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Peron

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Einhundertfünfzig Meter hoch, dreiundvier-zigtausend Tonnen edelster Marmor aus Car-rara: ein Denkmal, wie es die Welt noch nicht gesehen! Die Hauptfigur, ein Arbeiter, ist siebzig Meter groß; sie trägt die Gesichtszüge Juan Perons. Dieses Monument, bei einem italienischen Bildhauer bestellt, wird wohl nie fertig werden. — Peron, der vor dem Krieg sowohl in Berlin wie in Rom, zuletzt als Militärattache, weilte, zeigte sich auch in dieser Bestellung als treuer Epigone der europäischen Diktatoren unseres Zeitalters.

Nun kehren also die Städte und Lande zu ihren alten Namen zurück: La Plata, die „Silberstadt“, die glänzende, heißt nicht mehr Eva Peron, die an der chilenischen Grenze liegende Stadt Villa Peron heißt wieder Las Cuevas und die Provinz Eva Peron erhält wieder ihren alten Namen La Pampa.

Mahnmale des Größenwahnes fallen damit; und aber tausend Büsten von Eva und Juan Peron, in Marmor, Gips und Haustein, stürzen. Bibliotheken und Buchhandlungen übergeben eine Flut von Broschüren und Büchern dem Feuer, bzw. dem Altpapiermarkt (Argentinien braucht dringend Rohstoffe aller Art), unter letzteren „Mein Leben“, wie, in Angleichung an „Mein Kampf“, die Autobiographie Evitas hieß, zugleich neues Evangelium des „Justizialismus“, Lehrbuch der Vaterlandskunde für alle Schulen und Heime.

Dem Europäer, der diesen Sturz eines Götzen verfolgt, will im ersten Augenblick ein Lächeln ankommen; ein solches steht uns aber nicht gut zu Gesicht. Nicht nur, weil die Mitwirkung vieler Europäer und Exulanten — und nicht nur der starken und einflußreichen deutschen Nationalsozialisten in Südamerika — Peron auf dem Weg zur Macht begleitet und maßgeblich unterstützt hat; nicht nur, weil' er ein Schüler von Männern war, die vor kurzem auch in Europa Millionen fanatischer Anhänger gewinnen konnten; nicht nur, weil Perons Gewalttätigkeiten, sein Sichhinwegsetzen über alle Menschenrechte, auch von einer „freien“ europäischen Presse mit Lobreden hingenommen und beschönigt wurde. Der Hauptgrund, der alle Europäer und Menschen, die eine wirklich freie Welt mitschaffen wollen, nachdenklich und betroffen machen muß, ist ein anderer.

Mit der Beseitigung der Denkmale und Broschüren, mit der Löschung der Namen, mit dem Sturz der Fassaden und Proklamationen rücken nämlich die Dinge noch nicht zurecht. Das Vakuum, der Leerraum, der jetzt sichtbar werden wird — er ist in vielem den inneren Leerräumen in Europa vergleichbar —, droht ja zunächst bereits sieben neue Dämonen anzulocken; die in das Haus einziehen wollen, aus dem einer von ihnen vertrieben wurde: es ist ja nicht so, daß die Dinge, die Verhältnisse in Argentinien das alte Gesicht und den alten Namen wiedererhalten sollen, den sie in dem Moment trugen, in dem Peron an die Macht kam: Korruption, Herrschsucht, Dünkel einer schmalen Schicht von Großgrundbesitzern und der ihnen versippten wenigen Geldmänner, dazu der Ehrgeiz von Generalen und Offizieren, das Elend breitester Massen, die Unbildung und Lebensgier des schwachen mittleren Standes, die Einsamkeit der kleinen, machtlosen gebildeten Zirkel im weiten Land, zentriert etwa in der Universität Cördoba (katholischerseits) und um die große Zeitung „La Prensa“ (liberalerseits).

Peron kam zur Macht; wiederholen wir es kurz: weil er als Vorsteher des von ihm selbst geschaffenen „Sekretariats für Arbeit und Fürsorge“ vor neun Jahren die Sorge für die Massen der Industriearbeiter, der kleinen Leute und der Landarbeiter übernahm, die in Formen des europäischen Frühkapitalismus, wie er in Manchester um 1770 herrschte, und in Formen des früher in allen Kontinenten verbreiteten Spätfeudalismus, wie er heute noch in Nah- und Fernost, in Afrika, Asien und Südamerika beheimatet ist, zwei Diktaturen, zwei Terrorherrschaften an Leib und Leben erfahren hatten. So bitter und so eindringlich, daß ihnen der „Justizialismus“, der „Weg der Gerechtigkeit“ Perons als Ausweg erschien, ja als eine Art wirklicher Gerechtigkeit. Die von Peron geschürte Feindschaft gegen das Ausland, zumal gegen die „böse Wall Street“, und die von seiner Frau offen zur Schau getragene Feindschaft gegen die alte adelige Gesellschaft des Landes entsprachen nur allzusehr den Ressentiments breitester Volksschichten,' genau so wie der Kirchensturm der letzten Monate reiche Nahrung fand in den von' keiner neuzeitlichen Seelsorge erreichten Massen der neuen südamerikanischen Großstädte. Es wäre eine gefährliche Illusion, eine böse Selbsttäuschung europäischer, freiheitlicher und christlicher Kreise, wollten sie sich über diese sichtbar gewordenen Erscheinungen beruhigen und etwa sagen: Perons und der Peronisten Feindschaft gegen die Kirche sei hinreichend erklärt mit der Ablehnung seines Ansuchens um die Heiligsprechung Evitas in Rom und mit der Agitation rotspanischer Exulanten unter der argentinischen Arbeiterschaft; diese Aktionen seien, ebenso wie die Xenophobie und andere Phänomene der peronisrischen Diktatur, auf die Individualität des gestürzten Diktators und seiner engsten Anhängerschaft beschränkt.

