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Kuba als Vorwand

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Der „Ständige Rat” der „Organisation Amerikanischer Staaten” (OAS) hat auf seiner Tagung in Washington beschlossen, die Außenminister am 8. November nach Quito (Ekuador) einzuberufen, um über die Aufhebung der vor zehn Jahren gegen Kuba verhängten panamerikanischen Blockade zu beschließen.

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Der „Ständige Rat” der „Organisation Amerikanischer Staaten” (OAS) hat auf seiner Tagung in Washington beschlossen, die Außenminister am 8. November nach Quito (Ekuador) einzuberufen, um über die Aufhebung der vor zehn Jahren gegen Kuba verhängten panamerikanischen Blockade zu beschließen.

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Damals waren es Venezuela und Costa Rica, die am schärfsten für die Diskriminierung der fidelistischen Insel eintraten. Jetzt war der Außenminister von Costa Rica, Gon- zalo Fäcio, im Verein mit Venezuela und Kolumbien der Initiator des Widerrufs. Damals warnte Uruguay in Punta del Este, daß die Blockade nur die Stellung Castros stärken werde. Jetzt bestand Uruguay mit Chile darauf, daß die von Fäcio als nur „rhetorische Subversion” bezeichnete Intervention Castros zugunsten der Terroristen in ihren Ländern sich als Realität von heute beweisen ließe. Aber auch Brasilien drang nicht mit dem Antrag durch, sie vor der Beschlußfassung untersuchen zu lassen. 18 Staaten — mehr als die Zweidrittelmehrheit — sind entschlossen, die Diskriminierung Kubas so schnell wie möglich zu beenden.

Die Haltung der USA ist nicht eindeutig. Ihr Botschafter bei der OAS, William Maillard, erklärte: „Meine Regierung ist darauf vorbereitet, die Revision des bisherigen Standpunktes zu unterstützen.” Aber Kissinger ließ sich alle Türen offen. Gleichzeitig ist die nordamerikanische Position unhaltbar geworden. Gerade die große nordamerikanische Presse hat — mit starkem Echo in Lateinamerika — erklärt, die Vereinigten Staaten hätten kein Recht, die Bestrafung Kubas wegen der Intervention in anderen Ländern zu fordern, da sie selbst Millionen für die Opposition gegen das Allende- Regime in Chile aufgewendet hätten. Im nordamerikanischen Kongreß scheint sich auch immer mehr die Ansicht durchzusetzen, daß es absurd sei, mit Peking Frieden zu schließen und den Krieg mit Castro fortzusetzen. Die Normalisierung der Beziehungen scheint auch nicht daran zu scheitern, daß sich der sehr pragmatische Außenminister Kissinger ihr widersetzt, sondern daran, daß Fidel Castro erklärt, an guten Beziehungen zwar zu den anderen amerikanischen Staaten, nicht aber zu den USA interessiert zu sein und sich weigert, in die OAS zurück zukehren, solange sie im nordamerikanischen Fahrwasser schwimmt. Er hat hierbei einen unerwarteten Bundesgenossen gefunden. Die „Washington Post” schreibt: „Fidel Castro irrt sich nicht ganz, wenn er die OAS einfach als das Instrument ansieht, mit dem die USA ihren Einfluß in Lateinamerika ausüben.”

Man vermutet, daß sich die Vereinigten Staaten — wie Brasilien — der Stimme enthalten werden, wenn die Mehrheit der OAS die Aufhebung der Sanktionen beschließt. Der Kuba-Konflikt dürfte sich also kaum als Sprengstoff für die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika erweisen, mag man in ihm auch die Ouvertüre zu einem Drama sehen.

