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Guerillas sind überholt

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„Revolutionäre, die als einzige Befreiungsmöglichkeit den bewaffneten Aufstand und Guerillakrieg anraten, versteifen sich auf dogmatische Positionen und verdienen, als ultralinke Kleinbürger bezeichnet zu werden.“ Dieses verächtliche Urteil des .. sowjetischen Historikers R. A. Molochkova über die nationalen Befreiungsbewegungen Lateinamerikas ist nur ein Beleg für das Scheitern einer revolutionären Formel, die nach dem Triumph Fidel Castros die Zukunft des ganzen Kontinents bestimmen sollte. Der Kubaner hatte geschworen, die Andenkette in eine riesige Sierra Maestra zu verwandeln und noch innerhalb dieser Dekade die Staaten Lateinamerikas mit Revolution zu überziehen. Strategie und Taktik der Guerillas, die in ihrer spezifisch lateinamerikanischen Form auf Kuba herausgehämmert, erprobt, theoretisiert und kanonisiert wurden, versagten notwendigerweise bei dem Versuch, das revolutionäre Experiment in vergrößertem Maßstab zu wiederholen. Das geheimnisumwitterte Verschwinden des großen Theoretikers der lateinamerikanischen Guerillas, „Che“ Guevara, ist einer der wesentlichen Belege für die harten Auseinandersetzungen um das Fortführeft der kubanischen Revolution und die Wahl der revolutionären Strategie für den Kontinent. Immer wieder auftauchende Gerüchte, „Che“ Guevara befinde sich bei Guerrilleros in Kolumbien, Argentinien, Peru, sind aus der Luft gegriffen. Ein gewaltsamer Tod des Revolutionstheoretikers ist wenig wahrscheinlich: die Vitalität der kubanischen Revolution verhindert stalinistische Untaten. Möglicherweise führt „Che“ in Osteuropa ein bequemes Exildasein — was für die energiesprühende Persönlichkeit schlimm genug sein mag. Realismus statt Revolution

Fidel Castros Sieg in der internen Auseinandersetzung verkörpert den Übergang von der permanenten Revolution zum staatlichen Realismus: auf Kuba ist die Revolution abgeschlossen; der neue Staat mit seiner Exportbindung an die Sowjetunion muß aufgebaut werden. Parallel dazu läuft die Absage an die Guerrilleros auf dem Kontinent: die kubanischen Erfahrungen können nicht wiederholt werden, weil die gesellschaftlichen Strukturen des kontinentalen Lateinamerika zu verschieden von denen der Zuckerinsel sind. Eine neue Strategie, neue Taktiken sind erforderlich. „Che“

Guevara, der Trotzki Lateinamerikas, tritt vorläufig von der revolutionären Bühne ab.

Die spektakuläre Dreikontinentekonferenz in Havanna zu Beginn des vergangenen Jahres setzte den vorläufigen Schlußstrich unter diese Auseinandersetzung. Wohl beherrschten die jungen, bärtigen, braungebrannten Guerrilleroführer aus Guatemala, Peru, Kolumbien und Venezuela die Szene. Doch im Hintergrund wurde die neue Formel geschmiedet: la via paeifica, der

Verflachte Reformen

„Che“ Guevara hatte nach den reichen Erfahrungen in der Sierra Maestra die revolutionäre Bibel verfaßt: „La Guerra de la Guerrilla“. Im Mittelpunkt stehen kleine geschulte Elitetruppen, die mit terroristischen Aktionen und der unterstützenden Rolle des Bauern den Regierungsapparat so lange schwächen, bis dieser fast von selbst einstürzt. Dieses Modell wurde 1960 in Venezuela der ersten kontinentalen Bewährungsprobe unterzogen.

Guerrilleros begannen die Attacken gegen die Reformregierung Betan-court. Lateinamerika, so hatte es damals den Anschein, würde in wenigen Jahren dem kubanischen Beispiel folgen. Die Saat war reif: soziale Unrast unter den Campe-sinos und Slumbewohnern, unfähige und unwillige oligarchische Regierungen, Offiziere, die sich mit dem Absetzen von Präsidenten beschäftigen. Da griff Präsident Kennedy in die Auseinandersetzung ein: die lateinamerikanischen Armeen wurden mit modernem Kriegsmaterial versorgt; Offiziere und Mannschaften lernten in Panama das Handwerk der Guerillabekämpfung.

Doch diese integrale Politik begann bald zu verflachen. Reformen wurden stückweise begonnen' und zögernd ausgeführt; der geplante Umbau der lateinamerikanischen Gesellschaften blieb in der Bürokratie stecken oder scheiterte an der Unwilligkeit der politischen Eliten, die mit brillanter Rhetorik das Scheitern der Reformen zu verbergen wußten. Aber die Armeen des Kontinents waren schlagkräftig geworden. Venezuela, um 1961 eine fast sichere Beute der Guerrilleros, ging in den folgenden Jahren zur Offensive über und zerschlägt gegenwärtig die letzten, untereinander völlig uneinigen Gruppen. Peru, wo die Guerrilleros vor drei Jahren auftauchten und 1966 eine Generalfriedliche Weg — Kooperation mit Liberalen und der gemäßigten Linken, Infiltration der Gewerkschaften und staatlichen Organisation, Anschluß an die Regierungen der „nationalen Bourgeoisie“ in Chile, Peru, Kolumbien und Venezuela; die Guerrilleros werden ihrer Vorrangstellung entkleidet; la violencia urbana, terroristische Attentate in den Städten, tritt als neue Komponente auf. Diese Strategie soll nun der lateinamerikanischen Revolution den Weg bereiten. offensive versuchten, zerschlug mit dem taktisch klugen Einsatz der Luftwaffe jeden Widerstand. Die Regierung konnte im Herbst ein Weißbuch vorlegen, das die Ausrottung der Guerrilleros Fall für Fall belegt. In Kolumbien leistet nur noch der letzte große Bandoler-führer, Tiro-Fijo, der Armee listig und erfolgreich Widerstand. Ideologisch ausgerichtete Gruppen, die in der Provinz Santander del Norte auftauchten, bilden für die ungemein fähigen Spezialeinheiten der kolumbianischen Armee keine Herausforderung. Sporadische Scharmützel in Panama, Argentinien, Brasilien und Nicaragua haben wenig Bedeutung — wenn es sich dabei überhaupt um Partisanen handelte, da die Generäle jeden Wegelagerer als Fidel-Castro-An-hänger ausgeben, um den Einfluß der Armee immer weiter auszudehnen.

Ein neuer Prototyp

Die Formel des revolutionären Guerillakrieges hat in Lateinamerika keinen Erfolg errungen. Die neue Strategie des „friedlichen Weges“ anerkennt dies und stellt gleichzeitig die veränderten gesellschaftlichen und politischen Realitäten Lateinamerikas in Rechnung. Isolierte Guerillaaktionen wird es jedoch auch weiterhin geben: die Gewalt ist und bleibt ein wesentliches Element der lateinamerikanischen Politik.

Die Guerillaformel scheiterte: doch sie hinterläßt einen neuen Prototyp Lateinamerikas: den bärtigen Guerrillero im Tarnanzug, den trotz der Grausamkeiten und Erbarmungslosigkeit der terroristischen Aktion die Gloriole des Kämpfers gegen soziales Unrecht, Oligarchen und Militärkasten umgibt

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