Wenn der Wald brennt
DISKURSVernichtung des Regenwaldes als Milliarden-Geschäft
Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Amazoniens bringt Konzernen einen Mega-Gewinn Für die Biosphäre und das Weltklima bedeutet es allerdings einen desaströsen Schlag.
Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Amazoniens bringt Konzernen einen Mega-Gewinn Für die Biosphäre und das Weltklima bedeutet es allerdings einen desaströsen Schlag.
Das Ausmaß der Zerstörung ist atemberaubend: Gab es im Jahr 1960 weltweit noch etwa 40 Millionen Quadratkilometer tropischen Regenwald, so ist diese Fläche in den vergangenen 50 Jahren halbiert worden. Tag für Tag werden 415 Quadratkilometer gerodet. Das entspricht etwa der Fläche Wiens. Und die Folgen sind auch abseits des Artensterbens dramatisch: In den Pflanzen und im Boden darunter sind riesige Mengen Kohlenstoff gespeichert. Werden die Flächen durch Brandrodung bearbeitet, gelangen Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre. Die Abholzung gilt als eine der Hauptursachen des vom Menschen erzeugten Treibhauseffekts.
Einer der wichtigsten Faktoren für die Rodungen ist die Beschaffung von Nutzholz für den Export. Auch die Flächengewinnung für die Landwirtschaft durch Brandrodung spielt eine entscheidende Rolle. Einerseits entstehen Plantagen für den Anbau exportstarker Produkte wie Soja oder Kaffee. Andererseits wird Weideland für die Viehwirtschaft angelegt. Und die Nachfrage nach Holz, Eisen, Öl und Nahrungsmitteln steigt immer stärker an – dem unersättlichen Rohstoffhunger von Industriestaaten und Schwellenländern wie Indien oder China sei Dank. Kein Wunder also, dass die Länder Südamerikas trotz heftigem Gegenwind von Klimaforschern und Umweltschützern auch künftig den großen Gewinn wittern. Der Regenwald, oder besser die Vernichtung desselben, hat sich zum Milliardengeschäft entwickelt.
Goldgräberstimmung
Die Goldgräberstimmung zeigt sich exemplarisch am Beispiel des Sojaanbaus. Unter der Führung von Präsident Lula da Silva wurden in Brasilien zuletzt pro Jahr Zehntausende Quadratkilometer Regenwald im Namen des Sojaanbaus gerodet. Mit großem wirtschaftlichen Erfolg. 23 Millionen Tonnen der Pflanze exportiert das Samba-Land bereits Jahr für Jahr. Damit ist man dem Soja-Kaiser USA bereits dicht auf den Fersen. Ganz Südamerika produziert sogar bereits 52 Prozent der globalen Sojabohnenernte. Die Produktion hat sich in den vergangenen 40 Jahren nahezu vervierfacht.
Auch das schwarze Gold wirft seinen dunklen Schatten auf den Regenwald. So zum Beispiel im artenreichen Nationalpark Yasuni in Ecuador. Dort, tief unter der Erde, schlummern rund 800 Millionen Barrel Rohöl. Die Regierung Ecuadors verfolgt in dieser Sache einen eigenwilligen Plan: Industriestaaten sollen dafür bezahlen, dass eben nicht gefördert wird. Böse Zungen sprechen von Ablasshandel und ökologischer Schutzgelderpressung. Dabei könnte der Schuss für Europa gleich doppelt nach hinten losgehen: Künftige ecuadorianische Staatschefs könnten die Abmachungen der Vorgängerregierung als nicht bindend erachten und nach dem Abkassieren erst recht nach Öl bohren. Apropos Ablasshandel: Seit Monaten schon streitet die Staatengemeinschaft über die Einführung eines Zertifikatehandels in Sachen Regenwald. Diese Zertifikate können Industrieländer kaufen, um ihren Reduktionsverpflichtungen in Sachen CO2-Ausstoß nachzukommen. Zudem haben rund 60 Staaten unter der Führung von Frankreich ein Regenwald-Rettungsbudget von mehr als drei Milliarden Euro aufgestellt. Gut gemeint ist aber leider oft das Gegenteil von gut gemacht. Führende Experten wie Andy White von der Umweltschutzplattform „Rights and Resources Initiative“ üben heftige Kritik: „Die Staaten haben viel Geld versprochen, sich aber auf keinerlei Verteilungsstrukturen geeinigt.“ Somit könnten die Hilfsgelder zum Bumerang werden und steigende Korruption sowie eine noch stärkere Ausbeutung der indigenen Bevölkerung nach sich ziehen.
Paradoxerweise könnte ausgerechnet der freie Markt einen entscheidenden Betrag zum Erhalt der Biosphäre beitragen. Der Hintergrund: Nirgendwo kreucht und fleucht, schlängelt und flattert, wächst und gedeiht die Natur so artenreich wie in Brasilien. Ein Viertel aller weltweit bekannten Pflanzen ist hier zu Hause. Damit sitzt Brasilien auf einer gigantischen Schatztruhe – prall gefüllt mit noch unerforschten Biowirkstoffen. Eben diese Schätze will die Pharmaindustrie heben, um daraus neue Medikamente im Kampf gegen Krebs, AIDS oder Alzheimer zu gewinnen. Praktisch für die etwa 100 Konzerne, die derzeit im Regenwald forschen: Die dazugehörigen „Fachleute“ sitzen bereits vor Ort. Die Indios bedienen sich nämlich seit Jahrhunderten der einheimischen Fauna und Flora und haben ein erstaunliches medizinisches Wissen angehäuft. Experten sind davon überzeugt, dass sich diese „sanfte Ausbeutung“ der Wälder zum Milliardengeschäft entwickeln wird. Jetzt drücken selbst streng antikapitalistische Umweltschützer den Bioprospektoren der Pharmaindustrie die Daumen.
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