6748019-1967_16_07.jpg
Digital In Arbeit

De Gaulle und die „Linke“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Ausgang der Wahlen in Frankreich, die Verluste der Gaullisten haben eine Diskussion über die Orientierung der Regierungspartei eingeleitet. Verschiedenste Tendenzen zeigten sich vor der Öffentlichkeit und werden durch das Prestige des Generals überdeckt, dem es noch einmal gelang, die in Fehde befindlichen Gesinnungsgenossen zur Disziplin zu bewegen. Debre warf Pompidou den Stil der Regierungsarbeit — eine Art gaullistischen Radikalismus — vor, der auch von den lokalen Funktionären geteilt wurde. Ein noch immer selbstbewußtes Bürgertum, besonders in den kleineren Städten, fand die ihr gemäße Ausdrucksform in der beruhigenden Gestalt des Ministerpräsidenten, der. an Stelle eines charismatischen Sendebewußtseins die klaren Werte des Wohlergehens und der politischen Stabilität setzte.

Die linksstehende Zeltschrift „Le Nouvel Observateur“ bezeichnete Pompidou kürzlich als das letzte Antlitz des Gaullismus. Der Ministerpräsident sollte nach dem Willen des Staatschefs den gaullistischen Mythos als konstanten Faktor der französischen Geschichte etablieren. Geigen das geschichtliche Sendebewußtsein des Generals stand jedoch die nüchterne Überlegung Pom-pidous, daß eine Gesellschaft in voller Verwandlung nicht ständig im Hochgefühl historischer Erlebnisse zu halten ist. Pompidou mobilisierte die Technokratie und ersetzte das Klima der „Grandeur et gloire“ durch eine wirkungsvolle Verwaltungsarbeit. Allerdings erkennen Männer wie Couve de Murville und Joxe zu wenig die menschlichen Faktoren. In der kühlen Atmosphäre ihrer Büros werden Statistiken geprüft, Pläne entworfen und die Ergebnisse der Computer ausgewertet.

General de Gaulle gelangte nach einer sorgfältigen Analyse der innenpolitischen Situation zum Schluß, daß die weiteren Schlachten an der sozialen und wirtschaftlichen Front zu schlagen seien. Die Staatspartei UNR besitzt einen sehr ausgeprägten linken Flügel, der sogar radikale soziale Reformpläne entwickelte, die von mißtrauischen Bürgern unbehaglich beobachtet und von übereifrigen Industriellen zu Fall gebracht wurden. Der linke Gaullismus suchte sich nach den Wahlen aus der kräftigen Umarmung der UNR zu befreien und eine eigene Fraktion zu bilden, wie es Gisoard d'Estaing zuerkannt wurde. Die Parteiführung war sich natürlich der Gefahr einer Auffächerung durchaus bewußt, und unter schwerem Druck ließen die Linksgaullisten ihren Plan vorläufig fallen. Das soziale Klima des Landes, aber auch die persönliche Orientierung des Generals werden entscheiden, ob diese Tendenz in der Mehrheitspartei verschwindet oder in breiterer Front zum Durchbruch gelangt.

Es ist daher der These mancher „Linker“ nicht unbedingt beizupflichten, die die jetzige Mehrheit als ausschließlich konservativ bezeichnen. Gewiß sind Teile der Arbeiterschaft, die noch 1965 für de Gaulle stimmten, wieder zur Linken abgewandert. Der Einbruch der Gaullisten in die traditionellen Schichten der Kommunisten wurde abgebogen. Es liegt an der künftigen Regierung, das soziale Wetterleuchten zu erkennen und eine Öffnung zur linken Mitte zu suchen. Solche Optionen werden keineswegs leicht sein — die unabhängigen Republikaner Gisoard d'Estaings (39 Parlamentsmitglieder) werden ein wichtiges Wort mitreden.

Schließlich sei noch vermerkt, daß sich der Mehrheit 20 Abgeordnete angeschlossen haben, die meistens vom früheren MRP stammen. Als einer der namhaftesten darf Maurice Schumann genannt werden. Diese Männer und Frauen haben ihre früheren christlich-demokratischen Ideale bewahrt und werden in der „demokratischen Union für die V. Republik“, wie die Mehrheitsgruppe nun heißt, ihre Aktionen für eine soziale Befriedung und die Solidarität aller Klassen weiter fortführen,

In der Mitte wenig Erbauliches, könnte das Urteil über das Versaigen der französischen Mitte lauten. Die von de Gaulle angestrebte Flurbereinigung der politischen Landkarte Frankreichs hat die in drei Republiken bewährte Mitte atomisiert. In kurzer Zeit dürften die Folgen dieser Atomisierung sichtbar werden: wenn die beiden antagonistischen Monsterfraktionen den Ausgleich und die politische Vernunft einer solchen Partei vermissen.

Das demokratische Zentrum Leoa-wuets konnte schließlich mit 17 Ab-geordenten kaum sein Gesicht wahren oder die Bildung einer eigenen Fraktion erleichtern. Das demokratische Zentrum war zu sehr auf die Person Lecanuets zugeschnitten. Die Wähler zogen es vor, ihre Stimmen der Opposition zu geben oder sich den Gaullisten anzuschließen, nachdem sie von der Parteiführung zu wenig informiert wurden, wie sich diese in Zukunft die Entwicklung des Zentrums vorstellt. Lecanuet ließ sich das Gesetz dos Handelns aufzwingen, und er wurde zu oft als Opportunist klassifiziert. Die letzten Lokalorganisationen des MRP verschwanden in den vergangenen Wochen. Der Senator vermochte doch keinen eigenen schlagkräftigen Parteiappairat aufzuziehen. Die Träume vom vereinigten Europa — lertzter Tribut an die Glanzzeit der Volksrepublikaner — zeigten in •inem Europa mit einem vollständig veränderten Gesicht eine geringe Bugkraft.

Man beschloß, eine von jeder Partei unabhängige Parlamentsfraktion zu bilden, die den allumfassenden und unverfänglichen Namen „Fortschritt und moderne Demokratie“ wählte. Die Bürgermeister von Lyon, Cannes, Nizza und Saint-Etienne trafen einige Flüchtlinge aus dem radikalen Lager und begegneten bedeutenden Persönlichkeiten der IV. Republik, wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Pleven und dem oftmaligen Minister Petit, und damit wuchs die Fraktion auf 41 Mitglieder an. Die Abgeordneten sind von jedem Klubzwang befreit und stimmen lediglich nach ihrem Gewissen ab.

Auf der linken Seite thronen die starken Kompanien der linken Föderation mit 116 Mitgliedern und die Kommunisten mit 71 Mitgliedern.

Es ist schon ein sonderbares Gebilde; der überzeugte Europäer Maurice Faure trifft den Außenminister der III. Republik, Georges Bonnet, der für das Münchner Abkommen mitverantwortlich zeichnete. Der ehemalige Prokonsul der IV. Republik in Algerien, Lacoste, sitzt neben Gaillard, dem letzten Ministerpräsidenten vor de Gaulle. Der brillante Mendes-France steht neben seinem Freund-Gegner Mollet, vor dem er einst kapitulieren mußte.

Mitterands praktischer Intelligenz und persönlicher Initiative ist es gelungen, zum erstenmal diese Parteien und Gruppen, diese Klubs und Konventikeln, Zirkel und Denker der französischen Linken zu vereinen. Der Bürgermeister von Marseille scheiterte am gleichen Projekt. Wie lange wird diese Einheit dauern? Die Antwort hängt von drei Momenten ab: vom persönlichen, vom programmatischen und schließlich von der Haltung und Taktik der Kommunisten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung