Ein Anschlag auf den Regenwald

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Seit mehreren Wochen geistert im brasilianischen Kongress das Projekt herum, die Abholzung des Urwalds im Amazonasgebiet enorm zu erleichtern.

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Seit mehreren Wochen geistert im brasilianischen Kongress das Projekt herum, die Abholzung des Urwalds im Amazonasgebiet enorm zu erleichtern.

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Eine vier Jahre alte provisorische Verordnung, wonach auf Privatland im Amazonasgebiet nicht mehr als die halbe Fläche abgeholzt werden darf, hatte zur Folge, dass allein in den letzten zwei Jahren 19.000 km2, also fast die Fläche Niederösterreichs, entwaldet wurde. Deswegen wollte die Regierung auch den privaten Landeignern nur mehr 20 Prozent Rodung zugestehen. Doch als das Projekt im gemischten Ausschuss von Senat und Abgeordnetenkammer landete, wurde es von den sogenannten "Ruralistas" umgedreht. Die Großgrundbesitzerlobby, die diesen Ausschuss dominiert, wollte einen Gesetzesentwurf ins Plenum schicken, der die Abholzung von 80 Prozent der privaten Flächen erlaubt.

"Wir schlugen Alarm" "Wir entdeckten dieses Virus im Kongress und schlugen Alarm", erzählte Roberto Ricardo vom Instituto Socioambiental (ISA) mit Sitz in Sao Paulo, Mitte Juni bei einem Besuch in Wien. Binnen kürzester Zeit konnten die brasilianischen Umweltschützer die Öffentlichkeit mobilisieren. Der Kongress wurde mit mehr als 20.000 Protestbotschaften bombardiert und die Presse löste eine landesweite Debatte aus. "Das war etwas Neues", strahlte Ricardo, "denn in den letzten 30 Jahren hat sich vor allem das Ausland für den Schutz unseres Regenwaldes und der indianischen Minderheiten eingesetzt." Das Bewusstsein, dass der Regenwald ein schützenswertes Gut sei, hat sich endlich auch bei der brasilianischen Bevölkerung, die tausende Kilometer entfernt lebt, durchgesetzt. Von den neun amazonischen Ländern hat Brasilien mit 65 Prozent den weitaus größten Anteil am Amazonasbecken. Etwa zwölf Prozent davon sind bereits entwaldet. Die aggressive Kolonisierungspolitik, die während der Militärdiktatur in den siebziger Jahren betrieben wurde, hat weite Flächen bereits erodiert. Noch immer betrachten Unternehmer den Regenwald als eine Bonanza, die nur auf die Ausbeutung wartet.

Roberto Ricardo, der als Rechtsberater für das ISA arbeitet, kennt die Methoden zur Genüge: "Zuerst holen sie die Edelhölzer heraus. Mit dem Kapital, das sie so lukrieren, werden Weiden oder Monokulturen angelegt, vor allem Sojaplantagen." Obwohl der Urwaldboden für Landwirtschaft nicht geeignet ist und nach wenigen Jahren keine Früchte mehr trägt, ist das Geschäft lohnend. "Raubwirtschaft" nennt Ricardo diese Methode, schnelles Geld zu machen. Denn zurück bleibt verstepptes Land, wo nichts mehr wächst. Das Instituto Socioambiental verfolgt seit 1994 das Ziel, die Umwelt, das kulturelle Erbe und die Menschenrechte insbesondere der indigenen Völker Brasiliens zu verteidigen. Dabei greift es auf die Erfahrungen des "Ökumenischen Dokumentations- und Informationszentrums" CEDI zurück. Seine Arbeit am Rio Negro, einem der beiden großen Amazonaszuflüsse, wird seit 1993 von den österreichischen Klimabündnis-Gemeinden und dem Institut für Internationale Zusammenarbeit (IIZ) unterstützt.

So gelang es, das mit elf Millionen Hektar Fläche größte zusammenhängende indianische Gebiet zu demarkieren: ein Territorium fast anderthalb mal so groß wie Österreich, an der Grenze zu Venezuela und Kolumbien. 22 indianische Ethnien leben dort in über 700 Gemeinschaften. Weiße und Mestizen gibt es nur in Gestalt von Militärs, Missionaren, ein paar Beamten und ehemaligen Straßenarbeitern, die zu Händlern oder Lokalpolitikern geworden sind. Straßen werden keine mehr gebaut. Außer der Armeepiste, die den Militärposten mit der venezolanischen Grenze verbindet, sind die Flüsse die einzigen Verkehrswege.

Kontakt mit den Weißen haben die indianischen Völker hier schon seit 300 Jahren. Aufgespürt von Missionaren, wurden sie später von den Exportpionieren entdeckt und in sklavenähnlichen Verhältnissen zur Gewinnung von Chicle für die Kaugummiproduktion und Latex für die Gummiindustrie eingesetzt. Die Militärs missbrauchten sie für die Absicherung der Grenze.

