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AM RANDE DES GOLDENEN MITTELFELDES

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„Im Kreis der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft wäre Österreich eine Wirtschaftsmacht mittlerer Größe und würde zu den stabilsten und wirtschaftlich stärksten zählen... Aus wirtschaftlicher Sicht ist der österreichische Beitrittsantrag einmalig, da es bisher noch keinen Beitrittsbewerber gegeben hat, der aufgrund zahlreicher Abkommen auf eine vollständige Liberalisierung seines Handels mit der Gemeinschaft im Bereich der gewerblichen Waren hätte hinweisen können..."

Die Stellungnahme der EG zum österreichischen EG-Beitritt hätte nicht eindeutiger ausfallen können. Bei allen wirtschaftlichen Kennzahlen übertrifft Österreich bei weitem den EG-Durchschnitt: Das Pro-Kopf-BIP liegt 13 Prozent über dem Gemeinschaftsdurchschnitt, Inflationsrate, staatliches Defizit und Arbeitslosenrate liegen unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt.

Im Bereich des Handels ist die Integration Österreichs in die EG längst vollzogen: 65 Prozent aller österreichischen Exporte gehen in die EG, 68 Prozent aller Einfuhren kommen aus diesem Raum. Damit hat der Warenaustausch eine Größenordnung erreicht, die den innergemeinschaftlichen Handel der meisten Mitgliedstaaten bei weitem übersteigt. Ein Abbau der derzeit noch vorhandenen Handelshemmnisse mit der EG würde daher zu einem weiteren wirtschaftlichen Aufschwung in Österreich führen.

Sämtliche Wohlstandsgewinne, laut Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstitutes eine Steigerung des BIP um 3,6 Prozent, eine Erhöhung der Beschäftigung um 1,9 Prozent und eine Senkung des Preisniveaus um 5,1 Prozent, können jedoch erst nach einem Beitritt lukriert werden. Denn erst dann fallen wirklich die Grenzkontrollen und mit ihnen die aufwendigen Zollformalitäten mit den EG-Staaten.

Oberösterreich würde als eine der exportorientiertesten Regionen Österreichs ganz besonders von der Integration in der EG profitieren. Mehr als die Hälfte der oberösterreichischen Industrieproduktion wird exportiert, das war 1991 ein Viertel der gesamtösterreichischen Exporte. 68 Prozent der Exporte gehen schon heute in die EG. Jeder dritte Arbeitsplatz ist in Oberösterreich vom Export abhängig. Die Arbeitslosenquote liegt inOberöster-reich mit 4,9 Prozent weit unter dem EG-Durchschnitt.

Oberösterreichs Industrie- und Gewerbebetriebe sind im Bereich von Forschung und Entwicklung sehr aktiv. Rund 23 Prozent der betrieblichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung Österreichs stammen aus Oberösterreich.

Der EG-Beitritt wird jedoch nicht für alle österreichischen Wirtschaftszweige Erleichterungen bringen: Die bisher durch unterschiedliche Normen und Standards vom grenzübergreifenden Wettbewerb abgeschotteten Wirtschaftsbereiche werden sich intensiv vorbereiten müssen, wollen sie nicht zu den Benachteiligten eines Beitritts gehören. Dazu zählen die Mühlen und Molkereien, die Nah-rungs- und Genußmittelindustrie, Teile der Grundstoffindustrie, der che-mischen und der Elektroindustrie sowie der Textilindustrie. Eines sollte dabei jedoch nicht vergessen werden: Die zu erwartende Konkurrenz mit Billigprodukten aus den ehemaligen Ostblockstaaten wird die EG-Konkurrenz bei weitem in den Schatten stellen. Nachdem Oberösterreich ein sehr stark industrieorientiertes Bundesland ist, wird es in den eher schwachen Sektoren zu einigen Anstrengungen kommen müssen.

Das LandOberösterreich kann dabei durch Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen den Unternehmen die Zukunftsorientierung erleichtern: Die Errichtung von Fachhochschulen, die Gödel-School als Computeruniversität, die Technologie-und Marketinggesellschaft oder der Softwarepark Hagenberg sollen den Standort Oberösterreich von einem der im oberen Mittelfeld liegenden zu einem der führenden Europas machen.

Verschiedenes spricht dafür, daß die Lagevorteile Oberö-sterreichs künftig noch an Gewicht gewinnen werden: Einerseits profitiert Oberösterreich von seiner Nähe zu den dynamischsten EG-Regionen, die ihre Ausstrahlung nach einem Beitritt intensivieren werden, andrerseits werden die Veränderungen im Osten Europas die Auswirkungen der EG bei weitem noch übertreffen. Die dritte für Oberösterreich insbesonders wichtige Komponente ist die Zunahme der Verflechtung zwischen West- und O steu-ropa, die auf allen Ebenen des Güter, Personen- und Nachrichtenverkehrs schon stattfindet. Dafür bieten sich die Benützung und der Ausbau der klassischen Verkehrslinien im Donauraum besonders an, und die an diesen Linien liegenden Wirtschaftsräume werden dadurch eine Aufwertung erfahren. Ein wichtiger Schritt in die Einbettung in diese Verkehrswege ist durch die Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals bereits geschehen.

Derzeit werden jedoch die Handelsströme zwischen Ost und West durch die die EFTA-Staaten ausschließenden Assoziierungsabkommen der EG mit Ungarn, Polen und der CSFR erheblich gestört. Hier könnte wahrscheinlich nur ein Beitritt die drohende Ausgrenzung Österreichs aus dem EG-Osthandel verhindern.

Nach Erkenntnissen der Regionalforschung wird die stärkste Dynamik im europäischen Raum von jenen Regionen ausgehen, die weder den Problemregionen noch den zur Zeit entwicklungsstärksten Regionen der EG angehören, sondern die sich gleichsam im goldenen Mittelfeld befinden. Die derzeit entwicklungsstärksten Regionen sind in Europa auf einen Raum konzentriert, der auf der Landkarte einer Banane gleich,die sich vom Großverdichtungsraum London über Holland, das Rhein-Main-Gebiet und die Schweiz bis nach Norditalien erstreckt. Diese derzeit reichsten Regionen werden zunehmend an die Grenzen des Wachstums stoßen und die Regionen am Rande der „Banane", wozu auch Oberösterreich gehört, könnten dabei die großen Gewinner sein.

Mag ein EG-Beitritt auch von manchen Problemen oder Risiken begleitet sein, aus wirtschaftlicher Hinsicht ist die Antwort für Österreich und damit auch für Oberösterreich ein klares Ja zur Einbindung in Europa.

Der Autor ist Landeshauptmann von Oberösterreich.

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