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Vom Eidgenossen zum Eigenbrötler verurteilt

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Vor einem Jahr stimmten die Schweizer gegen die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Welche Erfahrungen hat das Land bis jetzt mit Brüssel gemacht?

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Vor einem Jahr stimmten die Schweizer gegen die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Welche Erfahrungen hat das Land bis jetzt mit Brüssel gemacht?

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Obwohl der EWR-Vertrag mit zwölfmonatiger Verspätung erst am 1. Jänner 1994 in Kraft tritt, können die bisherigen Erfahrungen der Eidgenossenschaft mit Brüssel einen Hinweis geben, was ein zentraleuropäischer Staat zu erwarten hat, der am gemeinschaftlichen Integrationsprozeß nicht teil-' nehmen will.

' Die Schweiz ist seither bemüht, die Nachteile der getroffenen Entscheidung durch bilaterale Vereinbarungen in Grenzen zu halten. Bern ist sich dabei im klaren, daß die Europäische Union auf diesem Wege wesentlich geringere Konzessionen machen wird als andere EFTA-Staa-ten im EWR-Vertrag erreichen konnten. In einem Referat an die Europagruppe des Zürcher Kantons -rats erklärte Staatssekretär Franz Blankart in diesen Tagen, daß „die Schweiz weniger erhalten und mehr dafür bezahlen werde”.

Kommission und Bat der Gemeinschaft sind zweifellos entschlossen, ihre Verhandlungsstärke durch sogenannte „Kreuzkonzessionen” voll auszuspielen: Anliegen, die nichts miteinander zu tun haben, werden junktimiert. So wird der Berner Wunsch nach einem freien Marktzugang im Straßengüterverkehr und in der Luftfahrt mit der

Forderung nach Öffnung des schweizerischen Arbeitsmarktes und einem verbesserten Marktzugang für Agrarprodukte verbunden. Hier werden von der Europäischen Union gerade jene Bereiche in den Vordergrund gestellt, die ganz wesentlich zur Ablehnung des EWR-Vertrages beigetragen haben. Auf der anderen Seite bleibt Brüssel in der so wichtigen Frage der Ursprungsregelung unverbindlich: Der EWR, der sechs Freihandelszonen durch eine gjöße Freihandelszone ersetzt, wird den Warenverkehr mit der Schweiz erheblich erschweren. Denn jeder Verarbeitungsvorgang, den ein EFTA-Land in die Schweiz verlegt, kann zum Verlust des EWR-Ur-sprungs führen und umgekehrt.

Auch hinsichtlich der institutionellen Fragen ist die Schweiz im Nachteil: Es entspricht der grundlegenden Politik der EG, den freien Rinnenmarkt durch gemeinsame Wettbewerbsregeln zu sichern, die von supranationalen Organen (der EG-Kommission und in Streitfällen vom Europäischen Gerichtshof) überwacht werden. Nach diesem Integrationskonzept wird der Gemeinsame Markt an die Rechtseinheit gebunden. Während nun die EFTA-Partner im EWR-Vertrag gewisse Mitspra-chemögfechkeiten haben, fehlen im bilateralen Verhältnis solche Kompetenzen. Die Schweiz ist Drittland, nicht Binnenmarktpartei.

Ein weiterer, bisher wenig beachteter Aspekt ist die integrations- und europapolitische Dimension des EWR im Bereich der inneren Sicherheit. Schweizer Experten sind der Auffassung, daß die EWR-Staa-ten Beobachterstatus beim Schengen-Übereinkommen und bessere Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten werden. Eine Annahme, die die zuständigen österreichischen Stellen derzeit nicht bestätigen können. Jedenfalls behauptet der Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, Markus H. F. Möhler, Basel, daß die Schweiz in Fragen der inneren Sicherheit „nicht mehr als urdemokratischer Sonderfall, sondern eher als eigenbrötlerisch mit einem ausgeprägten Hang zum Profitieren verstanden” werde.

Es wird für die Schweiz auch schwierig sein, aus der Brüsseler Forschungs- und Technologieförderung Nutzen zu ziehen. Das von 1994 bis 1998 laufende Vierte Forschungspolitische Rahmenprogramm der EU wird nur den Staaten des EWR zur Verfügung stehen. Die Gratwanderung der Schweizer Europapolitik wird in den Worten des von Brüssel nach Wien versetzten Botschafters Benedikt von Tscharner erkennbar, der über die Europäische Union sagt, „daß es keine andere Organisation in Europa gibt, die über geeignete Instrumente verfügt, um die großen Fragen des alten Kontinents anzupacken. Euro-

Sia ist dazu verurteilt, sich um die dee und Struktur der Europäischen Gemeinschaft zu sammeln”.

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