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Die unitäre Mystik

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Frankreich ist das Land der politischen Überraschungen — zumindest für jene Nichtfranzosen, die etwas zu schnell vergessen, daß Franzosen in der Politik ganz anders reagieren als etwa Deutsche. Das hat sich in dieser vorösterlichen Zeit wieder einmal kraß gezeigt.

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Frankreich ist das Land der politischen Überraschungen — zumindest für jene Nichtfranzosen, die etwas zu schnell vergessen, daß Franzosen in der Politik ganz anders reagieren als etwa Deutsche. Das hat sich in dieser vorösterlichen Zeit wieder einmal kraß gezeigt.

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Die Kommentatoren waren sich zu Recht darüber einig, daß der Entschluß der französischen KP, zusammen mit der seit den Maitagen von 1968 wie die Pest gemiedenen „Neuen Linken“ zusammen zu demonstrieren, das wichtigste politische Ereignis in Frankreich seit den Wahlen ist. KP und „Neue Linke“ haben sich seit den Barrikaden von damals einen erbitterten Kampf um den Einfluß in den Fabriken und auf den Universitäten geliefert. In den Fabriken war die Stellung der Kommunisten nie ernstlich gefährdet, aber bei den Studenten und den Intellektuellen mußten sie mühsam Gelände zurückerobern. Und man hatte oft das Gefühl, daß ihnen ein richtiger Gaullist lieber war als der Vertreter einer der vielen Splittergruppen trotzkistischer, maoistischer oder anarchistischer Färbung.

Wenn die KP nun doch beschloß, mit der „Neuen Linken“ wenigstens streckenweise und aus taktischen Gründen zusammenzugehen, so liegt das daran, daß sie jetzt offensichtlich um jedes Wählerprozent kämpfen will. Sie möchte endlich aus ihrem Getto heraus.

Dieser kommunistische Ausbruchsversuch ist von den linken Meinungsmachern, die sich bei den fran-zösichen Wahlen so schön blamierten, als rettender Halm angesehen

worden. Seit den recht schwierigen Verhandlungen der Vereinigten Linken (KP und SP) mit den Links-außen wurde sowohl jenseits wie diesseits der französischen Grenzen die Parole ausgegeben: gewiß, Pompidou hat die Wahlen gewonnen — ober jetzt geht's auf der Straße weiter, er wird schon sehen... Und es tauchten auch schon die ersten Zeichnungen auf, auf denen man Gymnasiasten, Studenten und Arbeiter unter einem Wald von roten Fahnen im Wahlkampf untergegangene Volksfront auf dem Straßenpflaster doch noch verwirklichen sah.

Man war deshalb gespannt auf die große Kundgebung „unitären“ Geistes auf der klassischen linken Paradestraße von Paris, nämlich zwischen den Metrostationen Nation und Re-publique. (Wenn das nationale Lager, Gaullisten inbegriffen, demonstriert, so tut es das auf den Champs-Elysees, auf dem Weg zum Triumphbogen und zum Grab des Unbekannten Soldaten.) Die Photographen standen bereit, und die Schlagzeilen waren auch schon entworfen. Der Kommentar des für seinen polltischen Realismus bekannten Bosses der kommunistischen Gewerkschaften, Seguy, war klassisch. Er spitzte den Mund in seinem rundlichen Biedermannsgesicht und nannte die Demonstration „eine originelle Demon-

stration“ (wobei man noch streiten kann, ob damit der Wortsinn von „originell“ oder „original“ im Sinne von „erster Versuch“ gemeint war).

Die „unitäre“ Demonstration aller linken Großparteien und Kleinstgruppen zusammen, brachte nämlich nach den verläßlichsten Schätzungen (das heißt weder nach linken Schätzungen noch nach denen des Innenministeriums) ungefähr 25.000 Köpfe

auf die Beine. Für deutsche Begriffe mag das respektabel sein. Für französische Begriffe werden aber Demonstrationszüge auf dem breiten Boulevard zwischen Nation und Re-publique erst ab etwa 100.000 bis 150.000 Teilnehmern zu ernsthaften Angelegenheiten. Und eine solche Zahl bringt Paris sonst relativ leicht auf; wir haben dort schon Demonstrationen von an die 400.000 Demonstranten erlebt.

Hält man sich diese Proportionen vor Augen, so kann man diesen ersten Versuch einer demonstrativen Einheit der gesamten Linken nur als eine Pleite bezeichnen. Offensichtlich wollten die verschiedenen Elemente, die da zusammengeschweißt werden sollten, einfach nichts miteinander zu tun haben: die Arbeiter nichts mit den „Bürgersöhnchen“ aus den Gymnasien und Universitäten, die Kommunisten nichts mit den Sozialisten, und alle zusammen schon gar nichts mit der Befreiungsfront der Homosexuellen, die auch mitmarschierte. Die „unitäre Mystik“ zieht offensichtlich bei den Franzosen nicht; sie haben seit langem bewiesen, daß sie Theologie und Politik nicht vermischen wollen. Jede der Gruppen sandte ein symbolisches Kontingent, und jede achtete darauf, daß zwischen ihr und den übrigen der richtige Abstand gewahrt blieb. Bloß die Einpeitscher der Sprechchöre sausten hin und her, um dem Slogan der voranmarschierenden Gruppe gleich einen Gegen-Slogan folgen zu lassen.

Dieses Debakel spiegelt recht klar den gegenwärtigen Zustand der französischen Linken wider, von dem die Wetterfrösche in den Massenmedien so angestrengt neue Zeiten erhoffen. Kein Wunder, daß Pompi-dou sein neues Kabinett Messmer ohne besondere Public-Relations-Rücksichten zusammenstellen konn-

te. Wie es nach dem Spezialerfolg der „Unabhängigen Republikaner“ um Giscard d'Estaing zu erwarten war, hat es auch in der Regierung einen kleinen Rutsch nach rechts gegeben. Er prägt sich darin aus, daß der Jakobiner Debre gehen mußte und dafür Prinz Poniatowski, Gis-cards „Vize“, eintrat, dem die Gaullisten schon immer „zu links“ waren.

Die Finanzmächte, die hinter den „Unabhängigen Republikanern“ stehen, hatten immer ein waches Mißtrauen gegen die periodischen Versuche der echten (das heißt nicht der Konjunktur-) Gaullisten, doch noch de Gaulles sozialen Traum einer „Partizipation“ aller Volksschichten an Staat und Wirtschaft zu verwirklichen.

Pompidou aber brauchte Bundesgenossen, da ihm die Alt-Gaullisten immer noch nicht verzeihen, daß er nicht de Gaulle ist. Giscard drückte als Dank seine Augen zu, als Pompidou an fast allen Schlüsselstellen des Kabinetts Leute (und zwar möglichst junge Leute) seines Vertrauens delegierte. Der ganz ungewöhnliche Vorgang, daß der Präsident den der Öffentlichkeit sozusagen unbekannten Chef seiner Elysee-Bürokratie, Jobert, zum neuen Außenminister machte, war in seiner Art eine Demonstration: Pompidou wollte damit deutlich machen, daß er auf das geheime Lenken vom Elysee-Palast aus verzichten und offen die Führung — und damit auch die Verantwortung! — übernehmen will.

Pompidou sucht jetzt offensichtlich „aufs Ganze zu gehen“, und man fragt sich nur besorgt, ob ihm das sein Gesundheitszustand noch erlaubt. Es ist in den letzten Monaten öfters das Ende des Gaullismus proklamiert worden. Der französische Präsident erhebt den Anspruch, daß es zumindest mit dem Pompidouis-mus noch nicht zu Ende sei.

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