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Stevensons Blitztour

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Wahrend LIN-Chefdelegierter Adlai Stevenson als Sonderbotschafter des Prasidenten Kennedy Blitzbesuche bei zehn lateinamerikanischen Regierungen abstattet, erklarte Fidel Castro, das „Gespenst der Revolution” werde weiter durch Amerika laufen, da der „Imperialismus” vergeblich Mittel gegen sie zu erfinden suche. Wahrend Castro iiber den Tausch der 1167 Ge- fangenen gegen Traktoren im Werte von 28 Millionen Dollar verhandelte, veriibten die Attentater auf den dominikanischen Diktator Trujillo merkwiirdigerweise bei ihrer Verhaftung am laufenden Band Selbst- mord (?), gab es 5 Tote und 34 Ver- letzte bei regierungsfeindlichen De- monstrationen der Studenten und Bau- arbeiter in der bolivianischen Hauptstadt La Paz, demonstrierten 4000 Studenten. die seit zwei Wochen die Universitat besetzt halten und 35 stadtische Omnibusse .entfiihrt” haben, in der k o l u m b i a n i-

s c h e n Hauptstadt Bogota, streikten 130.000 Gymnasiasten und 15.000 Gymnasialprofessoren in Chile, ver- brannten venezolanische Studenten das Auto des nordamerikani- schen Botschafters in Caracas, und er- klarten peruanische der histori- schen San-Marco-Universitat in Lima Stevenson zur „persona non grata”.

Nun spielt es gewiB eine geringe Rolle, ob chilenische Studenten die Fensterscheiben des nordamerikanischen „Informations-Biiros” einwarfen oder einige Fanatiker in Lima Stevenson mit feindlichen Rufen empfingen. Aber die Gesamtheit der Zwischen- falle beweist, in welchem Grad aufier den Gewerkschaften die Universitaten zu den Zentren der „klassenkampferi- scnen Revolution” nach kubanischem Muster geworden sind. Hierbei blasen Professoren, Studenten ... und Gymnasiasten (!) in dasselbe Anti-Yankee- Horn. Wie weit die ideologische Ver- wirrung geht, zeigt die Rede, die der Prafekt der brasilianischen Bu—Jes- hauptstadt Brasilia, Paulo de To. so, Abgeordneter der demokratisch- christlichen Partei und enger Freund des Prasidenten Janio Quadros, vor der ..Nationalen Studenten-Ver- einigung” gehalten hat. Er sagte. die kubanische Revolution sei eine christ- liche gewesen, der Kapitalismus sei tot, es sei christliche Pflicht, den Leichnam zu begraben, vor Kapitali- sten ziehe er immer noch Kommuni- sten vor, doch bedeute die christliche Demokratie die dritte Position zwi- schen beiden. Wahrend sich der bra- silianische President Janio Quadros als treuer Freund Fidel Castros be- wahrt und panamerikanische MaB- nahmen gegen den kubanischen Dik- tator vereitelt, sind freilich die Rechts- studenten der brasilianischen Stadt Recife in revolutionaren Streik getre- ten, weil ihr Dekan eine Rede der Mutter des kubanischen Wirtschafts- zaren und ffihrenden Revolutionars Che Guevara verbot. Quadros schickte 1OOO Mann lufttransportierter Trup- pen, einen Kreuzer und zwei Zerstorer nach Recife, nicht, um mit den Stu- denten fertig zu werden, sondern weil er fiirchtete, daB ihr Streik den Auf- takt zu einem fidelistischen Revolu- tionsmarsch der — in „Bauernligen” organisierten — hungernden Massen im nordostlichen Notgebiet bilden konnte.

Quadros hat sich, nachdem er frfi- here Abgesandte Kennedys bruskiert hatte, Stevenson gegeniiber — trotz seiner bekannten Abneigung gegen USA — korrekt verhalten. Dieser er- zahlte in Montevideo, am Vorabend seiner Abreise nach Sudamerika habe der nordamerikanische Humorist Bob Hope bei einem Abschiedsbankett ge- sagt: „Der Gouverneur fahrt nach Sudamerika, um unsere Freunde zu be- suchen ... Er wird an demselben Tage zurfickkommen...”

Wenig Freunde fur die USA

Diese bittere Bemerkung ist nur ein halber Scherz. Die USA haben nur wenige Freunde auf dem sudlichen Halbkontinent. AuBer dem chilenischen Prasidenten Alessandri und dem pe- ruanischen Prado waren wohl alle heutigen Prasidenten noch vor wenigen Jahren erklarte Gegner der Vereinig- ten Staaten. Damals herrschten in drei Vierteln der lateinamerikanischen Lander Diktatoren in bestem Einver- nehmen mit dem State-Departement. Studenten waren und sind die Haupt- feinde der Diktatur, jetzt freilich in ttbereinstimmung mit der „6ffent- lichen Meinung” in diesem Punkt.

