Hans Kandler ist entwicklungspolitischer Referent im Klimabündnis Österreich. Bis 1992 war er zwanzig Jahre lang in Brasilien als Berater bäuerlicher und indianischer Organisationen tätig. 1991 erhielt er den Alternativ-Nobelpreis.
DIE FURCHE: Lula scheidet mit sensationellen Beliebtheitswerten aus dem Amt. Aber seine Ökobilanz ist höchst umstritten.
Hans Kandler: Die Regierung Lula hat vor allem versucht, die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens nach einem Modell der nachholenden Entwicklung voranzutreiben. Mit dem Ausbau von Straßen, Eisenbahn, Häfen, Verbesserung der Energieversorgung wollte er die wirtschaftliche Produktion und den Export fördern. Die Umwelt ist da erst an zweiter oder dritter Stelle gekommen.
DIE FURCHE: Und weiterhin wird Regenwald im Amazonas abgebrannt.
Kandler: Die Tendenz der Rodungen ist rückläufig. Vor einigen Jahren noch wurden jährlich 20.000 km2 oder mehr abgeholzt. Heuer sind es vielleicht nur mehr 5000 km2. Allerdings wurden dieses Jahr wieder besonders viele Feuer beobachtet. Die Tendenz der Waldzerstörung hat sich verringert, aber sie besteht weiterhin, vor allem für die Erschließung von Weidegrund für Rinder und Anbauflächen für Soja.
DIE FURCHE: Ist diese Verringerung einer aktiven staatlichen Politik zu verdanken?
Kandler: Es war sicher ein Anliegen der früheren Umweltministerin Marina da Silva, durch Bewusstseinsbildung Rodungen zu verringern. Es wurde viel in die Verfolgung illegaler Rodungen durch zuständige Gerichte und Behörden investiert. Das ist aber immer noch mangelhaft. Es wurden viele Strafen verhängt, die dann aber nicht bezahlt worden sind. Andererseits hat der Druck aus dem Ausland dazu geführt, dass sich die großen Rindfleischexporteure verpflichtet haben, Fleisch nur von Züchtern zu kaufen, die nicht gerodet haben. Das ist aber schwer zu überprüfen. Auch bei Soja ist es gelungen, nur von Produzenten zu kaufen, die nachweislich nicht auf frisch gerodeten Flächen anbauen. Das ist eine Reaktion auf internationale Kritik. Das Zusammenspiel dieser Faktoren hat geholfen.
DIE FURCHE: Lula unterstützt eine Anzahl höchst umstrittener Megaprojekte.
Kandler: Ja, da gibt es vor allem die großen Wasserkraftwerksprojekte am Rio Madeira nahe der bolivianischen Grenze. Von den vier geplanten Staustufen sind zwei schon im Bau. Da wurden die Umweltauflagen nicht eingehalten. Daneben gibt es das bekannte Projekt Belo Monte am Rio Xingú, wo das drittgrößte Kraftwerksprojekt der Welt entstehen soll. Die Regierung beteuert, das sei notwendig, um die Region Ostamazonas zu entwickeln. Aber vermutlich geht es um die dort ständig zunehmende Produktion von Soja und Biodiesel und neue Bergbauunternehmen. Trotz großen Widerstands in der Bevölkerung wurde auch die Umleitung des Rio São Francisco in Angriff genommen. Es heißt, das soll der Trinkwasserversorgung dienen. Aber in der Region sind Zuckerplantagen im Entstehen. Es gibt auch Pläne für den Anbau von Tafeltrauben, Mangos und anderen tropischen Früchten.
DIE FURCHE: Umweltschutz wird also von weiten Teilen der Politik noch immer als Luxusthema gesehen.
Hans Kandler: Und als internationale Verschwörung. Im Parlament zirkuliert ein Gesetzesantrag, der den Waldschutz abschwächen will. Bisher dürfen Landeigentümer in Amazonien nur maximal 20 Prozent ihres Besitzes roden. Der Antrag sieht vor, diese Grenze auf 50 Prozent anzuheben und alle, die bisher zuviel gerodet haben, zu amnestieren. Davon würde unter anderem die Senatorin Katia Abreu vom Bundesstaat Tocantins profitieren. Dabei hört man immer wieder das Argument, die Rodungslimits seien vor allem internationalen Lobbys geschuldet, die die Entwicklung Brasiliens aufhalten wollen.
Hans Kandler ist entwicklungspolitischer Referent im Klimabündnis Österreich. Er hat bis 1992 zwanzig Jahre in Brasilien als Berater bäuerlicher und indianischer Organisationen gearbeitet und wurde 1991 mit dem Alternativ-Nobelpreis ausgezeichnet.
* Das Gespräch führte Ralf Leonhard