Soja Bohne  - © iStock / chengyuzheng

Eine Bohne für alle Krisen

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Von den frühen Pionieren bis zur Wiener Soja-Küche: Die österreichische Soja-Kulturgeschichte ist engverwoben mit ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Über eine vielseitige Karriere.

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Von den frühen Pionieren bis zur Wiener Soja-Küche: Die österreichische Soja-Kulturgeschichte ist engverwoben mit ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Über eine vielseitige Karriere.

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Globaler Anbau und Handel, Klimaschutz, Gentechnik und Pes­tizide in der Landwirtschaft: In gesellschaftlichen Diskussionen rund um diese Themen spielt Soja derzeit eine zentrale Rolle. Ebenso wie im urbanen Lebensstil. Nach Weizen, Mais und Gerste beansprucht Soja heute die viertgrößte Anbaufläche in Österreich. Hierzulande hat Soja eine mehr als 140-jährige Geschichte, die ihren Ausgang in Wien nahm. Diese Geschichte zeigt, dass Soja eng verknüpft ist mit der heimischen Zeit- und Wissenschaftsgeschichte. Mit Soja können Konjunkturen und Krisen erzählt sowie landwirtschaftliche Pioniere und Pionierinnen vor den Vorhang geholt werden.

Am Beginn dieser Geschichte standen zwei nachhaltig prägende Ereignisse: zum einen die Gründung der Hochschule für Bodenkultur 1872, die im Palais Schönborn (heute Volkskundemuseum Wien) ihre erste Heimstatt fand, und zum anderen die Wiener Weltausstellung von 1873. Mitten in der Haupt- und Residenzstadt Wien sollte die Hochschule für Bodenkultur das Zentrum und der universitäre Abschluss der landwirtschaftlichen Ausbildung sein. Einer der ersten Rektoren der Hochschule war der Pflanzenbauexperte Friedrich Haberlandt (1826–1878), der auf der Wiener Weltausstellung in den Abteilungen von Japan und China, die sich erstmals in diesem Format international vorstellten, auf Soja aufmerksam geworden war. Neben den Entwicklungen in Industrie und Technik trat in Wien besonders die Landwirtschaft in den Vordergrund. Als Pflanzenbauer sah Haberlandt sich und seine Wissenschaft in der patriotischen Pflicht, geeignete und vielversprechende Pflanzen als Grundlage für die Versorgung der Bevölkerung auszuwählen, zu vermehren und zu züchten. Andererseits erhoffte er durch den internationalen Vergleich auch einen Innovationsschub in den Reihen der eigenen Landwirte.

Haberlandt engagierte sich nach der Weltausstellung intensiv für die Erforschung und den Anbau von Soja. Über die Hochschule für Bodenkultur zentral organisierte Anbauversuche in der Habsburgermonarchie und in Deutschland waren das Ziel des „Soja-Pioniers“, um den „wunderthätigen Fremdling“ Soja zu verbreiten und damit nicht nur die Landwirte zu fördern, sondern auch das „allgemeine Volkswohl“. Mit Haberlandts überraschendem Tod 1878 kamen jedoch sowohl die Anbauversuche als auch das allgemeine Interesse zum Erliegen. Die Zeit schien noch nicht reif für Soja: Die aus Japan und China angeforderten Sojasorten waren für den hiesigen Anbau nicht geeignet und auch die Ess- und Geschmacksgewohnheiten der Bevölkerung standen einer Verbreitung entgegen.

Soja als Volksnahrungsmittel

Die Situation veränderte sich spätestens nach dem Ersten Weltkrieg entscheidend. Die Kriegs- und Mangeljahre ließen eine ausreichende und gesicherte „Volksernährung“ zum vorrangigen Ziel werden. Eine erneute Soja-Konjunktur wurde durch wissenschaftliche Erkenntnisse wie jene der Chemie, der Medizin und der Ernährungswissenschaft befördert und griff mit den Bestrebungen des neuen Staates und der Wirtschaft ineinander. In seinen Lebenserinnerungen thematisiert Friedrich Haberlandts Sohn Gottlieb, der in den 1870erJahren kurzzeitig an den Sojaforschungen im Wiener Palais Schönborn beteiligt war und später in Berlin Professor für Botanik wurde, die Ernährungsprobleme nach dem Krieg: Soja als „eiweiß- und fettreichste Leguminose“ sei als „Retterin in der Not“ in jenen Zeiten gepriesen worden, als Deutschland und auch Österreich „infolge der Absperrung von ausländischen Nahrungsmitteln durch die Hungerblockade“ massive Engpässe erlebten. Mit Soja und ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten hoffte man Versorgungsdefizite beheben zu können, wofür speziell eine Erfindung der Lebensmitteltechnik dienen sollte.

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