Aufstand für den Regenwald

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Ureinwohner Brasiliens wehren sich gegen den Bau des Mega-Staudamms Belo Monte. Reportage aus einem untergehenden Naturparadies.

Ihre Körper mit Kriegsbemalung verziert, kommen sie aus den entlegensten Gegenden in Kleinbooten und Kanus den Rio Xingu herunter. Manche haben Holzspeere, Pfeil und Bogen dabei, tragen traditionellen Federschmuck. Die Häuptlinge und Führungspersönlichkeiten verschiedener Stämme haben eine Reise von bis zu drei Tagen auf sich genommen, um sich Ende März in einem Indigenendorf nahe der Kleinstadt Altamira im Amazonasgebiet zu versammeln.

Ihre Notlage führt Stämme zusammen, die sonst wenig Kontakt miteinander pflegen und in der Vergangenheit teils sogar verfeindet waren. Nun wollten sie gemeinsam auf ihr Anliegen aufmerksam machen: die drohende Vernichtung ihres Lebensraumes durch den Megastaudamm Belo Monte, den drittgrößten der Welt. Baubeginn: noch heuer.

Das gefährdete Paradies

Wo Belo Monte entstehen soll, findet man heute: Glasklares Wasser in Trinkqualität, ein breites Flussbett mit weichen Windungen, Steinformationen, die traumhafte Flusslandschaften entstehen lassen, einen dichten, undurchdringlichen Urwaldbewuchs auf beiden Seiten des Flusses und im Sommer atemberaubende Wasserfälle und spektakuläre Strände. Für die Indigenen ist er zudem Lebensgrundlage und unabdingbarer Bestandteil ihrer Kultur.

Doch das Mammutprojekt droht, den Fluss für immer zu verändern und große Vernichtung zu bringen. Daniel Apaïmama Juruna, ein Häuptling des Volkes Juruna, bringt die Ängste der Ureinwohner auf den Punkt: „ Der Xingu ist unser Leben, unsere Zukunft und die unserer Kinder. Das Ausmaß der Zerstörung will und kann ich mir nicht einmal vorstellen.“

Eine Umsiedlung ist für die Völker keine Alternative, denn sie haben eine besonders starke Bindung an ihr Heimatgebiet, die von der spirituellen Beziehung zu ihren Ahnen geprägt ist. Auch die junge Generation kann sich ein anderes Leben nicht vorstellen. So sagt schon die 19-jährige Genilda, ebenfalls aus dem Volk der Juruna: „Wir werden unser Land nicht verlassen, unsere Geschichte hat hier begonnen, unsere Vorfahren sind hier gestorben.“ Doch ihr Dorf ist eines der direkt betroffenen Gebiete, das zwar nicht überschwemmt wird, jedoch direkt an einer zukünftigen Hauptverkehrsader liegt. Eine Invasion ihres Gebietes ist daher absehbar, sie fürchten sich schon jetzt vor der drohenden Aggression, Kriminalität, Diebstahl, Prostitution. „Ich möchte, dass sich nichts ändert. Ich möchte in Ruhe und Frieden leben“, so Genilda.

Belo Monte stünde mit 11.233 Megawatt installierter Kapazität direkt hinter zwei anderen Kolossen: dem chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm und Itaipu im Süden Brasiliens. Da es sich um das größte Energieprojekt des Wachstumsprogramms der Regierung, „PAC“, handelt, ist es für diese besonders prestigeträchtig. Wasser als Energiequelle hat in Brasilien Tradition. Schon heute werden 70 Prozent des brasilianischen Stromes aus Wasserkraft gewonnen und die Wirtschaft hungert nach mehr: Prognosen sagen einen jährlichen Anstieg des Stromverbrauchs von fünf Prozent bis 2019 voraus. Besonders im Amazonasgebiet sollen weitere elektrointensive Industrien gebaut werden.

Strom für die Großindustrie

Schon das bisher größte Wasserkraftwerk in Amazonien, Tucuruí, stellt ca. zwei Drittel seiner Energie der Aluminiumindustrie zu Dumpingpreisen zur Verfügung. Dies kommt wiederum v. a. multinationalen Unternehmen zugute, während die Lokalbevölkerung viele Jahre vergeblich auf eine Stromversorgung warten musste.

Und der Energiegewinn hätte seinen Preis. Der Bau des Staudammes würde eine etwa 516 Quadratkilometer große Urwaldfläche unberührter Natur überfluten, was ungefähr der Größe des Bodensees entspricht. Zudem wird meist nicht erwähnt, dass durch den Bau der Kanäle für die Umleitung eine massive Masse an Erde ausgehoben werden muss, sogar mehr noch, als beim Bau des Panamakanals. An dem Flussabschnitt wohnen nicht nur etliche Familien, die von und mit dem Fluss leben, sondern hier befinden sich auch zwei indigene Territorien, die ihrer traditionellen Lebensgrundlage beraubt werden.