So aber liegen die Dinge nicht. Peron war, wie alle, die ihn näher kennenlernten, bestätigen, weit mehr ein Getrieben er'als ein Treiber. Getrieben aber wurde er nicht nur durch seine persönlichen Leidenschaften — diese gingen jähre-, vielleicht jahrzehntelang nicht über ein gewisses landesübliches Maß hinaus —, sondern durch die konkreten Verhältnisse, deren Druck er nicht gewachsen war. Argentinien ist, wie die Mehrzahl der Länder und Völker dieser Erde, ein Raum, in dem unbetreutei an Leib und Seele zutiefst unbetreute Massen heute einem doppelten Druck ausgesetzt sind: dem Druck rascher, oft übereilter Industrialisierung und dem Druck von innen und unten: das gesamte seelische Gefüge des Menschen kann sich nicht so schnell anpassen an eine Zivilisation, d i e ihn gleichzeitig mit unerhörten Reizungen, Versuchungen und Gefährdungen überfällt. Neonlicht; blendender Luxus, Filmreiz, Fernsehkult, daneben das Elend der Baracken und Erdhöhlen. Luxuswagen fahren, unweit der Hauptstadt, an den Kadavern von Rindern, an den Leichnamen von Menschen vorbei, die un-bestattet in die heiße Sonne dösen ...

Argentinien fehlt es, wie den meisten Ländern und Völkern dieser Erde, an Lehrern, Erziehern, Volksbildnern, an einem Management im guten amerikanischen Sinne des Wortes, also an Unternehmern, die, weitsichtig genug, mit Gewerkschaft, Wissenschaft, Psychologie und Soziologie zusammenarbeiten, um die Massen ihrer Arbeiter im Betrieb zu beheimaten. Argentinien fehlt es, wie den meisten Ländern und Völkern dieser einen Erde, an Priestern, Pfarrern, Seelsorgern; an Humanisten, an einem gebildeten Mittelstand, der Kultur nicht als Selbstgenuß und Selbstbefriedigung versteht, sondern als Anruf zur Verantwortung für das ganze Volk, die Gesellschaft.

Die Aufgaben, die den Erben Perons gestellt sind, sind also ungeheuer. Wenn sie nicht gelöst werden, wird morgen oder übermorgen ein neuer Peron versuchen, sie durch sein Einmannregime zu lösen; zunächst wahrscheinlich in einer Aufmachung, die vielen mundgerecht erscheinen mag auf den ersten Blick (siehe die Anfänge Mussolinis, Hitlers und Perons). Name ist Schall und Rauch: die Dinge, die konkreten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistig-seelischen Verhältnisse entscheiden, sie erzwingen Entscheidungen, wenn sie in einem Leerraum oder Engpaß verhaftet sind.

Ohne Zweifel fällt in diesem geschichtlichen Augenblick den kleinen christlichen Eliten Argentiniens und Südamerikas eine besonders schwere und große Aufgabe zu. Man spricht bereits von der Gründung einer katholischen Partei in Argentinien. Diese wäre eine absolute Neuheit im politischen Leben dieses erwachenden Kontinents. Eine katholische Partei in Argentinien: damit er geben sich alle Versuchungen, Chancen und Gefährdungen, denen verwandte Gründungen und Bewegungen im alten Europa im letzten Jahrhundert ausgesetzt und nicht selten erlegen sind. Perspektiven eröffnen sich hier, verlockend und gefährlich zugleich. Das aber steht bereits auf einem anderen Blatt, das dem kommenden Morgen gehört. Im unmittelbaren Heute fällt bereits eine wichtige Vorentscheidung: besitzen die nunmehr heimkehrenden politischen Flüchtlinge und die Mähner der inneren Emigration genug Kraft, um die Macht zu übernehmen aus der Hand der Generale und eine Regierung aufzubauen, die zunächst das wichtigste Kapital erwirbt, um eine Wende zum Besseren einzuleiten: das Vertrauen des eigenen Volkes und das Vertrauen der Völker, die darauf warten, Argen-tinien als Partner für den Aufbau einer.freien Welt zu gewinnen.

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