6846971-1976_26_07.jpg
Digital In Arbeit

Kontinent der Generale

Werbung
Werbung
Werbung

Während sich auf außenpolitischer Ebene häufig eine Wechselwirkung zwischen den Positionen der lateinamerikanischen Regierungen feststellen läßt, entwickelt sich ihre Innenpolitik völlig unabhängig von den Einflüssen der Nachbarn. Das ständige Schwanken zwischen Demokratie und Diktatur ergibt sich in der Regel daraus, daß die zivilen Regime durch Zersetzung, Zersplitterung der Parteien und Korruption ihre Effizienz verlieren und die Offiziere dann das Vakuum der Macht ausfüllen. Trotz des Fehlens gegenseitiger Abhängigkeit ergibt sich dabei merkwürdigerweise, daß in mehreren lateinamerikanischen Ländern gleichzeitig dasselbe Kernproblem auftaucht. So ergibt es sich jetzt in Argentinien, Brasilien, Chile, Ekuador, Peru und Uruguay, daß die Auseinandersetzung zwischen den Offizieren und den Parteien in den Vordergrund rückt. Der Dialog zwischen Regierung und Bürgern, dem das Parlament dient, kann nur kurze Zeit durch Befehle übertönt werden. Ein Volk besteht nicht nur aus Rekruten. Sehr bald bemerken also die Regierenden, daß sie im luftleeren Raum agieren und in Gefahr sind, Besatzungsarmee im eigenen Land zu werden. Deshalb besteht der erste Schritt oft darin, daß sie prominente, meist nicht parteimäßig gebundene Zivilisten in die Regierungsmannschaft, vor allem auf dem Wirtschaftssektor, einschleusen. Der zweite Schritt ist es dann, daß sie einen „Staatsrat“ als „Ersatzparlament“ einrichten. (Er besteht in Argentinien als „Comisiön de Aseso-ramiento Legislativo“, als geratende Gesetzgebende Kommission“, aus 9 Offizieren der drei Streitkräfte, ist in Uruguay aus prominenten Zivilisten gebildet und hat — theoretisch — gesetzgebende Funktionen; er wird in Chile von Exprä-sidenten, ausgenommen Frei, mit nur beratender Funktion geleitet.) Der dritte Schritt ist es, daß sie ihre Regierungen als „Übergangslösung“ bezeichnen und die Rückkehr zur Demokratie versprechen. Dabei ergeben sich fast überall die Fragen, die augenblicklich die lateinamerikanische Innenpolitik beherrschen. Der argentinische Präsident General Jorge R. Videla erklärt immer wieder, daß die Militärregierung „die volle Wirksamkeit einer repräsentativen republikanischen und föderalistischen Demokratie“ anstrebe, aber vorläufig keine Frist zu deren Verwirklichung zu setzen vermöge. ' In Brasilien hat das Militärregime nach zwölfjähriger Herrschaft stok-kenden Schritts einen Weg zur Demokratisierung begonnen, auf dem freilich häufig ein Schritt vorwärts durch zwei Schritte rückwärts aufgehoben wird. So hat der Präsident General Geisel zwei Abgeordneten, die das Ende der Offiziersherrschaft forderten, die politischen Rechte auf zehn Jahre entzogen und vorgesorgt, daß die Regierungspartei „ARENA“ den Vorsprung vor der Oppositionspartei „MDB“ nicht verliere.

In Peru sprach der neue Präsident General Francisco Morales Bermü-dez zwar von der „Handlungsfreiheit der politischen Parteien“ und der Versöhnung zwischen den Streitkräften und den „Apristas“, der ersten lateinamerikanischen Revolutionspartei, die von den Offizieren seit 40 Jahren nicht an die Macht gelassen wurde, verfügte auch eine allgemeine Amnestie, erklärte dann aber, daß von freien Wahlen vorläufig keine Rede sein könne.

In Ekuador hat das Triumvirat unter dem Präsidium des Vize-Admi-rals Alfredo Poveda, das am 11. Jänner den bisherigen Diktator General Guillermo Rodriguez Lara ersetzt hat, erklärt, er wolle die künftige Verfassung durch ein Plebiszit legalisieren lassen und dann innerhalb von zwei Jahren die Macht den Parteien übergeben. Man hat diese Ankündigung mit einiger Skepsis aufgenommen.

In Uruguay hat der Chef kammandant Generalleutnant Jülio Cesar Vadora erklärt, daß Leute, „die die Verelendung des Landes herbeigeführt haben“ nicht auf leitende Stellungen zurückkehren könnten. Doch wird der Konflikt zwischen dem Präsidenten Juan Maria Borda-berry und den Streitkräften, der mit Bordaberrys Sturz endete, darauf zurückgeführt, daß der Präsident einen Ständestaat und die Offiziere eine „Demokratie“ mit den traditionellen Parteien („Colorados“ und „Blancos“) einführen wollten.

In Chile ist an eine „Demokratisierung“ in absehbarer Zeit nicht zu denken.

In fast allen genannten Staaten sind die marxistischen Parteien und ihre Parallelorganisationen aufgelöst, die „traditionellen Parteien“ hingegen nur „suspendiert“. Freilich bedroht die Videla-Regierung in Buenos Aires gerade jetzt jede politische Tätigkeit mit Gefängnisstrafe.

Die „repräsentative Demokratie“ bleibt also als These der OAS weiterhin auf dem Papier. Über das lateinamerikanische Schicksal entscheiden die Generäle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung