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Die Not mit der Fülle

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In unserer Welt leben heute etwa 4,2 Milliarden Menschen. Rund ein Drittel dieser Menschen leidet Hunger. Angesichts dieser Tatsache muß es geradezu paradox klingen, wenn dennoch die westliche Agrarwirt-schaft besonders darüber klagt, daß sie absolut nicht mehr in der Lage ist, ihre selbstproduzierten Überschüsse diverser Nahrungsmittel im Markt abzusetzen.

Auch Österreich kennt diese Sorgen. Zuviel Milch, Zuviel Wein, zuviel Zucker, zuviel Weizen!

Überflußproduktion: Ein EG-Problem?

Der Nahrungsmittelüberfluß ist beängstigend, und er nimmt permanent noch drastischere Formen an. Auch deshalb, weil eben gerade diese Butter- und sonstigen Lebensmittelberge keine spezifisch österreichischen, sondern vor allen Dingen und in erster Linie EG-Probleme und somit die unserer Handelspartner sind.

Als die Gemeinschaft gegründet wurde, galt die Sicherstellung der Ernährung als das wohl wichtigste Ziel überhaupt. Die Ergebnisse dieses damals geplanten Vorhabens zeigen sich nun heute aber in Überschußproduktionen, die weit über den notwendigen Bedarf hinausgehen. Große Schuld an diesem Dilemma haben die diversen und verschiedenartigsten Mechanismen, mit denen die unterschiedlichen Marktvoraussetzungen in den EG-Ländern gesteuert wurden bzw. mit denen versucht wurde, „Gerechtigkeit zu erzeugen“.

Von Beginn an wurde der Agrar-markt auf Wachstum aufgebaut. So wirkte bei diesem Wachstumsdenken unter anderem das Wort „Preisgarantie“ als eine Stimulanz von besonderer Qualität. Eben auf Grund der garantierten Preise wurden die Anbauflächen für Wein, Zuckerrüben, Weizen und Mais immer größer. Trotz größerer Produktivität wurden immer mehr Milchkühe gehalten und ständig ein Zuviel der gesunden weißen Flüssigkeit abgeliefert.

Wohin mit Butter, Milch und Käse?

All das, was bereits bisher gesagt wurde, trifft auch für unser Land zu. Natürlich muß man dabei zugestehen, daß Österreich als ein kleines Agrarland in gewisser Weise gezwungen war, die gleichen Markt-und Steuerungsmechanismen anzuwenden, wie die Partner jenseits unserer Grenzen.

Doch: Wohin mit der Butter? Wohin mit der Milch? Wohin mit dem Zuviel an Käse?

Diese bangen Fragen gehören seit Jahren zu dem festen Wortschatz fast aller westlichen Regierungen. Längst hat man zwar versucht, mit Abschlachtprämien und anderen Vergünstigungen und auch mit Verboten und schlechteren Preisen diese Uberproduktionen in den Griff zu bekommen.

Doch beweisen die Produktionszahlen heute eindeutig, daß trotz eines verminderten Viehbestandes beispielsweise der Milchstrom ergiebiger fließt. In der BRD stieg zwischen 1972 und 1977 die durchschnittliche Jahresproduktion einer Milchkuh von 3949 kg auf 4181 kg.

So erfreulich nun auf der einen Seite diese Ergebnisse sind, so problematisch sind sie für die einzelnen nationalen Regierungen. Gerade' erst jetzt mußte die EG wieder 20.400 Tonnen frischer Butter an die Sowjetunion und 8000 Tonnen an Polen unter dem Preis verkaufen, weil man einfach nicht mehr wußte, wohin mit

diesem Butterberg. Kostenpunkt: Fast 1,5 Mrd. Schilling.

Auch die Österreicher müssen jetzt erst wieder durch die gestrichenen Subventionen über steigende Preise für Milch, Butter und Käse das Zuviel mitfinanzieren.

Hohe Zusatzkosten für die vielen Überproduktionen entstehen außerdem und zusätzlich auch dadurch, weil die Lebensmittelberge in Lagerund Kühlhäusern untergebracht werden müssen.

Hinzu kommt noch, daß sich einige Produkte auch nicht für alle Zeiten aufbewahren lassen. Man muß also verkaufen! Das aber bedeutet: Exportsubventionen! IJenn nur der, der auch billiger ist, hat auch eine Chance!

In der EG lagern derzeit rund 480.000 Tonnen Butter. Selbst mit niedrigen Preisen läßt sich ein Mehr-Verbrauch nicht erreichen. So konnte beispielsweise in Belgien die um 40 Prozent verbilligte Weihnachtsbutter nicht abgesetzt werden.

In Österreich kommt noch hinzu, daß ein Mehrverbrauch von Milchprodukten durch einige Codexbestimmungen zumindest behindert ist. Während nachweislich in den EG-Staaten durch die riesige Angebotspalette von H-Produkten (Halt-bar-Produkte) die Umsätze in den letzten Jahren erheblich gesteigert wurden, so sind solche Verkäufe von H-Buttermilch und H-Joghurt oder H-Desserts in Österreich nicht erlaubt.

BRD: Eier mußten verschenkt werden

Aber es sind nicht nur die Milchprodukte, die großen Kummer bereiten. So müssen heute in der BRD bereits die Eier teilweise verschenkt werden, da das Zuviel mit bestem Willen nicht mehr verkauft werden kann. Und: Noch vor ein paar Jahren gab es zuwenig Zucker. Heute sind die Lagerhäuser aber so voll, daß der Weltmarktpreis um fast 60 Prozent gesunken ist.

Wieviel Obst und Gemüse mußte allein im letzten Sommer vernichtet werden? Es klingt wie Hohn: Sind die Erntejahre gut, dann werden die Probleme immer größer.

Fast in jedem Land wird versucht, durch ein Umstellen der Produktionen die Probleme zu lösen. Man denke nur an das ölsaatenprojekt in Österreich. Doch während die Pläne noch längst nicht endgültig sind, streitet man bereits über die Garantiepreise. Sind diese dann „hoch genug“, so beginnt das Spiel von vorne.

Sind die Probleme überhaupt zu lösen? Eines scheint besonders wichtig: Wir sollten und dürfen nicht ständig von einem Extrem in das andere verfallen. Heute Produktionsund morgen wieder Abbauprämien zu zahlen, kann sich niemand auf die Dauer leisten.

Vielleicht könnte eine gemeinsame Planung, die vor allen Dingen langfristig ausgelegt sein muß, gesteuert und kontrolliert wird, eventuell die „Not mit der Fülle“ ein wenig günstiger gestalten.

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