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Im Irrgarten der Ernährungsgurus

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Wie man sich richtig ernährt, darüber werden bereits dicke Bücher geschrieben. Die FURCHE kann nur einen kurzen Überblick geben, um einem Leserwunsch Rechnung zu tragen.

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Wie man sich richtig ernährt, darüber werden bereits dicke Bücher geschrieben. Die FURCHE kann nur einen kurzen Überblick geben, um einem Leserwunsch Rechnung zu tragen.

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Seit etwa 200 Jahren geht die sogenannte westliche Zivilisation den Weg des geringsten Widerstands: alles, was in irgendeiner Weise Unlust zu bereiten droht, wird bekämpft oder „reformiert"; das gilt für die Arbeitsbedingungen ebenso wie für die Umstände des privaten Lebens — moralische Forderungen nach Selbstbescheidung und sinnvoller Askese werden als „verzopft" oder „nicht zeitgemäß" diffamiert und lächerlich gemacht.

Tugenden wie die der Sparsamkeit, Arbeitsamkeit und des Maßhaltens werden als „bürgerlich" diskreditiert — als Gebot Nummer Eins steht die Befriedigung und Durchsetzung von persönlichen Bedürfnissen.

„Was man besonders gerne tut, ist selten ganz besonders gut" sagte Wilhelm Busch.

Diese Weisheit gilt für alle Bereiche des Lebens — ihre Berechtigung zeigt sich aber dort besonders deutlich, wo mächtige Triebe wirken; das ist in der Sexualität der Fall, aber auch bei einer Tätigkeit, die an und für sich einem sehr simplen Zweck dient: den Menschen am Leben zu erhalten. Gemeint ist das Essen.

„Das Essen ist seit je mit besonderer Emotion verbunden", meint Wolfgang Marktl vom Physiologischen Institut der Universität Wien, „und das hängt möglicherweise damit zusammen, daß mit dem Essen in der Regel ein Lustgewinn verbunden ist."

Dazu kommt noch, daß eine der stärksten Ängste des Menschen (wenn nicht die stärkste überhaupt) die ist, zu verhungern. Es gibt Theorien, wonach alles, was Menschen zum Zweck des Zusammenraff ens und Sammeins tun (und das macht für viele einen Großteil des Lebens aus), nur der Abwehr dieser Angst dient.

Kein Wunder also, daß auf diesem Gebiet der Nahrungsaufnahme Exzesse dort an der Tagesordnung sind, wo man es sich leisten kann - und „wir" (gemeint ist die Bevölkerung der westlichen Welt) können es uns leisten.

Alljährlich füllt es die Kuriositätenspalten der Zeitungen, welche Mengen an Hühnern, Hähnchen und Karpfen zu Weihnachten verschlungen werden; man ertrinkt fast in Milchseen, stolpert über Butter- und Schweinefleischberge.

Und parallel dazu wächst die Zahl der „Zivilisationskrankheiten" — jener Krankheiten, die großteils auf falsche, weil unzweckmäßige Ernährung zurückgehen.

„Die Natur übt ein heimliches Gericht, leise und langmütig, aber unentrinnbar", wie es Ernst Freiherr von Feuchtersieben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts formulierte.

Jene, die hellsichtig sind für Tendenzen dieser Art, versuchen sich diesem Gericht zu entziehen, indem sie nicht mitmachen. Diese Verweigerung (heute zum Schlagwort geworden) findet sich vom Beginn der Kulturen an bei Heiligen und anderen Gottsuchern, die sich durch Fasten (auch im übertragenen Sinn) von ihrem Körper und dessen Diktat unabhängig zu machen versuchten.

Sie zeigt sich aber auch bei vielen, die nicht so hoch zielen, die sich zwar auch unbehaglich fühlen in der uns umgebenden „normalen" Welt, die aber diese Irritation auf Einzelfaktoren zurückführen.

Das Leben ist freilich ein in sich geschlossener Regelkreis, ein System, in dem nichts isoliert zu betrachten ist; es gerät so wie ein Mobile ins Schwanken, wenn man einen Einzelfaktor herausnimmt.

So ist es zu erklären, daß die Verfechter eindimensionaler Kritik — etwa an den Ernährungsgewohnheiten — oft monomane Züge annehmen; was es ihren Kritikern dann leichtmacht, die an sich vielleicht sehr berechtigten Argumente als übertrieben vom Tisch zu fegen.

Auf diese Weise sind die meisten Bemühungen, die Ernährungsgewohnheiten der Menschen generell zu ändern, in den Geruch des Sektiererischen gekommen; man wirft ihnen vor, verkappte Heilslehren zu sein und verwendet das Wort „Reformer" mit leicht abschätzigem Unterton.

Zum Großteil sicher zu Unrecht. Denn daß die heute übliche Ernährung nicht gesund und zuträglich ist, das gibt auch die kunft).

• „Vegans" (ausschließlich Früchte, Nüsse, Honig, öl...).

