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Bauernopfer für Brüssel

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Die EG-Kommission hat in ihrer Stellungnahme zum Beitrittsantrag Österreichs Wirtschaft insgesamt sehr positiv beurteilt. Die Mitgliedschaft wäre ihrer Ansicht nach für die Gemeinschaft global ein Gewinn. In Teilbereichen, darunter die Land-und Ernährungswirtschaft, ist die Situation allerdings weniger zufriedenstellend.

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Die EG-Kommission hat in ihrer Stellungnahme zum Beitrittsantrag Österreichs Wirtschaft insgesamt sehr positiv beurteilt. Die Mitgliedschaft wäre ihrer Ansicht nach für die Gemeinschaft global ein Gewinn. In Teilbereichen, darunter die Land-und Ernährungswirtschaft, ist die Situation allerdings weniger zufriedenstellend.

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Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft sind ein zentraler Teil der kommenden Beitrittsverhandlungen, weil das geltende Freihandelszonen-Abkommen zwischen Österreich und der EG Agrarwaren im wesentlichen ausschließt. Auch in den zwischen der EG und den EFTA-Ländern im Grundsatz vereinbarten „Europäischen Wirt schaftsraum" (EWR) soll die Landwirtschaft nicht einbezogen werden.

Österreich muß als EG-Mitglied die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) übernehmen, einschließlich der Marktorganisationen, der Außenhandelsregelungen, der Preis- und Strukturpolitik und der gemeinsamen Fi-nanzierung. Die Agrarmärkte werden voll in den europäischen Binnenmarkt eingegliedert. Nach Ansicht der EG-Kommission dürfte die Übernahme der GAP grundsätzlich ohne Schwierigkeiten verlaufen. Die Kommission schränkt diese optimistische Grundaussage in der Folge allerdings deutlich ein.

Österreich hob in den achtziger Jahren die Agrarpreise stärker an, zudem hatten soziale, regionale und ökologische Anliegen höheres Gewicht und wurden mehr gefördert als in der EG. Als Folge davon ist derzeit das agrarische Stützniveau in Österreich deutlich höher. Tritt Österreich der EG bei, werden die Bauern Preiseinbußen hinnehmen müssen. Sie können aber zugleich auf billigere Betriebsmittel hoffen. Auch Konsumwaren sollten billiger werden. Dadurch dürften allerdings die Einnahmenverluste aus Agrarpreissenkun-gen nur zum Teil kompensiert werden.

Änderungen in der Rentabilität und verschärfter Wettbewerb wirken sich auf die Agrarproduktion aus. Die Erzeugung von Getreide, Schweinefleisch, Geflügel und Eier dürfte zurückgehen. Für Rindfleisch ist hingegen mit Produktionssteigerungen zu rechnen, weil die Rentabilität verbessert wird und den heimischen Rinderhaltern der kaufkräftige italienische Markt mit seinem hohen Zuschußbedarf offen steht. Die Produktion von Milch und Zucker ist auch in der EG durch Quoten geregelt. Die Frage, welche Kontingente den österreichischen Erzeugern zugestanden werden ist ein wichtiger Verhandlungspunkt. Weil die EG Österreichs größter Abnehmer und Lieferant von Agrarwaren ist, sollte der Beitritt beiden Seiten nützen.

Anpassungsbedarf ortet die EG-Kommission im Bereich der Agrar-marktordnung, insbesondere für Getreide, Stärke, frisches und verarbeitetes Obst und Gemüse, Wein, Alkohol und alkoholische Getränke. Im allgemeinen sind die Marktorganisationen der Gemeinschaft liberaler und marktkonformer als in Österreich. Die Kommission verweist vor allem auf den hohen Grad ari Dirigismus auf dem österreichischen Milchmarkt, der den Wettbewerb praktisch ausschließt.