Dagegen scheint der Kampf tun die Rohstoffpreise zu einer entscheidenden Entfremdung zwischen den USA und den lateinamerikanischen Ländern zu führen. Auf Fords Erklärung, daß eine Steigerung der Petroleumpreise zur Weltwirtschafts- Katastrophe führen, könne, antwortete der venezolanische Präsident Carlos Andrės Pėrez in der wohl schärfsten Botschaft, die je das Staatsoberhaupt einer „befreundeten Regierung” an ein anderes gerichtet hat, daß die Industrieländer die elementarsten Notwendigkeiten des lateinamerikanischen Menschen mißbrauchten. Jedes Jahr hätten die lateinamerikanischen Produzenten mehr Kaffee, Fleisch, Zink, Kupfer, Eisen und Petroleum liefern müssen, um die nötigen Industriewaren teurer importieren zu können und seien dabei verarmt. Venezuela steht keineswegs allein. Die „Gruppe der 40” hat wochenlang über die von dem mexikanischen Präsidenten Luis Echeverria mit weltweitem Echo angekündigte „Charter der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten” in Mexiko-Stadt beraten. Man kam zu keiner Einigung, vor allem wegen der Haltung der USA in der Frage der Nationalisierung ausländischer Unternehmen in den Entwicklungsländern. Der mexikanische Außenminister Emilio O. Rabasa er klärte: „Wenn ginige Industriestaaten weiter Schwierigkeiten machen, die Charta anzunehmen, so müssen die Länder der dritten Welt ihre eigene entwickeln, in der sie ihre Prinzipien, Forderungen und Hoffnungen festlegen.”

Der wichtigste Wortführer der augenblicklichen Anti-Yankee- Kampagne in Lateinamerika ist aber Perü. Sein Außenminister, General Miguel Angel de la Flor, Wandte sich vor der UNO scharf gegen die „derzeitige ungerechte internationale Struktur” und verlangte, das Vetorecht im Sicherheitsrat sei zu beschränken. In Buenos Aires erklärte der peruanische Premierminister, General Edgardo Mercado Jarrin, „der neue Dialog” zwischen den USA und Lateinamerika beruhe auf der falschen Voraussetzung, daß beide gemeinsame Interessen hätten.

Die Nachrichtenagentur „Latin” verbreitete aus „lateinamerikanischer diplomatischer Quelle in Buenos Aires” eine sensationelle Meldung, wonach die Präsidenten von Mexiko und Venezuela Verhandlungen mit Fidel Castro aufgenommen hätten, um eine gemeinsame lateinamerikanische Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu bilden. Ob es sich hiebei um einen wahren Bericht oder eine Ente handelt?

Dieser neue Schrei nach „lateinamerikanischer Einheit” findet seinen ersten Niederschlag in der Änderung der Charter der Organisation Amerikanischer Staaten, deren Umfang noch nicht zu übersehen ist. Nach der Absicht der Reformer sollen ihr Sitz aus Washington in eine lateinamerikanische Hauptstadt verlegt und ihre Ziele von militärischen auf wirtschaftliche verlagert werden. Man hat in Lateinamerika stark beachtet, daß als neuer Sachbearbeiter für die Fragen des Subkontinents im State Departement Williams P. Rogers ernannt worden ist, der 1973 vorschlug, die USA sollten sich „mit viel Takt und Vorsicht” aus der „OAS” zurückziehen, damit diese nicht nur Kampfarena werde.

Eine weitere Etappe auf dem Wege zur vermeintlichen „lateinamerikanischen Einheit” wird ein Treffen der Präsidenten von Argentinien, Chile, Perü, Ekuador, Bolivien, Kolumbien und Venezuela sein, das am 7. Dezember in der peruanischen Hauptstadt Lima beginnen soll. Das Motiv ist mit diplomatischer Geschicklichkeit ausgesucht worden: Perü feiert den 150. Jahrestag der Schlacht von Ayacucho, bei der die Truppen Bolivars das letzte spanische Heer in Südamerika zur Übergabe zwangen. Man hat also nach Lima die Präsidenten der Länder eingeladen, die an diesen Kämpfen beteiligt waren. Der Beobachter fühlt sich freilich zu der Annahme verführt, daß nicht die historische Gemeinsamkeit, sondern die politische Konstellation der Gegenwart das Motiv für die lateinamerikanische Einheitskundgebung bildet. Brasilien, der wichtigste Partner der USA auf dem Kontinent, wird in Lima fehlen. Dort soll aber eine Gipfelkonferenz aller Präsidenten des Halbkontinents für Anfang 1975 einberufen werden.

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