i ankee-Stimmung durch Kiihle den. Diktatoren gegeniiber besanftigen zu konnen. Soeben schrieb die fuhrende brasilianische Zeitung .Journal do Brasil”, daB, wahrend man die Castro- Diktatur verdamme, Stevenson den paraguayischen Diktator General Strossner besuche, obwohl dessen Kon- zentrationslager nicht minder zu ver- urteilen seien als Castros Gefangnisse. Tatsachlich hat aber Stevenson gerade in der paraguayischen Hauptstadt Asuncion die „Demokratisierung” des Regimes verlangt und auch mit Oppositionsfiihrern verhandelt, die als Reaktion auf ihre Kontakte mit dem nordamerikanischen Botschafter ihre Verhaftung befurchten. Strossner hat Stevenson auch freie Wahlen unter Teilnahme der unzahligen Emigranten — da die paraguayische Jugend aus politischen und wirtschaftlichen Grfin- den auswandert! — zugesichert. Der Innenminister erklarte, daB alle Para- guayer zurfickkehren konnten. Als aber drei Tage nach dieser Erklarung einige prominente Oppositionelle, die seit etwa 20 Jahren in Uruguay als Emigranten leben, in einem argentini- schen Wasserflugzeug nach Asunci6n zuruckflogen, um mit Stevenson zu sprechen, lieB die politische Polizei sie nicht an Land, sondern beforderte sie in einem Motorboot sofort zu einem argentinischen Hafen.

Wahrend es in Paraguay Oppo- sitionsparteien gibt, die in der Emigration und im Untergrund intensiv gearbeitet haben, hat Trujillo seit mehr als 30 Jahren eine so absolute Terrorherrschaft in der Dominikani- schen Republik aufrechterhalten, daB die dortige „Demokratisierung” — trotz der Ruckkehrerlaubnis an einige prominente Emigranten — als Theater zu betrachten ist, ganz abgesehen von der Gefahr, daB Fidelistas durch ein etwaiges Chaos ans Ruder kommen. AuBer fur Paraguay und die Domini- kanische Republik wird die „Demo- kratisierung” -fur Kuba oft diskutiert. Aber die interamerikanische Anerken- nung des derzeitigen Regimes wurde die Legalisierung der Moskauer Expansion nach Amerika in sich schliefien. Das Bemiihen um die Beseitigung der Diktaturen und die Demokratisierung der Regime durch die USA entspricht den Forderungen, die j ahrzehntelang von den Studenten, und iiberhaupt der so- genannten „Linken” — insbesondere den Nationalisten — erhoben wurde. Aber die Erfiillung der von ihnen er- hobenen Forderungen beeinfluBt in keiner Weise ihre Ressentiments gegen die USA. Das ergibt sich in drastiseher Weise aus der Tatsache, daB Stevenson seine Rundreise unternahm, um die lateinamerikanischen Regierungen zu veranlassen, fur die bevorstehende interamerikanische Wirtschaftskonfe- renz konstruktive Sozial- und Agrar- reformplane vorzulegen, durch die nicht die wirtschaftliche Situation der sogenannten kapifalistischen Olichar- gie, sondern die der breiten Volks- masse grundlegend verbessert wurde. (Die USA wollen den Staaten helfen, die sich selbst helfen, sagt Kennedy.) Immer wieder hat man in sfidamerika- nischen Universitatskreisen darauf hin- gewiesen, daB die Nordamerikaner sie- benmal soviel produzieren wie die Sfid- amerikaner, und das Sozialprodukt pro

Kopf der Bevolkerung in USA jahrlich 2727 Dollar, in Lateinamerika aber 395 Dollar betragt. Die Vorschlage der USA-Regierung decken sich also gerade mit den Forderungen ihrer Gegner. Obwohl Stevenson also genau das verlangte, was sie selbst seit Jahren immer wieder gefordert hatten, griffen sie ihn weiter als Vertreter des feind- lichen „Wirtschaftsimperialismus” an.

Das Gift wirkt

Die politische Atmosphare in Lateinamerika ist durch die nationa- listische und kommunistische Anti- Yankee-Propaganda und ihre Schlag- worte in solchem Grade vergiftet, daB weder gute Absichten noch konkrete Vorschlage der USA sie beeinflussen. Die „klassenkampferische Revolution” ist von einer politischen Forderung zu einem fast religiosen Dogma geworden. Der Fanatismus der lateinamerikanischen nationalistischen und linksge- richteten Jugend dient den Zielen

Fidel Castros — und damit Chru- schtschows —, weil sie die USA blind hassen. Die Wurzel dieser Geffihle laBt sich nur von Psychiatern erklaren. Die Krankheit der Anti-Yankee- Psychose in Lateinamerika beruht auf dem Minderwertigkeitskomplex von Gruppen, die aus fehlendem Organisa- tionstalent den politischen, technischen und wirtschaftlichen Aufstieg der USA nicht mitzumachen vermogen und fur ihre Mangel nicht sich, sondern den erfolgreichen Partner verantwortlich machen. Alle Bemuhungen der USA um eine Besserung der Beziehungen zu den lateinamerikanischen Massen scheitern aus massenpsychologischen Grfinden.

Der uruguayische Staatsrat Arroyo Torres sagte Stevenson: „Wir Latein- amerikaner sind legitime Sohne der Spanier, und der Spanier ist ein Mann, von dem jeder die Welt, aber alle zu- sammen nicht ihr Land in Ordnung bringen konnen!”

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