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In die EG um jeden Preis?

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EG-Beitritt und Umweltschutz sind in Tirol zwei der beherrschenden Themen für die Landtagswahlen am 12. März 1989. Mit den „Sonderwünschen“ des Landes für Verhandlungen mit Brüssel und den Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die Natur befaßt sich dieses Dossier.

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EG-Beitritt und Umweltschutz sind in Tirol zwei der beherrschenden Themen für die Landtagswahlen am 12. März 1989. Mit den „Sonderwünschen“ des Landes für Verhandlungen mit Brüssel und den Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die Natur befaßt sich dieses Dossier.

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FURCHE: Herr Landeshauptmann, Tirol ist wirtschaftlich am intensivsten mit der EG verflochten. Gibt es von Ihrer Seite daher ein uneingeschränktes ,Ja“ zu einem Beitritt?

ALOIS PARTL: Die Bundesrepublik Deutschland und Italien sind unsere wichtigsten Wirtschaftspartner. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird im Jahr 2000 jeder zweite Arbeitsplatz unseres Landes aufgrund der Zusammenarbeit mit dem Ausland, insbesondere mit der EG, bestehen.

Ich sage „Ja“ zu einem Beitritt, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Natürlich wissen wir auch, daß die Integration keine Einbahnstraße sein kann. Was wir wollen, ist aber ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten, von Lasten und Vorteilen. Es wird ja niemand gemeint haben — auch nicht Vizekanzler Alois Mock —, daß wir einfach in Brüssel einen Antrag stellen und dann halt alles akzeptieren, was man uns dort zu bieten hat. Natürlich wollen wir Tiroler ein enges Verhältnis mit der EG, wenn möglich den Vollbeitritt. Aber wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir das nur unter bestimmten Voraussetzungen können und wollen.

FURCHE: Welche Bedingungen stellt Tirol?

PARTL: Es muß die Frage des Transitverkehrs in einer der Bevölkerung und der Natur zumutbaren Form gelöst werden. Wir haben heute schon einen Gütertransit über den Brenner von 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Diese Zahl steigt jährlich um sechs bis acht Prozent. Laut Prognosen werden wir im Jahr 2000 rund 30 Millionen Tonnen haben. Laut Untersuchungen der EG liegt der gesamte alpenüberquerende Güterverkehr jetzt bei 60 Millionen Tonnen und wird um 2010 bereits 120 Millionen Tonnen ausmachen. Da kann die jetzige Verkehrsstruktur nicht ausreichen. Vor allem kann dieser Verkehr nicht nur auf der Straße abgewickelt werden. Daher muß eine neue transalpine Bahn gebaut werden, um den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Demnächst beginnt der Bau der Umfahrung von Hall und Innsbruck, und bei der Planung des Brenner- Basis-Tunnels ist man auch schon vorwärtsgekommen. Tirol und Südtirol sind sich über dieses Projekt einig, nur Rom macht aus politischen Gründen noch Schwierigkeiten.

Demnächst bin ich auch wieder beim bayerischen Ministerpräsidenten, um unsere Situation darzustellen. Auch dem zuständigen EG-Kommissär in Brüssel werden wir klarmachen, daß die Freiheit in der Wahl des Verkehrsmittels dort eine Grenze hat, wo es weder der Bevölkerung noch der Umwelt zumutbar ist.

FURCHE: Die .^Süddeutsche Zeitung“ hat kürzlich gemeint, Brüssel benimmt sich Österreich gegenüber in Sachen Transit wie eine Kolonialmacht. Fühlen Sie sich dementsprechend?

PARTL: Die EG braucht uns und wir brauchen die EG. Wir müssen hart verhandeln, um uns durchzusetzen. Das stimmt. Anders geht es nicht.

FURCHE: Was macht Sie so zuversichtlich, in Brüssel nicht wieder auf taube Ohren zu stoßen?

PARTL: Zuversichtlich macht mich vor allem die Einsicht der Bayern, daß wir eine neue Bahn brauchen. Ein großer Teil des Verkehrs durch Tirol geht von Norden her auch durch Bayern. Da ist die Sitation ähnlich wie bei uns. Nur ist das Land offener, und daher sind die Auswirkungen nicht ganz so kraß und massiv. Weiter entfernte EG-Länder haben natürlich für unser Transitproblem weniger Verständnis. Wir müssen wirklich hart bleiben und den Transitverkehr klären, bevor die wirklichen Verhandlungen über einen Beitritt oder ein sonstiges Arrangement zwischen Österreich und der EG beginnen. Das wird ohnehin erst in den neunziger Jahren sein. Bis dahin müssen die Verkehrsregelungen aber klar sein.

FURCHE: Der Rechnungshof hat massiv Kritik daran geübt, daß Millionen in die Werbung für die Brennerauto bahn fließen. Das steht doch in krassem Gegensatz zu Ihren Bemühungen um Verständnis…

PARTL: Wir brauchen für die Brennerautobahn nicht zu werben. Schon gar nicht beim Güterverkehr. Das wurde in der Zwischenzeit auch abgestellt.