Einige charakterisierende Worte nun zu den häufigsten Diätformen, die die Basis fast aller heute üblichen Diäten bilden:

• Vollkost: bedeutet in erster Linie, daß die Lebensmittel (meist pflanzlicher Herkunft) nicht durch industrielle Bearbeitung „entwertet" werden sollen. Rohgetreide und Vollkornbrot sind die Grundlage für eine Dauernahrung mit starken Rohkostanteilen. Die Namen Kollath und Bir-cher-Benner als „Hauptreformatoren" werden im Zusammenhang damit am häufigsten genannt.

• Rohkost: baut auf der Überlegung auf, daß durch das Kochen der Wert der Nahrung vermindert wird. Nur rohe oder höchstens gedämpfte Nahrungsmittel (Obst, Gemüse, Salat) dürfen auf den Tisch kommen. Salz ist verboten und wird durch Kräuter ersetzt.

• Saftdiät: gilt als „innere Operation ohne Messer" wegen ihrer streng naturwissenschaftliche Medizin seit langem zu. In der Diagnose sind sich also Schulmedizin und Reformbewegungen einig. Die Therapie allerdings unterscheidet die Seiten — und zwar gründlich.

Schade nur, daß auch die „Reformer" einander widersprechen. Wer die Wahrheit in der Ernährungsforschung sucht, wird sie dort auch nur insoweit finden, als sie für ihn persönlich Gültigkeit haben mag — als Rezept für alle ist sie sicher ungeeignet.

Mehr als 400 verschiedene Diätkuren hat man weltweit gezählt (nur in Klammer sei angemerkt, daß sich diese Zählung auf die westliche Zivilisation beschränkt; Beschäftigung mit Fragen der „richtigen" Ernährung ist ein Vorrecht derer, die genug zu essen haben — eigentlich also ein Luxus).

Einiges ist dieser Vielzahl an Diäten allerdings gemeinsam. So ist auffallend, daß die meisten von ihnen den Fleischkonsum ablehnen, also in eine der vier vegetarischen Ernährungsweisen einzuordnen sind:

• Lakto-Ovo-Vegetarier (Pflanzen plus Milch, Käse, Eier).

• Lakto-Vegetarier (Pflanzen, Milch, aber keine Eier).

• „Reine" Vegetarier (keine Nahrungsmittel tierischer Herempirisch festgestellten starken Heilwirkung bei verschiedenen Krankheiten. Zehn Tage bis drei Wochen werden nur Säfte zu sich genommen, nachdem der Darm durch Einlauf gereinigt wurde. Die sonst der Verdauung dienenden Energien sollen so auf die Heilung konzentriert werden. Bir-cher-Benner und Prof. Brauchte (Dresden) gelten als Pioniere.

• Kochsalzarme Kost: auch hier soll nicht gekocht werden, Salz (wegen des darin enthaltenen Natriums) wird stark eingeschränkt. Volhard, Kempner und Gerson sind „Päpste" dieser Kostform.

• Milch-Semmel-Kur: (nach Mayr); ist eine gärungswidrige Schondiät, durch die der Darm gesund werden soll. Wer sie macht und danach ißt wie zuvor, hat nicht verstanden, was Mayr wollte: durch die Diät den Instinkt mobilisieren, künftig die richtigen Nahrungsstoffe auszusuchen. Die Milch ist Hauptbestandteil, die alten Semmeln dienen nur der Anregung der Speichelbildung.

• Trennkost: auch Hay'sche Trennkost genannt (nach Howard Hay). Obst und Gemüse machen 80 Prozent der Nahrung aus; Hauptprinzip: Eiweiß und Kohlenhydrate sollen nicht in ein und derselben Mahlzeit gegessen werden, weil der Organismus saure und basische Nahrung nicht gleichzeitig verarbeiten könne. Das ist zwar physiologisch falsch, die Diät hat aber den Vorteil, daß sicher keine Mangelzustände auftreten können.

• Waerland-Kost: Lakto-vege-tabile Kostform ohne Salz. Ist eine Abwandlung der Bircher-Ben-ner'schen Ideen mit mehr Milcheiweiß. Gründliches Kauen und viel Trinken sind Hauptmerkmale.

• Makrobiotik: Im Gegensatz zu den meisten anderen Diätformen verschreibt der Gründer der Makrobiotik, der Japaner Oshawa, extrem viel Salz. Trinken ist fast gänzlich verboten, ebenso Milch und Fleisch. Der Kohlenhydrat-bedarf wird durch Weizen, Reis, Buchweizen und gekochtes Gemüse gedeckt, Eiweiß kommt von der Sojapflanze. Viele Ärzte sehen die Gefahr von Mangelzuständen bei dieser Diätkost.

• Kuh!'sehe Mil6hsäurediät: Zucker wird als Gift und völlig denaturiertes Nahrungsmittel angesehen. Vollwertprodukte und milchsäurehältige Nahrungsmittel sollen den Nahrungsbedarf abdecken. Dazu kommen Sauermilch und ungesättigte Fette.

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