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Ein argentinisches Wunder

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„Die Regierung von San Luis fordert alle auf, für den Fortschritt der Provinz zu arbeiten und die Erbin Peröns bei der Machtausüljung zu unterstützen …. das Volk hegt keinen Zweifel. Die Pflicht gegenüber Perön heißt: die Fortsetzung seiner Regierung zu sichern …” Derartige Anzeigen erscheinen in argentinischen Zeitungen. Sie spiegeln eine höchst eigenartige Entwicklung wider.

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„Die Regierung von San Luis fordert alle auf, für den Fortschritt der Provinz zu arbeiten und die Erbin Peröns bei der Machtausüljung zu unterstützen …. das Volk hegt keinen Zweifel. Die Pflicht gegenüber Perön heißt: die Fortsetzung seiner Regierung zu sichern …” Derartige Anzeigen erscheinen in argentinischen Zeitungen. Sie spiegeln eine höchst eigenartige Entwicklung wider.

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Ein Wunder scheint sich in Argentinien vollzogen zu haben. Dr. Ricardo Baibin, der Führer der „Union Civica Radical”, der zweitgrößten argentinischen Partei nach dem Peronismus, der jahr- zenteland Gegenspieler Peröns war und als sein Freund endete, bestritt die Möglichkeit eines Militärputsches, während ein Kommunis’ten- führer von der Vorbereitung eines „Pinochetazo” sprach. Baibin behauptete, es bestehe ein „nationales Gewisses, das jeden Putschversuch in Argentinien verhindere”. Nun gibt es in Europa — und nicht nur dort — häufig Fälle, in denen ein schwacher König oder eine sehr prekäre Demokratie Autorität behält, weil die Institution stärker ist als ihr

Repräsentant. Aber die neueste Geschichte Argentiniens zeigt ein abweichendes Bild. Seit 1930 hat das argentinische Militär nicht nur in den fünf großen Militärputschen das Herrschaftsbild des Landes bestimmt. Auch frei gewählte Präsidenten wie Frondizi (1962) oder Illia (1966) wurden von den Streitkräften abgesetzt, weil diese — noch dazu bei objektiver Betrachtung zu Unrecht — ein „Vacuum der Macht” behaupteten. Nun wird die Persönlichkeit der Präsidentin mit einer ebenso intensiven wie geschickten Propaganda hochgespielt, obwohl man erkannt hat, daß der einige Zeitlang manipulierte Vergleich mit „Evita” konträr wirkt. Die Erklärungen, die die sorg fältig gekleidete und sich zurückhaltend gebende Präsidentin verliest, werden mit Respekt ange- hör.t. Man wartet mit einiger Spannung auf die Pressekonferenzen, zu denen sie in nächster Zeit bereit sein soü. Trotz allem dürften auch ihre intimsten Freunde kaum daran zweifeln, daß sie nur eine repräsentative Rolle zu spielen in der Lage ist und man sie überfordert, soweit eigene politische Entscheidungen von ihr erwartet würden. Nichtsdestoweniger konnte Dr. Baibin kürzlich erklären, daß man „trotz des Todes Peröns und des dadurch herbeigerufenen Vacuums nicht von einer fehlenden Stabilität der Regierung” sprechen könne. Daß diese Ansicht richtig ist, zeigt die kürz- liche Umorganisation des Regierungsteams, bei dem der Einfluß der „Orthodoxen” (also der „rechten” Peronisten) gestärkt wurde.

Es liegt vor allem die Frage nahe, wer die Drähte der Regierungs- maschine zieht. Nicht nur die Links- Peronisten greifen die „graue Eminenz” an, eine Rolle, in der sie den Sozialminister Jose Löpez Rega sehen. Er gehörte jahrzehntelang als Polizeiagent zur Bewachungsmannschaft Peröns, war in der Madrider Emigration sein vertrauter Privatsekretär und soll vor allem mit seinem Hobby, der Astrologie, häufig die Sterne nach dem Schicksal seines Gönners befragt haben. Auf intensiven Druck entfernte ihn „Isabelita” aus ihrer Nähe, ohne ihn freilich als Minister abzusetzen. Aber er kam schnell wieder und erklärte bei der Umbesetzung der Regierung: „Ich hatte darum gebeten, daß man auch roioh ersetze, aber da ich in diesem Augenblick der bin, der die Ohrfeigen bekommt, hielt man es für besser, nicht das Gesicht zu wechseln.” Neben ihm — und wahrscheinlich vor ihm — ist der auf Rechtskurs umorganisierte Gewerkschaftsdachverband CGT die stärkste Stütze der „isabelitischen” Regierung. Das ergibt sich besonders daraus, daß der bonaerenser Druckgewerkschaft, die nicht zur CGT gehört, und systematisch gegen die peronistische Gleichgewichtspolitik und den Sozialpakt mit wilden Streiks gearbeitet hat, die gewerkschaftliche Rechtspersönlichkeit — zum erstenmal von einem peronisti- schen Regime — entzogen wurde. Die zutage tretende Stabilität der Regie rung beruht auf der Erfahrung der letzten Jahre, die Offiziere haben nach dem alarmierenden Fehlschlag in den Epochen Onganias und Lanusses erkannt, daß ihre chronische politische Intervention nicht nur vom Volk mißbilligt wird, sondern auch erfolglos bleibt. Sie fühlen sich endlich in ihren Kasernen wohler, als auf der Vorderbühne der Politik.

Auf der anderen Seite sind sich alle politischen Parteien — mit Ausnahme winziger, wenn auch sehr aktiver revolutionärer Gruppen — darüber einig, daß sie bei freien Wahlen auf demokratischer Ebene nicht gegen die Peronisten auftreten können und daß jede Störung, soweit sie überhaupt mit Erfolg möglich wäre, das Heer gegen seinen Willen zum Putsch zwänge. Kurz, die Parteien stehen vor der Wahl, eine kleine Stimme in einem großen Chor zu erheben oder völlig zum Schweigen gebracht zu werden. Die Stabilität der argentinischen Regierung beruht nicht etwa darauf, daß nunmehr die „verfassungsmäßige Demokratie” zu einer „Kulturno,rm” geworden ist, sondern auf der rein vernunftsmäßigen Überlegung, daß jede Störung des Gleichgewichtes nur eigenen Machtverlust und allgemeines Chaos mit sich bringt. Insofern spielt „Isabelita” die Rolle einer Königin in einer parlamentarischen Monarchie, vor der man sich verbeugt, ohne ihr die politische Willensbildung zu überlassen — eine für Argentinien völlig neuartige Situation. Eine offene Frage bleibt, ob sie’ von Dauer sein kann. Der Machtkampf innerhalb der peroni- stiscthen Partei, Diskrepanzen, wie sie sich mit den „Radikalen” Balbins schon jetzt bei der Verstaatlichung der Femsehkanäle zeigen und der unzureichende Erfolg der Guerilleros-Bekämpfung deuten auf schwere Zeiten, denen eine Regierung mit prekärer Gleichgewichtspolitik kaum auf die Dauer gewachsen sein dürfte.

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