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Die spanische Erfahrung des Revolutionszeitalters

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Rafael Calvo Serer, Professor an der Universität Madrid, Mitbegründer des „Arbor", der großen wissenschaftlichen Zeitschrift Spaniens, des „Opus Dei“, der neuen katholischen Akademikerbewegung, des „Consejo superior“, des Forschungsrates für wissenschaftliche Arbeiten, ist eine der profiliertesten Persönlichkeiten des heutigen Spaniens. Calvo Serer ist einer jener echten großen Konservativen, die sich bemühen, die Tradition ihres Landes zu verbinden mit dem, was die moderne Welt an positiven und fruchtbaren Elementen geschaffen hat. Seit lahren ist er bemüht, eine Brücke zwischen dem heutigen Spanien, das ja immer noch eine Welt für sich ist, und Europa zu bauen. Professor Rafael Calvo Serer hat den folgenden spanischen Aufsatz der „Oesterreichischen Furche“ als ein Zeichen der Verbundenheit des christlichen Spaniens mit Oesterreich zur Verfügung gestellt. Die „Furche“

Ein altes Volk, wie das spanische es ist, ist durch alle Prüfungen der Geschichte gegangen: Die Erprobung der katholischen Kultur fand ihre volle Entfaltung und ihren Verfallsgang vom Ende des 15. bis zum 18. Jahrhundert. Die Erprobung der Revolution wurde in den letzten hundertfünfzig Jahren vorgenommen. Die erste führte bis zur kulturellen Erschöpfung und endete mit der Vernichtung der politischen und gesellschaftlichen Strukturen Spaniens in den Jahren der Besetzung durch die Heere Napoleons. Die innere Schwächung der Religiosität war jedoch nicht so groß: sie entband aus sich die Bewegung des Karlismus, eine große politische Bewegung und das traditionsbewußte Denken des 19. Jahrhunderts. Die Spannung zwischen den revolutionären Vorstößen und den orthodoxen Widerstandskräften schien endgültig zugunsten der ersteren mit dem Triumph der Linken, der sozialistischen und separatistischen Republik von 1931 gelöst zu sein. Gerade das aber war auch der Zeitpunkt, in dem die traditionsverpflichteten Kräfte sich neu zu beleben und sich in einer Weise neu zu gruppieren begannen, die zum unheilbaren großen Zwist des Bürgerkrieges von 1936 führen.

Die ganze Welt nahm faktisch und moralisch Anteil an diesem Kampf. Die „Linken“ aller Parteien, verbündet damals mit dem Kommunismus — es war die Epoche der „Volksfront“ und der „Gesellschaft der Freunde der Sowjetunion“ —, liehen ihre Unterstützung und ihre Sympathie den spanischen „Roten“, einer äußerst explosiven Konzentration von Gewalttätigkeit und Anarchie, deren Virulenz in Spanien größer als in allen anderen Ländern Europas ist. Nach dem Verdrängen der beiden großen spanischen Institutionen, die immer wieder diese im spanischen Wesen konstitutiv veranlagten Erhebungen disziplinierten und im Zaume hielten, nämlich der Kirche und der Armee, wurde deren explosivstarke Dynamik frei und vermochte nun hemmungslos ihre zerstörerische Kraft, ihre Vernichtungsgewalt zu entfalten.

Mitten durch diese ganze leidvolle Epoche eines hundertfünfzigjährigen Revolutionszeitalters hindurch folgte die geistige und spirituelle Entwicklung Spaniens, wenn auch mit einem gewissen Abstand, den Wandlungen der europäischen Katholizität. Unser nationales Erschlaffen fällt zusammen mit der Erlahmung des katholischen europäischen Denkens im 18. Jahrhundert. Am Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Thomismus, selbst aus den kirchlichen Seminaren, verschwunden. Die philosophische Aktivität eines Balmes, um nur ein Beispiel zu erwähnen, erhält in diesem europäischen Milieu die Aufgabe, ein Vorläufer für die künftige Wiedergeburt der europäischen Neuscholastik zu sein.

Um 1931 gibt es bereits eine machtvolle katholische geistige Bewegung in Deutschland,

Frankreich und England. Ramiro de Maeztu, der bedeutende spanische Denker, vermittelt an Spanien diese Antriebe und Bewegungen in der europäischen Welt, und in Spanien beginnt eine Rückkehr der besten Geister zum christlichen Denken. Der soziale Katholizismus, die tho- mistische Philosophie, die christliche Demokratie befanden sich damals in voller, hoffnungsvoller Entwicklung 1936 hören dann dife; Katholiken der ganzen Welt die Stimme der Hierarchie der katholischen Kirche Spaniens, welche die „Nationalen", das Spanien von Burgos, als das einzige authentische Spanien ansieht. Die Kräfte der Revolution, die „Roten“, finden sich von innen her bedroht, werden Opfer ihrer eigenen Anarchie und von außen her durch die Heere Francos und bald durch weltweite Kräfte der Konservatfon angegriffen.