Niedrige Produktivität Weitere Probleme sieht die Kommission in der Nahrungsmittelindustrie. Im Vergleich zur Gemeinschaft ist die österreichische Lebensmittelindustrie stärker reglementiert. Ihre Produktivität ist niedriger, die Preise sind höher als in der EG. Im Falle eines Beitritts (aber auch ohne Mitgliedschaft) sind Strukturanpassungen unvermeidbar. Die Kommission verweist dabei insbesondere auf wichtige Sektoren der ersten Verarbeitungsstufe wie Mühlen, Fleischverarbeitung und Milchwirtschaft.

Als sehr fortschrittlich wird das österreichische Veterinär- und Pflanzenschutzrecht hervorgehoben. Ähnliches gilt für Umweltanliegen. Anpassungsprobleme bestehen in diesen Bereichen kaum, dafür gewisse Sorgen um die Wahrung der hohen österreichischen Standards. Für die agrarische Struktur- und Sozialpolitik werden nach Ansicht der Kommission nur geringfügige Änderungen anfallen. In der Regionalpolitik wäre besonders das Beihilfenrecht der Gemeinschaft zu übernehmen. Weil in Österreich die regionalen Unterschiede im Vergleich zur Gemeinschaft mäßig sind, ist mit geringer Unterstützung aus den EG-Strukturfonds zu rechnen.

Alles in allem enthält der Avis keine Überraschungen. Er folgt im wesentlichen den aus heimischen Studien bekannten Einschätzungen. Auch die Landwirtschaft und Emäh-rungswirtschaft können und sollen in den kommenden europäischen Binnenmarkt integriert werden. Dabei ist in wichtigen Teilbereichen mit Problemen zu rechnen.

Übergangsfristen sowie flankierende Maßnahmen und Hilfen können die Schwierigkeiten mildem und den Betroffenen die Anpassung erleichtern. Der große und kaufkräftige westeuropäische Markt bietet allerdings tüchtigen bäuerlichen Unternehmern und der heimischen Lebensmittelindustrie auch Chancen. Um sie zu nützen, ist eine Stärkung der Wettbewerbskraft der österreichischen Land- und Ernährungswirtschaft unerläßlich.

Dazu bedarf es insbesondere mehr Marktbewußtseins und unternehmerischen Denkens auf allen Ebenen, einer zügigen Bereinigung der Strukturen in der Be- und Verarbeitung und schlagkräftiger Vermarktungsorganisationen im In- und Ausland. Einige Schritte dahin werden bereits gesetzt, weitere müssen folgen, um die voraussichtlich kurze Übergangszeit optimal zu nutzen.

Radikaler Kurswechsel Eine Bilanz mögl icher Anpassungsprobleme und der voraussichtlichen Folgen des EG-Beitritts für die österreichische Landwirtschaft wird dadurch erschwert, daß die Gemeinschaft selbst einen radikalen Kurswechsel in der Agrarpolitik diskutiert. Die EG-Kommission hat den Umdenkprozeß im Februar 1991 mit einemGrundsatzpapiereingeleitetund im Juli ihre Vorstellungen konkretisiert.

Geplant ist, die Agrarpreise deutlich zu senken und - als Ausgleich -die Einkommen kleinerer und mittlerer bäuerlicher Familienbetriebe stärker als bisher durch direkte Beihilfen abzusichern. Zugleich werden die Leistungen der Bauern für die Umwelt, Pflege der Kulturlandschaft und Erhaltung eines wirtschaftlich und gesellschaftlich lebendigen ländlichen Raumes hervorgestrichen und die Notwendigkeit diese auch abzugelten, anerkannt.

Diese Reformen würden die Position der österreichischen Bauern in einem künftigen gemeinsamen Markt etwas stärken, weil die heimische Landwirtschaft kleinstrukturiert ist und den ökologischen Anliegen und landeskulturellen Leistungen im Gebirgs- und Fremdenverkehrsland Österreich besondere Bedeutung zukommt.

Der Autor ist Agrarexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.

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