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Großzügige Verfassungsreform

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Zum zweiten gegen den bisherigen unbegreiflichen politischen Immobilismus und Exklusivismus des Regimes, das sich in seinen Grundzügen seit 25 Jahren nicht gewandelt hat, freilich in der Praxis großzügiger wurde. Es heißt, daß jetzt, zur Fünfundzwanzigjahrfeier, Spanien eine neue, liberale Verfassung bekommen soll — wenn das zutrifft, würde sich der Unmut vieler Spanier legen. Doch Voraussagen dieser Art hat man in der Vergangenheit schon öfter gehört und wurde immer enttäuscht. Wenn wir recht unterrichtet sind, sollen die jüngsten Vorfälle höheren Orts denn doch nachdenklich gemacht haben, und so bleibt dem Spanier nur übrig abzuwarten, was ihm die nächsten Wochen bringen werden.

Am Rand der Legalität

Zum dritten wendeten sich die Kundgebungen gegen die sozialen Mißstände. Natürlich ist hier vieles besser geworden, besonders auf dem Gebiet des Wohnbaus, und nur vom Elend in Spanien zu sprechen und die Notstandsgebiete in den westlichen Demokratien zu „vergessen“, ist pure Heuchelei. Aber der Parteiminister und Syndikatschef, Solis. erklärte eben erst selbst, daß „viele Löhne der spanischen Arbeiter schmal und andere gerade aus-

reichend sind“, und damit ist alles gesagt.

Das Wichtigste an den Ereignissen jedoch war. daß wahrscheinlich zum erstenmal hier eine klare politische Willensbildung neben der offiziellen Staatspartei Falange und ihren Einheitssyndikaten, zum Teil aber sogar in öffentlichen, aber nicht angekündigten und darum nur einem kleinen Kreis bekannten Vorträgen und in einer seit einiger Zeit erscheinenden, frei zu kaufenden Monatsschrift demokratisch-parlamentarische Grundsätze vertreten werden. Aber bei den Demonstrationen sah man zum erstenmal, und wenn auch nur in kleinstem Aufgebot, diese demokratischen Kräfte In Aktion.

Das Merkmal der politischen Situation „etwas außerhalb der Legalität“ ist, daß sich, ohne nähere Parteibezeichnung, eine „Linke“ und eine „Rechte“, beide in unserem Sinn demokratisch, gebildet haben. Wie stark sie sind, ist natürlich nicht abzuschätzen. Die „Rechte“ umfaßt das vorwiegend sich auf die jüngsten päpstlichen Enzykliken stützende christliche Bürgertum mit einem linken Flügel innerhalb der „Katholischen Aktion“. Die „Linke“ umfaßt dissidente Falangisten, aber, und das ist das Interessante, auch Angehörige des offiziellen Parteiapparats, ferner natürlich Sozialisten aller

Tendenzen, von „Carristi“ bis zu Reformisten, gemauserte Anarchisten und selbst Kommunisten, schließlich ein Grüpplein. .Links--, bürgerlieh er* 'Diese PormatoawieiiiineiM „Linken“ und einer „Rechteif ist' aber nicht nur zukunftsträchtig für Spanien, sondern für den ganzen

demokratischen Westen, und darum sollte aufmerksam die Entwicklung in diesem Land verfolgt werden.

Falangisten blicken auf Fidel Castro All das aber geschieht nicht hin-

ter dem Rücken Francos, sondern mit dessen provisorischem Gewährenlassen. Eben erst empfing der Generalissimus einen Führer der „Rechten“, den katholischen Universitätsprofessor Ruiz-Jimenez, in Audienz. Was dabei besprochen wurde, wollte man uns natürlich nicht sagen, doch scheint der Professor von der Unterredung befriedigt. Freilich hörte Franco am gleichen Tag den Vertreter des Thronprätendenten Don Juan ah, der in Portugal lebt, und versicherte ihm, daß aus dem Haus Bourbon-Batten-berg sein Nachfolger kommen soll, doch muß das nicht unbedingt in Widerspruch zu dem geduldeten Demokratisierungsversuch des Regimes stehen.

Auf der „Linken“, und zu ihr gehört, wir wiederholen es, ein Teil der offiziellen Falange, ist ein ganz überraschendes Phänomen zu bemerken: Hier gilt nämlich als Vorbild — Fidel Castro. Im parteioffiziellen Blatt „Arriba“ wurde eben erst derart das Lob des bärtigen Zigarrenrauchers gesungen, daß man seinen Augen nicht trauen wollte, und die Syndikatszeitung „Pueblo“ bringt in Fortsetzungen Reportagen über Kuba. Das bedeutet, daß man in Castro weniger den Kommunisten als den typisch iberischen Sozialrevolutionär sieht, den man „in gereinigter Form“ als „Caudillo“ zu akzeptieren bereit ist. Den Westeuropäer stimmt das freilich i nach-derikliah^<vie>ja auch Hier (doktrinäre Korh'murlist fSber Cattfö* üffa'~Beifl' iberisches Temperament in helle Verzweiflung gerät. Typisch für das,

was wir den „iberischen Sozialismus“ nennen möchten, ist ein Ausspruch Castros aus früherer Zeit: „Wir wissen nicht, wohin wir marschieren“, rief er aus, „aber wir werden hinkommen!“

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