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Die Bombe unter dem Sombrero

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„Mit offenen Augen, offenen Ohren, offenem Sinn und offenem Herzen“ (Richard Nixon) ist New Yorks Gouverneur Nelson Rockefeiler zum dritten Teil seiner offiziellen Südamerikareise gestartet. Und während sein Auftraggeber schon das diplomatische Gepäck für seine Rumänienreise sortiert, soll sich der Parteifreund und Millionär mit den politischen Ambitionen um die vernachlässigten Amerikaner südlich von Texas kümmern. Doch trotz des größten Polizeiaufgebotes in der Geschichte von Buenos Aires flogen Steine, Tomaten und Rauchbomben. Fast gleichzeitig mußte die argentinische Regierung den Ausnahmezustand verhängen. .

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„Mit offenen Augen, offenen Ohren, offenem Sinn und offenem Herzen“ (Richard Nixon) ist New Yorks Gouverneur Nelson Rockefeiler zum dritten Teil seiner offiziellen Südamerikareise gestartet. Und während sein Auftraggeber schon das diplomatische Gepäck für seine Rumänienreise sortiert, soll sich der Parteifreund und Millionär mit den politischen Ambitionen um die vernachlässigten Amerikaner südlich von Texas kümmern. Doch trotz des größten Polizeiaufgebotes in der Geschichte von Buenos Aires flogen Steine, Tomaten und Rauchbomben. Fast gleichzeitig mußte die argentinische Regierung den Ausnahmezustand verhängen. .

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Südamerika ist zum lauten Sorgenkind des Weißen Hauses geworden. