Lulas gemischtes Erbe

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Zum Jahreswechsel übernimmt Dilma Roussef das Präsidentenamt in Brasilien von ihrem populären Vorgänger Lula und will seine Politik fortsetzen. Die Sozialprogramme jedoch sind nicht nachhaltig.

Brasilien: Dass man damit heute nicht mehr automatisch dürftig bekleidete Schönheiten assoziiert, die am Karneval von Rio ihre üppigen Körperteile im Sambarhythmus drehen, oder hungrige Kinder in den Favelas, ist Luiz Inácio Lula da Silva zu verdanken, dem es in acht Jahren gelungen ist, das Image des Landes nachhaltig zu modernisieren. Brasiliens Wirtschaft boomt, das Land spielt im Konzert der aufstrebenden Mächte mit: Gemeinsam mit Indien, China und Südafrika zählt Brasilien zu jenen Schwellenländern, die im Konzert der großen Industriestaaten gehört werden. Anders als Venezuelas Hugo Chávez, der kraft Ölreichtums und mit polarisierendem Diskurs eine Führungsrolle beansprucht, wird "Lula", der ehemalige Gewerkschaftsaktivist, in Lateinamerika als natürliche Autorität anerkannt. Er versuchte, nach dem Rechtsputsch in Honduras zu vermitteln, und konnte sogar den Atomkonflikt des Westens mit dem Iran kurzzeitig entschärfen. Und er widerstand der Versuchung, seine Popularität für eine Verfassungsänderung zu nutzen, um sich an der Macht zu halten.

Wäre Lula nochmals angetreten, was ihm die Verfassung verbietet, hätte er mit 80 Prozent Zustimmung rechnen können. Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff verkündete kein anderes Wahlprogramm, als die Politik Lulas fortzusetzen. Brasilien ist in den vergangenen Jahren moderner, reicher, mächtiger und ein Stückchen weniger unsozial geworden. Immerhin 10,5 Millionen Arbeitsplätze wurden allein zwischen 2003 und 2008 geschaffen, die Arbeitslosenquote sank in diesem Zeitraum von 12,3 auf knapp acht Prozent. Die Mindestlöhne wurden mehrmals angehoben, sodass nicht weniger als 24 Millionen Menschen die in Einkommen bemessene Armutsgrenze hinter sich lassen konnten. Unter Lula wurden Tausende Sklaven, die es mehr als hundert Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei auf manchen Latifundien noch gab und gibt, befreit. Landlose Bauern bekamen Land, das ihnen laut Verfassung auch zusteht.

Erfolgreiche Armutsbekämpfung

Eine solche Bilanz konnte kein anderer Präsident je vorweisen. Trotzdem gibt es viele kritische Stimmen. Der überraschend hohe Stimmenanteil von 20 Prozent für die ehemalige Vizeministerin für Umwelt Marina Silva in der ersten Runde ist der Beweis dafür. Die Unzufriedenen sind enttäuscht, dass Lula, der Mann, der aus der Basis kommt, der Jahrzehnte lang in der Gewerkschaft gegen die mächtigen Unternehmer angekämpft hatte, zu einem Agenten des Großkapitals geworden sei. Das enorme Wachstum der letzten Jahre wurde mit genau jenen Investitionen erzielt, die von den Kleinbauernbewegungen als zerstörerisch angeprangert werden: Agrobusiness und Monokulturen von Zuckerrohr, genmanipulierte Soja und Ölpalmen. Die Ausweitung der Anbauflächen geht teilweise immer noch auf Kosten des Regenwaldes, der nahezu unvermindert niedergebrannt und abgeholzt wird.

Lula versuchte es allen recht zu machen, indem er die Wirtschaftspolitik seiner Vorgänger fortsetzte und gleichzeitig etwas für die Ärmsten unternahm. Speziell am Beginn seiner ersten Amtsperiode zeigte sich der erste linke Präsident des Landes bemüht, das Kapital zu beruhigen. Erst als die Investoren sich sicher fühlten, dass ihnen keine Gefahr drohte, wagte sich Lula an die sozialen Probleme heran. Wirklich erfolgreich war die Armutsbekämpfung durch neue Jobs und Kredite für Gesellschaftsschichten, die bisher vom formalen Kreditwesen ausgeschlossen waren, meint der deutsche Brasilienexperte Thomas Fatheuer im ila-info, der Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Der dadurch erzeugte Kaufkraftschub für die Armen habe die Wirtschaft belebt. Die vielgepriesenen Sozialprogramme hingegen mögen zwar zur Armutsminderung beigetragen haben: 15 Millionen bekommen Transfers aus der Bolsa Família. Nachhaltig seien diese Programme aber nicht, meint der österreichisch-brasilianische Bischof Erwin Kräutler über das Null-Hunger-Programm: "Im Nordosten gibt es Leute, die mit 35 nicht mehr arbeiten wollen, weil sie jeden Monat einen Lebensmittelkorb bekommen. Assistenzialismus ist keine Lösung." Eine eigenständige Lebensgrundlage könnten die Menschen durch Ackerland bekommen. Aber bei der Landreform sei viel zu wenig weitergegangen, beklagen die Aktivisten der Landlosenbewegung MTS, ohne deren massive Unterstützung Lula wahrscheinlich vor acht Jahren nicht gewonnen hätte. Noch immer gibt es Latifundien von der Größe österreichischer Bundesländer, während Millionen Landloser oder Kleinbauern viel zu wenig Land haben, um auch nur überleben zu können.

Keine sozialistische Revolution

Vor einem Dilemma standen diese Bewegungen vor der Stichwahl: Zwar kritisierten sie Lula und erwarten sich auch von der Technokratin Dilma Rousseff wenig Verständnis für ihre Sache, doch einen Sieg des Oppositionskandidaten José Serra von der rechtssozialdemokratischen PSDB wünschten sie sich noch weniger, obwohl auch der am Kurs Lulas festhalten will. Für die brasilianische Elite, die Unternehmer und Großgrundbesitzer stand wenig auf dem Spiel. Sie sind Teil des Wirtschaftswunders und werden auch in Zukunft keine sozialistische Revolution befürchten müssen.

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