Nahrungsmittel-Intoleranzen - © Shutterstock

Wie Nahrungsmittel-Intoleranzen, Unverträglichkeiten und die Angst davor beeinflussen

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Ein leichtes Zwicken im Bauch - schon stehen manche Menschen vor bestimmten Supermarktregalen Schlange. Nahrungsmittelintoleranzen sind auf dem besten Weg zum Trend. Aber haben Unverträglichkeiten wirklich zugenommen? Und was bedeutet es, wenn man betroffen ist? Die Geschichten Betroffener sind sehr unterschiedlich. Umso wichtiger ist die ärztliche Abklärung.

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Ein leichtes Zwicken im Bauch - schon stehen manche Menschen vor bestimmten Supermarktregalen Schlange. Nahrungsmittelintoleranzen sind auf dem besten Weg zum Trend. Aber haben Unverträglichkeiten wirklich zugenommen? Und was bedeutet es, wenn man betroffen ist? Die Geschichten Betroffener sind sehr unterschiedlich. Umso wichtiger ist die ärztliche Abklärung.

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Johannes trinkt seinen Kaffee schwarz. Der 21-Jährige mit dem blond gefärbten Schopf und den Tattoos auf den Armen verzichtet seit einem halben Jahr fast ausnahmslos auf Laktose - und das freiwillig. Auch für sein Müsli verwendet er nicht Kuh-, sondern Sojamilch. "Sojabasis, Wasser und Rohrzucker", liest er von der Packung ab, die neben seiner Espressokanne steht.

Der Anlass für seine Milchkarenz sei die Beschäftigung mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM), der er sich als Japanologie-Student verbunden fühle, erzählt Johannes. Früher habe er in seinen Händen und Füßen häufig ein Kältegefühl verspürt, doch seit er auf Laktose verzichte, gehe es ihm besser. Auch bei der Verdauung gebe es nun weniger Probleme.

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Immer mehr Menschen achten wie Johannes mit Akribie auf die Signale des eigenen Körpers - und eine entsprechend bewusste und möglichst wenig belastende Ernährung. Der Hinweis "frei von" ist dabei für viele längst gleichbedeutend mit "gesund" geworden. Kein Wunder, dass entsprechende Produkte in den Supermärkten immer mehr Raum erobern. Nicht selten landen sie in unmittelbarer Nachbarschaft der - ebenfalls etwas teureren - Bio-Produkte.

Sorgfältige Diagnostik gefragt

"Zwischen 'frei von künstlichen Zusatzstoffen' und 'frei von Laktose oder Gluten' gibt es heute meist keine gedankliche Barriere mehr", sagt Regine Schönlechner vom Institut für Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Die Lebensmittelindustrie profitiert davon, die Gesundheit der Konsumenten aber nicht unbedingt. "Viele Käsesorten sind selbst bei Laktoseintoleranz verträglich, da diese kaum bis gar keinen Milchzucker enthalten. Bei Joghurts verhält es sich ähnlich", erklärt Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Universität Wien.

Auch glutenfreie Produkte sind für Menschen mit gesundem Stoffwechsel ohne jeglichen Vorteil, dennoch werden sie gern gekauft. Durchaus begehrt sind nicht zuletzt Nahrungsmittel für Menschen mit Histaminintoleranz - während unter Experten noch umstritten ist, ob es diese Form der Unverträglichkeit überhaupt gibt.

Dass es Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten und Intoleranzen gibt, ist unbestritten. Ebenso, dass sie in bestimmten Fällen sogar lebensgefährlich sein können. Umso notwendiger ist eine sorgfältige Diagnostik.

Fragen über Fragen also - und ziemlich wenig Antworten. Das beginnt schon damit, dass es keine aussagekräftigen Daten darüber gibt, ob das Phänomen Nahrungsmittelunverträglichkeit heute tatsächlich zugenommen hat. Dass es sie gibt, ist unbestritten. Ebenso, dass sie in bestimmten Fällen sogar lebensgefährlich sein können. Umso notwendiger ist eine sorgfältige Diagnostik. "Im Leben kommt es immer wieder zu normalen Verdauungsproblemen und manche empfinden ein kleineres Zwicken vielleicht schon als gesundheitliches Problem", so König.

