Hinsicht wie überhaupt mit Solidarität und Solidität des kommunistischen Bündnisses aus? Auch beim Urteil über diese Probleme soll man nicht in Extreme verfallen. Der sowjetisch-chinesische Zwist ist eine Tatsache, die weder auf — unleugbar existierende — ideologische Meinungsverschiedenheiten noch auf persönliche Rivalitäten zurückzuführen ist, sondern die ewigen, auch innerhalb einer nach monolithischer Einheit verlangenden hypothetischen kommunistischen Welt von morgen, historisch-politischen Gesetzen entspringt. Wenn innerhalb einer Allianz zwei Mächte gegenüber allen anderen das erdrückende Übergewicht haben, wenn davon die eine bisher den erst unbestrittenen, dann umstreitbaren Vorrang besitzt, die eine hoffen kann, den ersten Platz zu behaupten, die andere, ihn zu erringen, dann müssen sie in Zwietracht geraten, die nur damit enden kann, daß entweder die eine siegt oder daß beide einsehen, den Rivalen nicht überwinden zu können und also Gleichberechtigung, Versöhnung annehmen, mindestens diese mimen. Während der Zeit jedoch, da der Ausgang eines derartigen Kampfes um die Hegemonie nicht feststeht, wird sich ebenfalls nach uralter historischer Erfahrung jeder der Konkurrenten um Anknüpfungen mit starken Gegnern oder Neutralen außerhalb der eigenen Allianz bemühen; um auf den Rivalen im eigenen Lager Eindruck zu machen und, in ärgster Hypothese, eine umstürzende Umgruppierung der Bündnisse vorzubereiten. Von dieser letztgenannten Eventualität kann im jetzigen Moment, und vermutlich auf lange Jahre hinaus, beim kommunistischen Block keine Rede sein. Es dreht sich da nur, um bei einem oft angewandten Gleichnis zu bleiben, um Extratouren, mit denen die im Grund zu weiterer Gemeinschaft entschlossenen Ehegatten einander zeigen möchten, daß sie auch anderen, Fremden, ja Feindseligen gefallen können und sogar mit ihnen anknüpfen könnten.

Es ist sicher, daß die wieder aufgefrischte Koexistenzpolitik Chruschtschows gegenüber den USA, unter Kennedy begonnen und unter Johnson zwar zumindest angehalten, doch nicht im leisesten zum alten Eisen geworfen, wesentlich als Druckmittel gegenüber dem seit 1960 immer störrischer werdenden China eingeleitet worden ist. Es ist nicht minder deutlich, daß man in Washington auf dieses Spiel einging, um in London, Bonn und Paris je nachdem die vom Weißen Haus gewünschten Wirkungen auszulösen. In London rennt man nach dem doppelten Führungswechsel, dem tragischen in den USA und dem tragikomischen in Großbritannien, damit offene Türen ein. Auch dort möchte man es mit kontrollierter Koexistenz versuchen. In der deutschen Bundesrepublik dagegen ist zwar der Erfolg des amerikanischen Spiels mit dem zu erlöschenden Feuer nicht der gewesen, den man sich unter Kennedy vorgestellt hatte, daß nämlich auch Bonn bei den Koexistenzbemühungen mitmache, doch hat er sich in anderer Weise eingestellt: Deutschland hat sich, wie der Besuch Erhards auf Johnsons Ranch bewies, aufs engste an die USA angeschlossen, im Zeichen eines behutsamen amerikanischen Bremsens der Annäherung an die UdSSR. Wobei freilich für Washington, dem um soviel stärkeren Partner, die Möglichkeit offenbleibt, sobald es Präsident und Staatssekretär für nützlich erachten, das Koexistenzthema wieder energischer anzupacken.

In seiner behutsamen Art vermeidet es Erhard, in Übereinstimmung mit seinem Außenminister Schröder, die neue amerikanische Staatsführung durch Gesten zu verärgern, die darauf hinwiesen, man habe auch in Bonn, bei einer neuerlichen Intensivierung der Gespräche mit dem Kreml, allerhand Gegenzüge im Auge.

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