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VERMINDERUNG DER DIREKTEN DEMOKRATIE

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FURCHE: Ist der Europäische Wirtschaftsraum die erste Etappe für die Schweiz auf dem Weg zur EG hin, die eine Anpassung auf wirtschaftlichem Gebiet bewirkt'.'

RENE SCHWOK: Ja. Durch den EWR werden sich die Schweiz und Österreich in 1.400 Richtlinien an die EG anpassen, das stellt eine 80pro-zentige Angleichung dar. Für diese beiden Länder bringt das eine Ausweitung auf den EG Binnenmarkt hin.

Ich bin sicher, daß der Bundesrat das EWR-Abkommen paraphiert, aber man weiß nicht, wie das Volk reagieren wird. Bestimmt wird eine Abstimmung mit einer Doppelmehrheit stattfinden, das heißt: man braucht sowohl die Zustimmung von 50 Prozent der gesamten Bevölkerung, als auch eine Mehfheit der Bevölkerung in mindestens dreizehn Kantonen. Einige kleine, konservative Kantone, die schon mit dem Wahlrecht für Frauen Schwierigkeiten hatten, werden auch diese Veränderungen scheuen. Also könnten zehn Prozent der Bevölkerung solcher Kantone die ganzen EWR-Vereinbarungen blok-kieren. Um sicher zu gehen, daß der EWR-Vertrag angenommen wird, brauchte man daher eine Mehrheit von 60 Prozent der Bevölkerung.

FURCHE: Könnte die Schweiz mit einem EWR-Vertrag weiterlebenjalls es doch nicht zu einem EG-Beitritt käme?

SCHWOK: Es wäre denkbar, daß der EWR zur provisorischen Lösung wird, die 20 Jahre dauert. Zum Beispiel wäre bei einem Referendum eine Koalition zwischen der Landwirtschaft, den Banken und Befürwortern der Neutralität denkbar, die sich mit dem EWR-Übereinkommen begnügen - und sich gegen einen Beitritt zur EG aussprechen würden.

FURCHE: Welche Auswirkungen hätte ein EG-Beitritt auf die direkte Demokratie der Schweiz?

SCHWOK: EWR und EG-Beitritt hätten für die Demokratie ähnliche Auswirkungen. Das heißt: man wird über Vereinbarungen mit anderen EG-Ländern nicht mehr abstimmen können. Aus einem Bericht des Bundesrates geht hervor, daß die Schweiz die direkte Demokratie zwar nicht aufgeben, aber vermindern müßte. Deswegen bestehen auch Vorbehalte gegen eine Annäherung an die Europäische Gemeinschaft.

Ein Bereich ist die Mehrwertsteuer, deren Einführung bei der Abstimmung am 2. Juni vom Volk ja abgelehnt wurde. Als Mitglied der EG wird es für das schweizerische Volk unmöglich, diesen Standpunkt weiterhin beizubehalten. Die einzige Lösung wäre eine Verminderung der direkten Demokratie. Jedoch wird es dem Volk nicht leicht fallen, seine Rechte zu vermindern.

FURCHE: Und wie sehen die Auswirkungen des EWR für den Föderalismus aus?

SCHWOK: Ich denke, daßes weniger Probleme mit dem Föderalismus geben wird. Die Verhandlungen der EG überschneiden sich meistens nicht mit kantonalen Fragen. Schwierigkeiten könnte es vielleicht bei der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen geben - die existiert nämlich noch nicht für alle Berufsbereiche zwischen den Kantonen. Das heißt, die Schweiz muß diese kantonalen Verhandlungen beschleunigen - und dies wird ihr sehr gut tun.

Bisher war es nämlich für einen Unternehmer aus dem Waadtland unmöglich, in Genf einen Vertrag abzuschließen. Hier wird sich der

Einfluß der EG sehr positiv auswirken. Im Grunde sind die Schweizer über diesen Druck aus der EG froh, denn er kann beim Abbau des einengenden Föderalismus helfen. Man hofft, daß ein frischer Wind in den Kantönligeist wehen wird.

FURCHE: Wird die Schweiz ihren Status der Neutralität beibehalten können?

SCHWOK: Dieses Problem ist für die Schweiz größer als für Österreich und für Schweden. Ein Mitglied der EG muß sich ja an Sanktionen beteiligen - wie es gegen Argentinien im Falklandkrieg der Fall war. Es besteht ja jetzt dieser Zusammen-hangzwischen EG-Außenpolitik und der Sicherheitspolitik. Österreich hat die Sicherheitspolitik der EG angenommen, nicht aber deren Verteidigungspolitik. Das heißt auch: man spricht mit einer Stimme im KSZE-Prozeß. Im Grunde ist die Position der schweizerischen Regierung gar nicht so weit von der österreichischen Neutralität entfernt, obwohl man sagen muß, daß sich die österreichische Definition der Neutralität seit einem Jahr verändert hat.

