Über Soja, Milchseen und Butterberge

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Wie die importierte Ölfrucht Soja in Europas intensiver Landwirtschaft für Überschüsse und in Brasilien für Armut sorgt.

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Wie die importierte Ölfrucht Soja in Europas intensiver Landwirtschaft für Überschüsse und in Brasilien für Armut sorgt.

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Die Sojabohnen gehören in Asien neben Gerste, Reis, Weizen und Hirse zu den "fünf heiligen Körnern". Die Sojapflanze kommt in ihrer ursprünglichen Heimat China in 10.000 verschiedenen Sorten vor und erreicht eine Größe bis zu zwei Metern. Als Leguminose wächst Soja in Symbiose mit Knöllchenbakterien, über die Stickstoff aus der Luft aufgenommen und den Pflanzen zur Verfügung gestellt werden kann. Stickstoffdünger erübrigt sich daher. War früher China der Marktführer, so sind es seit den fünfziger Jahren die USA.

Dort begann man schon in den zwanziger Jahren mit der Anpflanzung von Soja für Viehfutter. Mittels Absatzgarantien und Subventionen wurde die Ölfrucht eine Alternative zu Mais und Baumwolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Soja durch den Marshallplan und die im Gefolge stattfindende Industrialisierung der europäischen Landwirtschaft nach US-Vorbild die Speerspitze der Nahrungsmittelhilfe. Mit dieser Hilfe, die ab 1947 durch das "Gesetz über Handel und Hilfe" geregelt wurde, verfolgten die USA drei Ziele: Abbau der US-Agrarüberschüsse, Lebensmittelhilfe als Instrument der Außenpolitik, Hilfe bei Katastrophen.

Zwischen 1955 und 1960 wurden fast drei Viertel der US-Sojaölexporte in Form von Lebensmittelhilfen abgewickelt. In den sechziger Jahren wurde über das Handelsabkommen "Gatt" der Abbau von Zöllen für Soja fixiert. Nun beginnt die Macht von Soja weltweit zu greifen und Milchseen und Butterberge sind die ständigen Begleiter. Aus dem "Fleisch der Erde", wie Soja in Asien auch genannt wird, produziert man nun tatsächlich Fleisch. Allein in der EU werden jährlich 50 Millionen Tonnen Sojabohnen an Vieh verfüttert - drei Kilo Soja für ein Kilo Fleisch.

Europa kann seinen Bedarf an eiweiß- und ölhaltigen Pflanzen nicht decken, weil es sich traurigerweise für den Anbau von Getreide entschieden hat, das auf dem Weltmarkt zu Niedrigstpreisen gehandelt wird. Die Selbstversorgungsrate bei Gerste, Sonnenblumen und Soja lag im Handelsjahr 1996/97 bei nur 22 Prozent.

Und das hat seinen Grund: Während der Gatt-Verhandlungen 1993 gab Europa den Forderungen Washingtons nach, akzeptierte eine Beschränkung der Anbaufläche von Ölpflanzen auf 5,482 Millionen Hektar und eröffnete dem amerikanischen Agrobusiness damit die Möglichkeit, seine Soja-Ölkuchen und Fleischersatzprodukte auf Getreidebasis in unbegrenzter Menge ohne Einfuhrzölle auf den europäischen Markt zu werfen.

Als es 1973 durch eine schlechte Ernte zu einer weltweiten Sojaknappheit kam und die USA ihre Sojaexporte stoppten, gerieten die europäischen Viehzüchter in Panik. Um die europäische Massentierhaltung, die von US-Soja als Viehfutter gespeist wurde, aus den Klauen der USA zu befreien, suchte man nach Alternativen. Eine davon war Soja aus Brasilien.

Viel Soja aus Brasilien In Brasilien sind die Kleinbauern durch das Anlegen von riesigen Soja-Monokulturen von ihrem Land vertrieben worden. Die Großgrundbesitzer, die zwar nur 0,83 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, aber 43 Prozent des fruchtbaren Bodens besitzen, machen nun das große Geschäft. Die Sojabohne, nicht mehr die Kaffeebohne, ist heute Brasiliens wichtigster landwirtschaftlicher Devisenbringer.

