Rotes Wunder in Stagnation
Die "linke Wende" in Lateinamerika war von Hoffnung auf Wohlstand für alle getragen. Doch Korruption und Unfähigkeit lassen auch Marxisten scheitern.
Die "linke Wende" in Lateinamerika war von Hoffnung auf Wohlstand für alle getragen. Doch Korruption und Unfähigkeit lassen auch Marxisten scheitern.
Das waren noch Zeiten, gar nicht allzu lange her, da rote Krawatten etwas galten in den Parlamenten und Regierungspalästen Südamerikas. Das waren jene Zeiten, als Venezuela und Brasilien im Schwung steigender Rohstoff-und Ölpreise gemeinsam ein neues Zeitalter für Südamerika einläuten wollten. Fort von den neoliberalen Experimenten einer US-geprägten Welthandelspolitik. Hin zu einer neuen Globalisierung, deren Vorzeigevisionäre Hugo Chávez in Caracas und Lula da Silva in Brasília waren.
Es gab Hoffnung für alle und die dazugerhörigen Versprechen von Gerechtigkeit und Wohlstand. Ein Reichtum der Nationen anderer Art. In der Art des Lieblingsgefährtes von Hugo Chávez: Bescheiden, für jeden erschwinglich, Aufschwung versprechend: ein VW-Käfer. An Chávez und da Silva orientierten sich auch Argentiniens Christina Kirchner, Boliviens Evo Morales und Chiles Michelle Bachelet. Rechnet man die Politik auf die Bevölkerung hoch, dann leben heute 295 Millionen Südamerikaner von insgesamt 385 Millionen in den Staaten gemäßigter oder radikaler linker Strategien.
Doch der Erfolg lässt abseits der politischen Rhetorik immer noch auf sich warten. Nicht nur in Venezuela. Und mehr noch: Auch die Zukunft der meisten linken Regierungen sieht mehr als düster aus.
Das gilt vor allem für das größte Land des Kontinents, Brasilien und die dort regierende Arbeiterpartei. Sie ist seit mehr als einem Jahrzehnt an der Macht und kämpft nicht nur mit einer stagnierenden Wirtschaft. Sie zeigt auch unfreiwillig eindrucksvoll, dass Korruption kein politisches Glaubensbekenntnis scheut. Denn zwischen 1998 und 2012 hat die Partei nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zwischen 97 Millionen und 1,9 Milliarden Dollar von der staatlichen Ölgesellschaft Petrobras abgeschöpft.
Korruption und Geldwäsche
Das dabei angewandte Verfahren erfüllt laut Anklage den Tatbestand der Korruption, der Geldwäsche und der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und mittendrin im Sumpf: Dilma Rousseff, die Präsidentin und Nachfolgerin Lulas. Sie war zwischen 2003 und 2010 Chefin des Aufsichtsrates des Ölkonzerns.
Ähnlich politisches Missgeschick widerfährt derzeit der Präsidentin Argentiniens Christina Fernandez de Kirchner, nicht nur weil Argentinien sich seit 2001 in einer veritablen Währungskrise befindet. Sie ist auch wegen eines Anschlags auf eine Synagoge im Jahr 1994 in Buenos Aires unter Druck geraten. Ein Staatsanwalt, der in dem Fall ermittelte, wollte gegen die Präsidentin offenbar einen Haftbefehl wegen Verschleierung und Behinderung der Justiz erwirken, ehe er auf noch ungeklärte Weise ums Leben kam.
Von solchen kriminellen Vorwürfen ist Boliviens Evo Morales frei. Und überhaupt scheint Boliviens Regierung wesentlich mehr richtig gemacht zu haben, als die großen Vorbilder Venezuela und Brasilien. Denn die Wachstumsraten liegen immer noch zwischen fünf und sieben Prozent und das trotz der großen Abhängigkeit von Erdgasexporten bei fallenden Weltmarktpreisen. Eine wachsende Unternehmer- und Mittelschicht ist in den vergangenen Jahren entstanden.
Auch die von Morales durchgeführte teilweise Verstaatlichung von Öl-und Gaskonzernen scheinen sich nicht nachteilig ausgewirkt zu haben. Der Rohstoff-Export Boliviens hat sich seit 2004 versechsfacht.
Für die rote Krawatte ist die positive Wirtschaftsentwicklung freilich nicht unbedingt vorteilhaft. Evo Morales sieht sich etwa Vorwürfen seines Vizepräsidenten ausgesetzt, er sei ein neoliberaler Wolf im sozialistischen Schafspelz. Daraus kann man lernen, dass man im echten Leben vieles richtig, politisch aber trotzdem alles falsch machen kann.
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