Wenn sie nicht sektiererisch ist, dann ist sie zumindest ein bösartiges Mißverstehen: diese Anklage, welche die Kirche für die große, entsetzliche Tragödie von 1936 verantwortlich macht. Der ungeheure Widerhall, den der spanische Bürgerkrieg im Weltgewissen fand, löste ein reiches Schrifttum aus, das in verschiedenen literarischen, soziologischen, historischen Aspekten ein intensives Licht über die mannigfachen Faktoren verbreitet hat, die da in den großen Krieg eingriffen und wirksam wurden. Mit ihm haben sich ein Hemingway und John Dos Passos in Nordamerika befaßt; Ber- nanos, Malraux, Maritain, Mauriac, Maurras und Paul Claudel (was für eine Elite des französischen Denkens!) in Frankreich; Koestler, Spen der, Auden, Orwell und Bruce Marshall in England; Thomas Mann, Stephan Andres und Hermann Kesten in Deutschland. Trotz’ der vorwiegend der „Linken" zuneigenden Tendenz der meisten dieser Autoren, verhindert die reiche Fülle des von ihnen zur Kenntnis gebrachten Tatsachenmaterials bereits die Wiederholung der billigen Gemeinplätze und Schlagworte, die die „Rechten“ und die Katholiken mit allen Lastern und Defekten belasten, während die Revolutionskräfte, allein mit den Kräften des

Schöpferischen und des Fortschrittes verbunden, als Opfer der Unterdrückung durch den Fanatismus der Inquisition erscheinen :

Die Wirklichkeit ist ja sehr fern von dieser oberflächlichen Erklärung. Die Gründe liegen tiefer, sind im Revolutionszeitalter als Ganzem zu sehen, in den sehr ver-; schiedenartigen Reaktionen der europäischen Völker auf dieses. Während die protestantischen Nationen weniger die zerstörungsmächtigen Wirkungen der Französischen Revolution zu spüren bekamen, wurde in den lateinischen Ländern die natürliche homogene Entwicklung : ?r politischen und kulturellen Ueberlieferung unterbrochen. England ist das Land, das sich sehr bewußt, charakterstisch im Werke von Edmund Burke, mit seiner ganz eigentümlichen Fähigkeit, den Abstraktionen der Revolution entzieht und sich an seine überlieferungsgesättigten eigenen Institutionen anklammert. Auf dem europäischen Kontinent, über den der Sturm der Revolution hinweggeht, erhalten dennoch die Kalvinisten und Lutheraner ihre hierarchisch geführten Demokratien oder ihre autoritären Regierungen. Auf diese Weise konnte zum Beispiel in den nordischen Ländern die gesellschaftliche und politische Auflösung verhindert werden.

Der antireligiöse Furor ist immer am heftigsten und wütendsten in den lateinischen Ländern. Dafür sind die Katholiken nicht allein verantwortlich, obwohl gerade ihre Lauheit und die Unsauberkeit im gelebten Leben des Glaubens hier stark mitwirken. Dieser Furor hat noch andere Gründe. Das „Mysterium ini- quitatis“ spielt in allen revolutionären Bewegungen eine fundamentale Rolle; diese revolutionären Bewegungen können mit den protestantischen Bewegungen leichter zu einer gewissen Zusammenarbeit kommen, jedoch niemals auf eine authentische Art mit den Katholiken. Die größere Leichtigkeit, die dort mit einem äußerlichen Uebereinkommen verbunden ist, führt anderseits zu der größeren Schwierigkeit, die darin besteht, daß die Protestanten zu einer kulturellen Religiosität neigen, die bereits in sich eine Tendenz besitzt, zu verweltlichen und den Sinn für das Transzendente und Absolute auszulöschen.

Unter den lateinischen Ländern ist es vor allem Spanien, in dem die Kräfte der Zerstörung ihren ganzen immanenten Paroxismus erreichten, übertroffen hier nur durch die russische Revolution mit ihrer systematischen Zerstörung des Erbes der Ueberlieferung. In Rußland war aber mit diesen Kräften der Zerstörung die marxistische Auffassung des Lebens verbunden, die ihre Ideologie den methodisch gleichgeschalteten Ländern einpflanzte. In Spanien war, sehr zum Unterschied zu Rußland, die Revolution niemals innerlich stark genug, um die Kräfte der Ueberlieferung zu besiegen, und es gelang ihr auf der anderen Seite auch niemals, jene Kräfte eines planenden Dynamismus zu entfalten, die charakteristisch für die sowjetischen Marxisten sind.