Der Ackerboden, der 40 Millionen Brasilianer mit Nahrung versorgen könnte, liefert nun das Futter für 40 Millionen europäische Mastschweine. Wir in Europa hingegen produzieren mit dem billigem Kraftfutter eineinhalbmal soviel Fleisch wie wir verbrauchen können.

Hans Kandler vom Klimabündnis Österreich: "Es ist ein zynischer Aspekt des menschenverachtenden Dreieckhandels zwischen Europa und der Dritten Welt: Unterernährte Kinder brasilianischer Kleinbauernfamilien, die in die Slums getrieben wurden, um Platz für die Monokulturen zu schaffen, werden mit Milchpulver aus EU-Beständen aufgepäppelt."

"Es wäre zwar verkürzt zu behaupten, daß wegen der exportorientierten Landwirtschaft 32 Millionen Brasilianer hungern müssen. Aber es ist die tödliche Kombination aus Verschuldung (und damit dem Zwang zur Erwirtschaftung von Exporteinnahmen um jeden Preis), himmelschreiender Kluft zwischen Arm und Reich und einer Exportwirtschaft, die durch Verdrängung von Kleinbauern diese Kluft noch vergrößert," analysiert Walther Schütz vom ÖIE-Kärnten. "Man müsse sich nur vorstellen, daß zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche gegenwärtig zur Erzeugung von tierischen Produkten dient. Aufgrund der immensen Fleischnachfrage verbrauchen die Industriestaaten mit einem Viertel der Weltbevölkerung drei Viertel der gesamten agrarischen Produktion!"

In tausenden Waren Österreich, das 1997 nur 37.059 Tonnen Soja erntete, importiert jährlich 450.000 Tonnen Sojaschrot. Dies entspricht einer Anbaufläche von etwa 2.500 Quadratkilometer. Ein Drittel davon ist brasilianisches Soja, das direkt oder über Ölmühlen in Deutschland importiert wird. Indirekt brauchen wir aber viel mehr Soja.

Denn für die Herstellung von Lecithin, einen Emulgator, der Wasser und Fett miteinander verbindet und als Grundstoff in zigtausenden Produkten steckt, werden viele Bohnen gebraucht. Allein die Schokoladenindustrie benötigt jährlich 45.000 Tonnen. Um diese Menge Lecithin zu erhalten braucht Europa über 40 Millionen Tonnen Sojabohnen. Sie stammen zu zwei Drittel aus den USA und zu einem Drittel aus Brasilien. Lecithin aus Sojaöl gilt als Zusatzstoff, und dafür schreibt die "NovelFood-Verordnung" keine Gentechnik-Kennzeichnung vor!

Die Sojabohnen aus Brasilien wären überflüssig, wenn die österreichische Landwirtschaft nach den Richtlinien des Ernte-Verbandes aufgebaut wäre. Denn die österreichischen Ernte-Verband-Bauern produzieren nicht nur gentechnikfrei, sondern dürfen auch nur in Ausnahmefällen (Ernteausfälle, ...) österreichisches, gentechnikfreies Futtermittel zukaufen. Dann wären die Zeiten vorbei, wo allein Westeuropa für Futtermittel in der "Dritten Welt" eine Fläche von 150.000 Quadratkilomter "besetzt".

Alfred Haiger, Vorstand des Institutes für Nutztierhaltung an der Universität Wien für Bodenkultur: "Und hier in Europa verfüttern viele Betriebe die Erträge von zehnmal soviel Land, wie sie selber besitzen. Die anfallenden Güllemengen müssen sie dann auf einem Zehntel der ökologischen sinnvollen Fläche wieder loswerden."

Der Autor ist Mitarbeiter von Klimabündnis Kärnten.

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