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Vom Abendmahl zur Grande cuisine

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„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.” Ein Blick in den Bauch der Gesellschaft.

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„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.” Ein Blick in den Bauch der Gesellschaft.

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Die Menschheit hat die augenscheinlich selbstverständlichsten Dinge durch puren Zufall entdeckt. Zum Beispiel den Schweinebraten: Einer chinesischen Sage zufolge, hat der Mensch angeblich die ersten siebzigtausend Zeitalter hindurch das Fleisch roh verzehrt. Bis zu jenem „unglücklichen” Tag, an dem Bo-Bo, der tollpatschige Sohn des Schweinehirten Ho-Ti, beim Feuermachen versehentlich die Hütte in Brand setzte. Ho-Ti, der in den Wald gegangen war, um Futter für seine Tiere zu sammeln, sah die Rauchschwaden und eilte nach Hause. Beim Versuch, seine Ferkel aus dem Feuer zu retten, verbrannte er sich die Finger und steckte sie fluchend in den Mund. Da aber überzog ein seliges Lächeln sein Gesicht: Er hatte zum ersten Mal Schweinebraten gekostet. Von nun an stand die Hütte immer wieder in Brand. Die Sache wurde allmählich populär, bis endlich ein weiser Mann erklärte, daß man ein Schwein auch auf einem Rost grillen könne ...

Ob frei erfunden oder überliefert, nachzulesen ist die amüsante Geschichte im Katalog zur Ausstellung

„Götterspeisen. Vom Mythos zum Big Mäc”, die bis März nächsten Jahres in der Hermesvilla (im Lainzer Tiergarten) gezeigt wird. In dieser informativen, dabei aber keineswegs schulmeisterlichen Schau des Historischen Museums der Stadt Wien geht es kurz und gut um die Kulturgeschichte des Essens.

„Götter Speiss” nannten die Köche des Wiener Erzbischofs Graf Kollonitz ein für ihren Herren kreiertes Zuckerwerk mit gigantischen Abmessungen, das auf 75 Spiegeln serviert wurde. „Götterspeise” nennt sich auch jener aus Gelatine hergestellte Wackelpudding, der durch seine Farbgebung schockiert (übrigens das bevorzugte Dessert von TV-Anwalt „Liebling Kreuzberg”)...

Nach Samuel Johnson sei der einzige Unterschied zwischen Mensch und Tier der, daß der Mensch kocht: „Man is a cooking animal!” (im Gegensatz zu Benjamin Franklins Theorie: „Man is” a tool-making animal!”). Dennoch ist der Akt des Kochens und Fussens „keine universale Gegebenheit, sondern das F.rgebnis des Zusammenwirkens von Umwelt und so-ziokulturellem System”. - Der erste Teil der Ausstellung beschäftigt sich daher mit jenem Aspekt, den wir ob des reichhaltigen Fast-food-Angebots und modernster Küchentechnik schon fast vergessen haben: mit der Rolle des Essens für die Gemeinschaft.

Bei den Mayas etwa steht bis heute das gemeinschaftliche Verzehren von gemeinsam Produziertem im Vordergrund des Gruppenempfindens. Der vom Altenrat auserkorene Majordomus einer Dorfgemeinschaft muß damit rechnen, daß er während seiner zweijährigen Amtszeit all sein Hab und Gut in Festlichkeiten verliert. Fussen ist andererseits aber auch ein Mittel zur Demonstration von Macht und Reichtum: Beispielsweise im Pot-latch-Kult der nordamerikanischen Indianer oder bei den - zu barocken Zeiten - öffentlich abgehaltenen Schau-Essen der europäischen Aristokratie.

Am Beispiel Wiens zeigt der zweite Teil der Ausstellung wie sich Stadtwachstum, Verkehrsrevolution und Geldwirtschaft auf die bürgerliche Konsumkultur auswirkten. Eine Entwicklung, die sich anhand von Gebrauchsgegenständen und zeitgenössischen Darstellungen wie zum Beispiel den spätbarocken „Kaufrufen” bis zu Gemälden des Biedermeiers und Werbeaufnahmen der Jetztzeit beinahe hautnah miterleben läßt. Im Vergleich zu England und Frankreich entstanden in Wien restaurantähnliche Gastronomien relativ spät, nämlich erst in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts: Aus dieser Zeit stammen auch die ersten gedruckten Speisekarten, die ein gleichbleibendes Angebot garantierten. Das berühmteste Etablissement war das „Apollo”, mit nicht weniger als 13 Küchen, fünf Speisesälen, 32 Toiletten, einem Tafelsilber im Wert von 640.000 und einem Nachtumsatz von bis zu 100.000 Gulden.

Unser heutiges Verhältnis zum Essen ist ein sehr zwiespältiges: Einerseits - im Zeichen von BSE und gentechnisch manipulierten Lebensmitteln — geprägt von Unsicherheit, andererseits aber von einem gesteigerten Bewußtsein um ausgewogene Ernährung und Offenheit dem „Fremden” gegenüber. Für moderne Anhänger chinesischer Diätetik stellt etwa die von Li Shi Zhen (1518-1596) verfaßte Systematik der Kräuter ein Standardwerk dar. Werke wie dieses basieren auf dem taoistischen Komplementärprinzip des Yin und Yang, wonach Nahrungsmittel durch die „Vier Energien” zu unterscheiden sind, die bei der Verdauung im Körper freigesetzt werden. Das heißt, daß im allgemeinen Nahrungsmittel, die im Wasser gedeihen, kühler sind als diejenigen zu Land. Durch die Art der Zubereitung ist die Natur aller Lebensmittel veränderbar (Gedämpftes Huhn ist weniger wärmend als gegrilltes.) Wer diese Eigenschaften kennt, kann sie gezielt einsetzen, auch gegen Krankheiten.

Und daß die chinesische Kultur der gegenwärtig im Abendland grassierenden Welle der „FLxotica”-Küche puncto Offenheit einiges voraus hat, beweist die Geschichte vom Chop-su-ey: Es wurde nämlich um die Jahrhundertwende von amerikanischen Köchen erfunden, um chinesische Gastarbeiter abzufüttern. Ein Gericht, das allen Prinzipien chinesischer Kochkunst widerspricht. Ist es doch ein wildes Potpourri einander ausschließender Geschmacksrichtungen. In China selbst war es bis in die jüngste Zeit völlig unbekannt. Doch als in der Folge der Entspannungspoltik die ersten amerikanischen Touristen ins Land kamen und eifrig danach verlangten, wurde es ihnen mit einem Lächeln serviert...

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