Für Nachhaltigkeit In dieser abgeschiedenen Gegend versuchen die indianischen Gemeinden gemeinsam mit dem ISA der von außen ins Amazonasgebiet getragenen Raubwirtschaft eine nachhaltige Wirtschaft entgegenzuhalten. Weitgehend abgekoppelt vom Markt, leben die Menschen von Subsistenzbau. Auf extrem kargen Böden bauen sie Maniokwurzeln an. Das ist extrem harte Arbeit, denn die Felder liegen meist mehrere Stunden oder sogar Tagereisen von den Dörfern entfernt.

Ein Reichtum an Früchten entschädigt die Urwaldbewohner für die eintönige Kost. Ein bisschen Jagd und Fischfang sorgen für Proteinzufuhr. Bargeld gibt es für Kunsthandwerk. Die traditionellen zwei- und dreifarbigen Korbwaren (siehe Bild) finden nämlich einen Markt in Sao Paulo und anderen Großstädten. Flechten ist Männersache. Ganz bewusst versuchen die geschickten Handwerker aber nicht das Korbmachen zu ihrem Hauptberuf zu machen. Geflochten wird am Abend oder am Sonntag.

Die Korbwaren treten dann eine lange Reise an: vom Dorf in den Hauptort Sao Gabriel sind es vier mühevolle Tage. Nicht weniger als 19 Wasserfälle oder Stromschnellen sind zu überwinden. Jedesmal muss das Kanu geleert, über die Felsen geschleppt und wieder beladen werden.

Von Sao Gabriel bis zum Amazonashafen Manaus dauert es nochmals vier Tage. Dann geht es über den Fluss bis Belem und schließlich auf Lastwagen nach Sao Paulo. Insgesamt eine Reise von drei Wochen. Trotzdem sind die Korbwaren der Baniwa konkurrenzfähig und bestehen neben den Billigimporten aus Fernost. Denn die Vermarktung wird nicht den traditionellen Zwischenhändlern überlassen, die wenig zahlen und viel verlangen, sondern der Föderation indianischer Gemeinden des Rio Negro.

Von jeder Reise nach Manaus werden Waren mitgebracht, die zum Selbstkostenpreis an die Dörfer verkauft werden. Roberto Ricardo sieht dieses System als großen Fortschritt gegenüber den früher von den Missionaren geförderten Tauschhandel: Kunsthandwerk gegen gebrauchte Kleidung aus Europa oder den USA: "Jeder kann kaufen, was er braucht: Kleider, Batterien, Kerosin für die Lampen." Früher wurden die indianischen Ureinwohner wie unmündige Kinder behandelt. Das sogenannte Indianerstatut unterstellt sie der Vormundschaft des Staates. Man betrachtete sie als rückständige Überreste eines überwundenen Zeitalters und ging davon aus, dass sie binnen weniger Jahrzehnte ausgestorben oder assimiliert sein würden. Tatsächlich verschwanden allein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 83 indianische Völker. Sie machen gerade noch 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Seit 1980 gibt es allerdings eine Trendumkehr und die Verfassung von 1988 räumt ihnen das Recht auf einen eigenen Lebensraum ein. Ihre Rechte werden von der Rechtsprechung sogar als originäre Rechte, die über dem Staat stehen und daher durch Gesetze nicht beschnitten werden können, beurteilt.

Die einfache Gesetzgebung hat den von der Verfassung vorgegebenen Schwenk noch nicht nachvollzogen. Allerdings hat sich inwischen auch die öffentliche Meinung zugunsten der indianischen Minderheiten verändert. Jüngste Umfragen brachten das überraschende Ergebnis, dass eine Mehrheit der Brasilianer es in Ordnung findet, wenn den Ureinwohnern weit überproportionale Gebiete überlassen werden. Denn ihnen traut man zu, den Urwald am besten zu erhalten.

Der tropische Regenwald Er ist besonders artenreich, der tropische und subtropische, immergrüne Regenwald: bis zu 100 verschiedene Baumarten pro Hektar. Meist trifft man drei "Baumstockwerke" an: Die oberste Etage besteht aus Baumriesen, die eine Höhe von 50 bis 60 Metern erreichen. Darunter bilden 30 bis 40 Meter hohe Bäume mit ihren Kronen ein geschlossenes Dach, unter dem sich ein Jungwuchs von etwa 15 Meter hohen Bäumen entwickelt.

Schätzungen zufolge leben rund 50 Prozent aller auf der Erde vorkommenden Planzen- und Tierarten im Regenwald. Sie sind bisher noch gar nicht alle bekannt und erforscht. Durch die rasch fortschreitende Vernichtung dieses Waldbestandes werden zigtausend dieser noch unbekannten Arten ausgerottet. Die Stabilität des Regenwaldes beruht auf einem empfindlichen Gleichgewicht des Zusammenlebens der Arten. Schon geringe Eingriffe haben schwerwiegende Veränderungen zur Folge.

In den letzten 18 Jahren wurden jährlich zwei Millionen Hektar Regenwald allein in Brasilien abgeholzt, wie die Auswertung von Satellitenbildern ergab. Zwischen 0,3 und 0,5 Prozent der Waldfläche gehen auf diese Weise verloren. Bei Anhalten dieser Rate der Abholzung würde der Amazonaswald in 150 Jahren auf die jetzt geschützten Gebiete zusammengeschrumpft sein.

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