Das Mega-Bauprojekt wird geschätzte 100.000 Menschen in die Region locken. Doch Altamira, die größte am zukünftigen Staudamm gelegene Stadt, ist auf diese Flut nicht vorbereitet. Schon heute leidet die Bevölkerung unter einer äußerst prekären Infrastruktur. Besonders befürchtet die Lokalbevölkerung einen Anstieg von Krankheiten, von Kriminalität, gewalttätigen Landkonflikten, Prostitution und Drogenkonsum.

Zumindest am Xingu ist Wasserkraft keine erneuerbare, saubere Energie. Denn nur in ihrem ursprünglichen Zustand ist die Region ein wichtiger Kohlenstoffspeicher: Die Universität von Minas Gerais hat mit dem Institut für Umweltforschung in Amazonien einen Wert von 3,2 Milliarden Tonnen ermittelt. Deren Freisetzung im Zuge von Überschwemmung und Abholzung entspräche fast den gesamten Emissionen unseres Planeten in einem Jahr – ein erhebliches Klimarisiko.

Das Einzugsgebiet des Rio Xingu ist ein wichtiges Refugium indigener Gemeinschaften und beherbergt 24 verschiedene Völker. Diese wissen, dass Belo Monte ein Exempel statuieren würde und weitere Staudämme entlang des Rio Xingu und somit in indigenen Territorien wahrscheinlich sind. Das Energieministerium plant in den nächsten zehn Jahren Investitionen von umgerechnet über 44 Milliarden Euro in Wasserkraft. Viele der geplanten Staudämme befinden sich in Naturschutzzonen.

Seit mehr als 20 Jahren leisten die Indigenen organisierten Widerstand und finden zunehmend auch in Hollywood Unterstützung. Zuletzt haben „Avatar“-Regisseur James Cameron und Sigourney Weaver an Protestveranstaltungen teilgenommen.

Das Engagement der Stars hat den Indigenen eine große öffentliche Präsenz verschafft, von Reportagen im größten nationalen Fernsehsender Globo bis hin zur Berichterstattung in der New York Times. Aussagen von großen Investoren wie Suez machen deutlich, dass der laute Protest und die Beteiligung internationaler Berühmtheiten dazu beigetragen haben, dass sie sich in letzter Minute doch nicht an der Bauausschreibung beteiligt haben.

Zudem ist nicht einmal die Wirtschaftlichkeit von Belo Monte unumstritten: Bedingt durch natürliche Schwankungen des Wasserstandes würden im Jahresdurchschnitt nur 40 Prozent der möglichen Leistung produziert, zeitweise sogar nur etwa zehn Prozent.

Politischer Druck

Umso erstaunlicher, mit welcher Vehemenz von politischer Seite versucht wird, das Projekt durchzuboxen. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva betont fast schon aggressiv, dass Belo Monte auf jeden Fall gebaut wird, zur Not allein aus Regierungsmitteln. Gemäß diesem Versprechen wird das Konsortium, das den Bauauftrag erhielt von einer staatlichen Firma angeführt. Gleichzeitig wird die brasilianische Entwicklungsbank voraussichtlich 80 Prozent der Finanzmittel für den Bau zur Verfügung stellen.

Außerdem ist der politische Druck auf die Entscheidungsträger unverkennbar. Obwohl neben zahlreichen Experten sogar das technische Team der für die Umweltgenehmigung zuständigen Behörde IBAMA die Umweltverträglichkeitsstudie für lückenhaft erklärte, wurde die Genehmigung erteilt.

Auch die Spitze der Justiz steht auf Regierungsseite. In der letzten Woche vor der Auktion des Bauauftrags wurden zwei einstweilige Verfügungen, die die Auktion aussetzten, im Schnelldurchlauf in höchster Instanz aufgehoben. Soziale Bewegungen sprechen von einem Verstoß gegen geltende Gesetze und nennen das Vorgehen der Regierung autoritär.

Die betroffenen Indianer können die Maxime der Wirtschaftswelt nicht nachvollziehen. In einem Offenen Brief an die Regierung heißt es: “Wir kämpfen auch für die Zukunft der Welt. Denn alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie verbindet. Die Zerstörung der Wälder und indigenen Völker wird letztendlich die Zerstörung der ganzen Welt bedeuten.“

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