Die kulturelle und politische Atmosphäre dieser letzten hundertfünfzig Jahre der Revolution ist in Spanien die eines perm an e n- ten Bürgerkrieges. Als 1814 die letzten französischen Soldaten die spanische Halbinsel verließen, ließen sie nichts als unzusammenhängende Ruinen des alten Regimes zurück, das sich auf seine Weise zuvor bereits zersetzt hatte. Von da an erhielten nur zwei Institutionen mehr die Kontinuität: die Kirche und die Armee. Das Bündnis beider mit der Monar; chie erlaubte die relative Stabilität der liberalen Restauration unter Canovas del Castillo, die sich von 1874 bis 1931 erstreckte. Während der vorhergehenden sechzig Jahre, also von Ferdinand VII. bis zur Ersten Republik, entfalteten sich, mit den Verwicklungen durch die dynastische Frage und durch das Eindringen revolutionärer bürgerlicher Ideologien, die inneren Streitigkeiten zu offenen Kriegen, ohne daß es gelang, auch nur ein geringes Maß von Frieden für den notwendigen Wiederaufbau zu erlangen, wie es in Europa durch den Wiener Kongreß und die Heilige Allianz gelang. Die spanische Gesellschaft paßte sich nicht an die ausländischen Modelle des Liberalismus an, und das Volk, anhänglich vor allem an seine Kirche, kämofte mit den Karlisten gegen das liberale Regime.

In den sechzig Jahren der restaurierten Monarchie traten nun neue Elemente hinzu, um den Stand der Dinge zu verwirren: der Marxis-mus und der. Anarchismus .ergreifen die Massen der Arbeiterschaft und des ländlichen Proletariats, ohne daß es in derselben Zeit gelingt, ein Bürgertum, einen Mittelstand, i,ü bilden. Die Aktion des’ Sozialismus selbst, den Pablo Iglesias in. Spanien in einem europäischen Stile mit einem fortschrittlichen Reformismus organisierte, trifft auf schwere innere Widerstände durch das tiefe Eingewurzeltsein des Anarchismus in Spanien, der bereit ist, mit den barbarischesten Mitteln und Methoden nicht nur gegen Kirche und Armee zu kämpfen, sondern gegen die Marxisten und Sozialisten, die aus taktischen Gründen zu einem Zusammenleben mit Staat und Kapitalismus gelangt waren.

Diese unabweisliche Gegebenheit eines weitverbreiteten und gewichtigen zivrlisationsfeind- Kchen Anarchismus bildet das zugehörige Gegenstück zu jenem einfachen und totalen Glauben des spanischen katholischen .Volkes., von .1808 und der rechtschaffenen karlistischen Massen von 1833. Von 1868 an nehmen sehr beträchtliche Gruppen von andalusischen Bauern und von kätälaniichen Arbeitern die anarchistischen Dogmen mit Selbstverleugnung und reiner Einfalt an: auf die Bürgerkriegsepoche von 1820 bis 1874 folgt nun die permanente soziale Revolution, die brutale Zerstörung in den ländlichen Bezirken und der Kampf in den Industriestädten. Trotz all dem erlangte das Bündnis der Kirche und der Armee mit der Monarchie eine unruhige Stabilität, in der allmählich eine neue Kraft auftrat: die zeitgenössische „Universität“, die Welt der Bildung und Erziehung, so daß man eine Wiedergeburt des spanischen Geistes erhoffen durfte. Diese dritte Kraft versagte leider, da sie durch die „Institución Libre de Enseñanza“) eine antikirchliche Organisation von Professoren, Lehrern und Intellektuellen,

auf Wege abgedrängt wurde, die wieder nur. zu einem Kampf gegen Kirche und Armee führten, die beiden Institutionen, auf denen die geringe und schwache politische und soziale Ordnung beruhte. Durch die Schwächung von Kirche und Armee ging jedoch die Macht nicht, wie von ihnen erhofft, auf die Intellektuellen und auf das Bürgertum über, die beide durch ihren immanenten Anarchismus behindert wurden, sondern es geschah etwas unwiderruflich Trauriges, das Verschwinden des Staates: die Republik von 1931 war schließlich bald nichts anderes mehr als eine Anarchie mit legalisierten Mitteln. Diese Fiktion wurde in dem Ausbruch des Krieges von 1936 zerschlagen, der sich schließlich zu einem Krieg des traditionellen katholischen Geistes gegen die Weltrevolution des Kommunismus entwickelte, die vor Madrid mit den traurig berühmt gewordenen „Internationalen Brigaden" erschien . ..

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