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Frankreich zwischen Rechts und Links

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Die tiefe Kluft, die seit mehr als anderthalb Jahrhunderten das französische Volk immer wieder in zwei feindliche Lager teilt, ist nun durch den Ausgang der Gemeindewahlen erneut in alter; gefährlicher Schärfe zutage getreten. MRP, die „Republikanische Volksbewegung“, als die Partei, welche sich die Überbrückung dieser Kluft zum Ziel gesetzt hat, mußte dementsprechend dabei die schwersten Verluste erleiden. Erstrebt doch MRP als katholische und zugleich sozial fortschrittliche, demokratisch-republikanische Partei . die Uberwindung des seit der großen Revolution von 1789 das Leben der Nation beherrschenden Gegensatzes zwischen einer katholischen, konservativen, ja oft monarchistischen Rechten auf der einen und einer laizistisch-antiklerikalen, republikanischen, beziehungsweise sozialistischen Linken auf der anderen Seite.

Die Schärfe dieser im Grunde unfruchtbaren ' Spaltung hat eine ihrer tiefsten historischen Wurzeln in den staatskirchlichen Tendenzen des französischen Königtums, die etwa im Mittelalter so stark waren, daß moderne Historiker in etwas übertriebener Zuspitzung von einer „reli-gion royale“ sprechen, in deren Mittelpunkt die geheiligte Gestalt des Königs stand, und die etwa in den Krankenheilungen der französischen Könige, den „rois thaumaturges“, bis zur Revolution ihren sichtbaren Ausdruck fand. Nach • dem Höhepunkt des gallikanischen Staats-kirchentums unter Ludwig XIV. wurde zwar das religiöse Gefühl der herrschenden 'Schichten durch die rationalistische Aufklärung ausgehöhlt, was aber nur zur Folge hatte, daß der vehemente Angriff der Revolution — die ihr geistiges Rüstzeug aus derselben Aufklärung bezog — zusammen mit dem Anrien Regime auch die erstarrten Herrschaftsformen der feudalaristokratischen Hierarchie traf. Die Kirchen-, ja Religionsfeindschaft der Revolution aber trug so ungewollt wieder zur Befreiung und Erneuerung des religiösen Lebens bei, wie das ähnlich ja zur selben Zeit auch in Deutschland nach der Säkularisierung von 1803 der Fall war. Die Werke von Chateaubriand und de Maistre wurden in Frankreich die bedeutendsten Zeugnisse dieses neuerwachten religiösen Gefühls.

Die Versuche der bourbonischen Restauration und der romantischen Staatstheorie, die Religion wieder in den- Dienst des Königtums zu stellen, führten nur zu einer neuerlichen Belastung der Kirche in den Augen jener breiten Volksschichten, die von einer Wiederkehr der „Zeit der Herren und Prälaten“ den Verlust ihrer durch die Revolution errungenen politischen und materiellen Vorteile befürchteten. So stellte der Zusammenbruch der Bourbonenherr-schaft in der Julirevolution von 1830 die französischen Katholiken vor die Notwendigkeit, aus der Auflösung des „Bundes von Thron und Altar“ die zeitgemäßen - Folgerungen im Sinne einer positiven Auseinandersetzung mit den Tendenzen des Jahrhunderts und den politischen Wünschen der breiten Massen zu ziehen. In den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erwuchsen daher in Frankreich zahlreiche christlich-demokratische Bestrebungen, deren radikalster, weit über Frankreich hinaus wirksamer Vertreter der vielumstrittene Feuergeist Lamennais wurde. Neben ihm aber wirkten in dem Kreis um die Zeitung „L'Univers“ andere bedeutende Persönlichkeiten, wie der Dominikanerprediger Lacordaire, der Laienapostel Oza-nam, der junge Graf Montalembert oder de Touqueville, der das Ideengut der amerikanischen Demokratie den französischen Katholiken vermittelte. Die Revolution von

1848 unterbrach die Möglichkeiten zu einer weiteren Aussöhnung. Der Radikalismus der Linken, der in der Pariser Junischlacht seinen Höhepunkt erreichte — wobei der Erzbischof von Paris den . Tod fand —, schreckte die bürgerlichen und bäuerlichen Schichten in die Arme der bonapartischen Diktatur. Die Reaktion auf den Angriff von Links war die Wahl Louis Napoleons, der sich dann durch eine berechnende papst- und kirchenfreundliche Politik immer wieder die Unterstützung der konservativen katholischen Kreise sicherte.

Nach dem Sturz Napoleons III. aber bewirkte der Aufstand der Pariser Kommune von 1871 — bei dem auch wieder ein Erzbischof von Paris den Märtyrertod erlitt —, wie einst die Junischlacht von 1848, eine Rechtsschwenkung des Landes. Die Folge war diesmal die Wahl des Mar-: schalls Mac Mahon, den man allgemein als Platzhalter für die Erneuerung der Monarchie ansah. Die erwartete bourbonische Restauration scheiterte dann bekanntlich nur an der Unnachgieb'gkeit des Prätendenten, des Grafen von Chambord, in der Fahnenfrage sowie an der Rivalität zwischen Legitimisten und Orleanisten, denen auf der republikanischen Linken in Leon Gambetta die stärkste Persönlichkeit der Stunde gegenüberstand.