"Man muss daher genau unterscheiden, ob es sich um einen normalen oder um einen pathologischen Vorgang handelt und sollte bei häufiger Wiederkehr von Beschwerden - also mehrmals pro Woche - zum Arzt gehen." Bei Unsicherheit, ob eine Intoleranz besteht, empfiehlt er auch, ein Ernährungstagebuch zu führen: "Hier werden sowohl die verwendeten Lebensmittel als auch die jeweiligen Symptome festgehalten. Einzelne 'verdächtige' Nahrungsmittel sollten dann weggelassen und später wieder hinzugegeben werden, um zu sehen, ob sich der Verdacht bestätigt. Ein solches Tagebuch kann auch für den untersuchenden Arzt sehr hilfreich sein."

Eine, für die bestimmte Inhaltsstoffe hochgefährlich und die neuen Produkte in den Supermärkten folglich ein Segen sind, ist Bettina. Die 22-jährige gebürtige Kärntnerin, die in Wien Musical studiert, hat eine Gluten- und Laktoseintoleranz, eine häufige Kombination. Was die Laktose betrifft, so kann sich Bettina mit einem daumengroßen Päckchen behelfen.

Lebenslanger Verzicht

Den Inhalt, ein weißes Pulver mit dem Enzym Laktase, muss sie in Wasser aufgelöst unmittelbar vor dem Verzehr von milchhaltigen Produkten trinken. Anders verhält es sich mit ihrer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie): Im Alter von zwölf Jahren wurde bei ihr diese Erkrankung mittels Biopsie diagnostiziert. Hier gibt es keine Hilfsmittel, die ihr den gelegentlichen Genuss von Glutenprodukten ermöglichen. Dazu zählen etwa herkömmliches Brot, Spaghetti oder auch Kuchen und Torten. Bettina muss ein Leben lang darauf verzichten und mit entsprechenden glutenfreien, geschmacklich weniger attraktiven Produkten Vorlieb nehmen. Hält sie sich nicht daran und greift sie zu glutenhaltigen Nahrungsmitteln, dann verschwinden mit der Zeit die lebenswichtigen Darmzotten. Die Folge: Darmkrebs.

An Zöliakie leiden etwa ein bis zwei Prozent der Österreicher. Mehr oder weniger laktoseintolerant sind ganze 70 Prozent der Weltbevölkerung. Dass die Fähigkeit zur Verdauung von Milchzucker im Lauf des Lebens abnimmt, ist gut belegt; das beginnt schon ab dem Alter von fünf bis zehn Jahren. "Trotzdem ist bei uns in Mitteleuropa ein Großteil der Bevölkerung sehr wohl fähig, Laktose zu verdauen", berichtet Regine Schönlechner. In Asien hingegen ist das dafür notwendige Enzym deutlich schwächer ausgeprägt. Entsprechend vorsichtig sollte man mit dem Ratschlag der Traditionellen Chinesischen Medizin umgehen, völlig auf Laktose zu verzichten, betont die Lebensmitteltechnologin. Schließlich sei Milch auch wichtig für den täglichen Kalziumbedarf.

Notfallplan in der Tasche

Anders ist das bei der Unverträglichkeit gegenüber Gluten und Fruktose: Manche Autoren behaupten, dass schlechte Ernährungsgewohnheiten - etwa einseitiger Konsum von Weizenprodukten sowie massenhafte Verwendung von Fruktose als Süßungsmittel - auf lange Sicht Zöliakie oder Fruktoseintoleranz auslösen könnten. Wirkliche Beweise dafür gibt es aber keine.

"Glutenunverträglichkeit kann klar diagnostiziert werden, alle anderen brauchen keine Befürchtungen zu haben", sagt Ernährungswissenschaftler König. Für die Zöliakie-Betroffene Bettina jedenfalls ist die Sache klar: Sie ist sich der möglichen Folgen falscher Ernährung bewusst und geht daher kein Risiko ein. Falls Freunde neben ihr etwas Verbotenes essen und ihr Appetit übermächtig wird, hat sie immer einen Notfallplan in der Tasche: ein glutenfreies Milka Tender. An das "richtige" komme das zwar genussmäßig nicht heran, betont sie - aber das kann sie gerade noch verschmerzen.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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