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten stellt sich eine moderne Form der Neutralität vor. die jedoch beim Volk nicht ankommt. Denn für das Volk hat die Neutralität einen anderen Stellenwert. Den Versuch der Landes-Regierung, UNO-Sanktionen zu übernehmen, hat das Volk ebenfalls abgelehnt.

FURCHE: Betreffen diese Punkte nicht eine völlige Veränderung der Schweizer Identität?

SCHWOK: Ja. ich denke, da haben Sie recht. Viele Leute hier - besonders in der deutschen Schweiz -fürchten um die Zukunft der schweizerischen Identität. Diese Identität ist stark mit den politischen Strukturen verbunden: also mit der direkten Demokratie, dem Föderalismus und der Neutralität. Daher gibt es von Gegnern des EWR-Vertrages und des EG-Beitritts sovie-le Widerstände gegen Veränderungen.

FURCHE: Für diese Denkart wäre ein Alleingang der Schweiz die Alternative. Wäre er überhaupt möglich?

SCHWOK: Die Regierung lehnt einen Alleingang völlig ab. Sie ist der Meinung, er hätte katastrophale Folgen für die Schweiz. Ich teile diese Ansicht. So denken im übrigen Experten. Professoren, Verwaltungsbeamte, die die Akten ut kennen. Jedoch scheint es für viele Schweizer -besonders in der deutschen Schweiz -den Traum, die Hoffnung und den Mythos eines Alleinganges zu geben. Und das ist ein Dilemma für die Schweiz.

Besonders in der Kartellindustrie gibt es Leute, die von einem Alleingang mit gleichzeitigen bilateralen Vereinbarungen mit der EG sprechen. Man denkt an weitere Vereinbarungen. Zur Zeit gibt es schon an die 160 - und man hofft, diese noch mehr ausweiten zu können. Aber nur irp Interesse der Schweiz, versteht sich. Diese Ansicht will zwarniemand laut äußern, aber unterschwellig ist sie vorhanden. Ich denke dabei auch an die Vereinigung der Industriellen der Schweiz, die bei der Ablehnung der Mehrwertsteuer eine große Rolle gespielt haben.

Bisher unterstützt zwar die offizielle Politik fast aller Parteien und Dachorganisationen den Bundesrat, aber zwischen den Zeilen kann man doch eine ablehnende Haltung herauslesen. Andererseits sind die EWR-Vcrhand-lungen äußerst kompliziert und es ist für die Leute auf der Straße nicht einfach, ihre gesamte Problematik zu begreifen.

FURCHE: Was für ein Gegengewicht werden die EFTA-Länder gegenüber der Entscheidungsautonomie der EG haben'.'

SCHWOK: Es gibt die Möglichkeit der Schutzklauseln, die aber keine Mitbestimmung im eigentlichen Sinn sind. Auch in der EG existieren solche Schutzklauseln für einzelne Mitglieder. Schon 1958 war dies ein sehr wichtigerVerhandlungspunktbeiden Römerverträgen, aber in der Praxis sind sie fast nie angewendet worden. Mir scheint, daß die Bedeutung dieser Klauseln mehr in einer psychologischen Wirkung auf die Bevölkerung liegt.

FURCHE: Bei Fragen des Rechts muß die EFTA mit einer Stimme beschließen. Hat das Veränderungen der EFTA -Strukturen zur Folge?

SCHWOK: Die EG will eine Veränderung der EFTA-Struktur. Jedoch hat die Schweiz weder Interesse an einer solchen Umgestaltung noch den Wunsch, gemeinsam mit einer Stimme mit den anderen EFTA-Ländern zu sprechen. Schweden und Österreich, die ja schon gewissermaßen einen Fuß in der EG haben.sind wahrscheinlich für die zwei, drei Jahre auch nicht erpicht, den EFTA-Auf-bau umzuwandeln. Mit Rene Schwok. Forschungsbeaultragteram Center for European Studies der Harvard Uni-versity. Autor des Buches „Ausblick 1992 - Die Schweiz und der Europäische Wirtschaftsraum” (Benteli Verlag. Bern 1990. 216 Seiten. öS 249.60). sprach Felizitas von Schönborn.

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