Während sich die Rechte so in unfruchtbaren Kämpfen verzettelte und schließlich sogar vorübergehend auf den politisch verschwommenen republikanischen General Boulanger ihre Hoffnung setzte, wirkten sich die von französischen Offizieren aus der Kriegsgefangenschaft nach Frankreich gebrachten Ideen des Ketteler-Kreises im Sinne einer katholischen Arbeiterbewegung in aller Stille ■ aus. Graf de Mun und de la Tour du Pin «chufen die katholischen Arbeiterzirkel und die sozialkatholische Bewegung. 1891 erteilte Papst Leo XIII. durch die Arbeiterenzyklika „Rerum Novarum“, vor deren Abfassung er von de Mun eine Denkschrift verlangte, diesen Ideen, wie de Mun sagte, „die höchste Weihe“. Von den zahlreichen Versuchen einer christlichdemokratischen Bewegung errang um die Jahrhundertwende dann die idealistische Jugendbewegung des „Sillon“, die, von Marc Sangnier begründec und geführt, das Ziel einer „Umschichtung der Parteien“ („declassement des partis“) und einer christlichen Demokratie verfolgte, die stärkste Bedeutung, was 1910 durch die Gründung der Tageszeitung „La Democratie“ und nach dem ersten Weltkrieg durch die Wahl Marc Sangniers in die Kammer zum Ausdruck kam. Die heftigen Angriffe, die zur selben Zeit jedoch von der laizistischen Linken gegen alle kirchlichen Einrichtungen geführt wurden, machten eine Konzentration aller katholischen Kräfte und damit eine Einschränkung der politischen Zielsetzung des „Sillon“ notwendig. Denn neben dem demokratischen Katholizismus dieser sozialreformerisch-republikanischen Gruppe standen die Vertreter eines mit dem extremsten Nationalismus verbundenen romantisch-konservativen Katholizismus, die im Sinne der gallikanischen Tradition in der Kirche vor allem die konservative, alle Stürme der Zeit überdauernde Institution, das letzte Bollwerk der „vicille France“ sahen. Edouard Drumont, der aus einer schwärmerischen Liebe für das sterbende alte Frankreich zum leidenschaftlichen Hasser der modernen kapitalistischen Gesellschaft und darüber hinaus zum radikalen Antisemiten wurde, Maurice Barres, der große Trommler der Revanche und des intellektuellen Nationalismus, und Charles Maurras, dessen von Rom verurteilte „Action Francaise“ vom royalistischen Mythos — einem späten Nachklang der „religion royale“ — schließlich zur Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzung gelangte, waren die bedeutendsten Köpfe dieser traditionalistisch-konservativen Gruppe.

Im Jahre 1945, als die äußerste Rechte durch Petain und die Vichy-Regierung kompromittiert und völlig ausgeschaltet war, schien die große Stunde gekommen für die Überbrückung des alten Gegensatzes zwischen Rechts und Links. MRP, als starke sozial-katholische Partei ein Novum im französischen Parteienlcben, erschien als das Ergebnis einer mehr als anderthalb Jahrhunderte währenden geistigen Entwicklung. Über Nacht wurde die Partei in dem Glanz der aktiven Tätigkeit ihrer Führer in der „Resistance“ und ihrer engen Verbindung mit dem Nationalheros de Gaulle, zur stärksten Partei des Landes, der alle Stimmen der politisch obdachlos gewordenen rechtsstehenden Gruppen zufielen. Von der extremen Linken als „Sammelbecken der Reaktion und der Kollaborateure“, von der extremen Rechten als Partei der „die Kirche besuchenden Kommunisten“ geschmäht, verfolgte sie das alte Ziel einer „Umschichtung der Parteien“, ein Ziel, das gerade in diesem Zeitpunkt durch das halbe Entgegenkommen der sich vom Linksextremismus distanzierenden französischen Sozialisten in greifbare Nähe gerückt schien. Sah doch, wie führende Köpfe des MRP erklären, die Mehrheit der Parteimitglieder in einer nichtmarxistischen und nicht kirchenfeindlichen gemäßigt sozialistischen Partei nach Art der englischen Labour-Party ihr politisches Ideal.

Die nach der Trennung von de Gaulh in Parteikreisen gehegte Hoffnung, daß die Anhänglichkeit an das Programm bei den Wählern stärker sein werde als die an die Person des Generals, ist nun, nach den erneuten scharfen Angriffen der extremen Linken enttäusche worden. Alle, die bisher aus Ermangelung einer weiter rechts stehenden Partei, gleichsam „faute de mieux“, MRP gewählt haben, sind zum General übergegangen — und mit ihnen wohl mancher ursprünglich überzeugte Anhänger des MRP, der in de Gaulle jetzt doch das wirksamste Gegengewicht gegen die linksradikale Bedrohung sieht. Damit ist eine Situation geschaffen, wie sie sich in ähnlicher Form in Frankreich schon wiederholt, so vor allem 1848 und 1871, gezeigt hat. In dieser bedrohlichen Lage aber kann einer Partei der gemäßigten Mitte, die die Verbindung zu den Sozialisten herstellt, noch immer eine sehr wesentliche Aufgabe zufallen. Die Zukunft wird zeigen, ob MRP seine verbindende Aufgabe wird erfüllen können oder ob diejenigen recht behalten werden, die auf die Analogie zwischen der gegenwärtigen Lage Frankreichs und der Deutschlands vor 1933, zwischen der heutigen Situation des MRP und der damaligen des deutschen Zentrums hinweisen.

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