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Fette Jahre sind vorbei

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Die heutige Situation auf dem lateinamerikanischen Subkontinent ist ähnlich der der frühen sechziger Jahre. Damals wie heute gab es eine optimistische Startphase, in der Zivilregierungen den Militärherrschaften den Rang abliefen.

Die Allianz für den Fortschritt mit ihrer Bevorzugung demokratisch etablierter Zivilregierungen hatte damals eine Euphorie aus-

gelöst, welche Politikwissenschaftler um den US-Professor Edwin Lieuwen sogar das Austrocknen der militärischen Staatsstreiche in Lateinamerika voraussagen ließ.

Genau das Gegenteil trat ein. Land um Land wurde von den Militärs wieder übernommen.

Heute, obwohl nur noch Paraguay und Chile in den Händen der Militärs sind, besteht auch über die Lehren historischer Erfahrung hinaus wenig Grund zum Optimismus. Zwar gilt, daß die Uniformträger, die in Argentinien zum ersten Male in der lateinamerikanischen Geschichte zur Rechenschaft gezogen worden sind (die ehemaligen Juntamit-

glieder General Jorge Rafael Vi-dela und Admiral Emilio Eduardo Massera wurden in erster Instanz zu lebenslänglicher Haft verurteilt, weitere Militär- und Zivilgerichtsprozesse sind ebenso zu erwarten wie die Berufung gegen die jetzigen Urteile) wenig zu reden haben werden.

Indes, die neuerliche Rückkehr zu Zivilregierungen mag auch wieder zu stärkerer Einflußnahme der Militärs rückpendeln.

Der Schlüssel liegt in den zerrütteten Volkswirtschaften. Zwar haben gerade die Offiziere als Paten vieler monetaristischen Experimente das Wirtschaftschaos und die Uberschuldung mitverursacht. Sollte es den jungen Demokratien in Argentinien, Brasilien, in Peru, Uruguay und Guatemala jedoch nicht gelingen, die angeschlagenen Volkswirtschaften zu sanieren, ist ein neuerliches Eingreifen der Militärs, und sei es nur als „Korsettierung" demokratisch gewählter Regierungen, durchaus möglich.

Schwer vorstellbar ist jedenfalls, daß Lateinamerikas Uni-

formträger in Zukunft in den Kasernen bleiben werden. Denn ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluß ist in den letzten beiden Jahrzehnten zu stark geworden.

In dieser Zeit traten sie in verschiedenen Staaten — und genau das war das Neue — nicht mehr als Einzelpersonen oder Caudillos auf, sondern als kollektive militärische Institution. Dabei gewan-" nen die Offiziere nicht nur an politischem Einfluß und Status, sondern auch an Profil als Wirtschaftsmanager und Unternehmer.

Militärs als Chefs von Staatskonzernen und von strategisch wichtigen Schwerindustrien wurden zur Norm. Ganze Produktionszweige gingen in militärische Hand über.

Der so entstandene Typ des Militär-Managers sollte die jüngste „Rückkehr" zu Zivilregierungen überleben. Entscheidend wird

aber sein, ob die Offiziere sich ein neues Rollenbild in den Gesellschaften erarbeiten können. Denn derzeit ist ihr Prestige gering; eine Verurteilung, wie in Buenos Aires, eine Maßregelung, wie sie jetzt in Lima erfolgt ist, waren bis jetzt unvorstellbar.

Die brutalen Methoden der Anti-Guerilla sowie der Subversionsbekämpfung hinterließen auf dem gesamten Kontinent einen bitteren Geschmack. Das Fiasko des Falkland-Krieges von 1982 hat nicht nur die argentinischen, sondern alle lateinamerikanischen Offiziere abgewertet.

Nicht einmal die Reagan-Regierung, die seinerzeit mit den argentinischen Militärs für eine „Friedensaktion" in Mittelamerika geliebäugelt hat, will heute auf die professionellen lateinamerikanischen Armeen setzen.

Stattdessen überträgt sie die antisandinistische Einkreisungspolitik „Freiheitskämpfern" besonderer Art, nämlich Söldnern, Abenteurern und Glücksrittern.

Die USA würden allerdings diesen Armeen gerne eine neue Auf-

gäbe zuweisen: Die der Drogenbekämpfung. Die Offiziere jedoch wollen mit solchen „Polizeiaufgaben" nichts zu tun haben.

Die Rolle als Drogenbekämpfer lehnen sie strikt ab. Welche Rolle werden sich die Offiziere statt dessen aufbauen? Werden sie selbstlose Diener der verfassungsgemäßen Zivilregierungen? Werden sie Hüter der nationalen Unabhängigkeit, die heute durch die Uberschuldung angeschlagen ist?

Werden sie Vorkämpfer der Dritten Welt gegen koloniale Restbestände, die als Krieger gegen den Hunger und die Unterentwicklung, die als Pioniere, Straßen- und Brückenbauer, als Sanitäter und Lehrer der eigenen Bevölkerung helfen?

Oder werden sie doch wieder in enger Abstimmung mit den Vereinigten Staaten die Verteidiger des Status quo, der gegen die Armen, die Randschichten und die Indianervölker die militärische Repression benötigt?

Von der Beantwortung solcher Fragen wird es abhängen, ob wir Lateinamerikas Offiziere in den kommenden Jahren wieder als Juntamitglieder oder als graue Eminenzen der Macht sehen werden oder nicht.

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