FURCHE: Wenn sich keine Lösung des Transitproblems abzeichnet, sind Sie dann gegen einen Beitritt?

PARTL: Wir können nicht unser Land als Kaufpreis für einen EG-Beitritt bereitstellen. Nein. Ich glaube, wir müßten dann bereit sein, wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, indem wir eben draußen bleiben. Es muß ja nicht die Vollmitgliedschaft sein.

FURCHE: Welche Punkte stehen noch jenseits des Abkaufbaren?

PARTL: Es gibt großes Interesse von Ausländern an einem

Grund-, Wohnungs- und Hauserwerb in Tirol. Wir haben aber nur begrenzt siedlungsfähigen Raum. Die Siedlungsvorschriften sind für Inländer schon streng und für Ausländer ganz besonders. Heute ist ein Prozent des besiedlungsfähigen Landes in ausländischem Eigentum, 99 Prozent befinden sich in inländischer Hand. Von den Wohnungen stehen zwei Prozent in ausländischem Eigentum. Darüber bin ich froh. Auch wenn wir in der EG sind, wird es keinen „Ausverkauf“ Tirols geben. Das ist auch insofern kein Problem, als wir unsere Souveränität im Bodenrecht ohnehin nicht aufgeben müssen.

Was aber die Landwirtschaft betrifft, herrscht in der EG selbst noch Uneinigkeit. Wir wollen jedenfalls die Beibehaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft. Einerseits wegen der Krisensicherheit, andererseits wegen der Landschaftspflege und der Versorgung der Bevölkerung. Hier werden wir für uns akzeptable Lösungen finden müssen. Solche] Lösungen wie beispielsweise für* Südtirol.

FURCHE: In den anderen Bereichen ist Tirols Wirtschaft gerüstet?

PARTL: An und für sich sind wir mit unserer Wirtschaft durchaus wettbewerbsfähig. Wir haben bereits viele Industriebetriebe, die Hochtechnologie anwenden und erzeugen. Weiters wollen wir durch intensivere Zusammenarbeit mit den Universitäten den neuesten Stand der Entwicklung haben. Wir verhandeln auch mit dem Wissenschaftsminister über die Errichtung neuer Lehrkanzeln für die Bereiche Gentechnik, Molekularbiologie und Mikroelektronik in Innsbruck.

FURCHE: Die westlichen Bundesländer blicken verstärkt nach Westeuropa. Besteht die Gefahr, daß die Interessen zwischen Ost- und Westösterreich noch stärker auseinanderdriften ?

PARTL: Ich habe den Eindruck, daß die Wirtschaft in Ostösterreich stark an Dynamik gewonnen hat. Man ist endlich darangegangen, die Verstaatlichte zu sanieren. Auch die Weltausstellung in Wien wird einen kräftigen Impuls bringen. Es ist sicher auch in unserem Interesse, daß sich die Wirtschaft dort gut entwickelt. Wir in Tirol haben eine sehr fleißige Bevölkerung, die weitaus niedrigsten Krankenstände in ganz Österreich und wir sind historisch mit keiner Sozialhypothek belastet. Dementsprechend hoch ist die Zuwanderung aus Ostösterreich. Die muß aber auch ihre Grenzen haben. Deshalb sind wir an einer ausgewogeneren Wirtschaftsentwicklung interessiert.

FURCHE:Die gesamte EG-Dis- kussion wird in Wien geführt. Was tun Sie gegen die Kopflastigkeit? Wie sollen Sie Landesinteressen durchbringen?

PARTL: Die Landeshauptleute haben bereits beschlossen, daß nicht nur Wien allein mit Brüssel verhandelt. Wir wollen mit der Bundesregierung einen Staatsvertrag nach unserer Verfassung Artikel 15 a abschließen. Das bedeutet, daß die Länder in der Verhandlungsdelegation vertreten beziehungsweise gleichberechtigte Partner sind. Die Tiroler wollen unbedingt dabeisein bei der Regelung des zukünftigen Verkehrs, aber natürlich auch bei den anderen Binnenmarkt-Bereichen.

FURCHE: Sind Sie selbst interessiert an einer führenden Rolle bei der Durchsetzung von Länderinteressen? Vorarlbergs Landeshauptmann Purtscher ist als bundesweiter EG-Sprecher Wien gegenüber wohl eher „befan- gen .,

PARTL: Purtscher ist zwar von den Landeshauptleuten und von der Volkspartei zum Sprecher gewählt worden. Er wird aber auch Vorarlberger Interessen entsprechend vertreten. Für jedes Bundesland stellen sich andere Probleme. Die müssen wir vorerst gemeinsam diskutieren.

Mit Landeshauptmann Alois Parti sprach Elfi Thiemer.

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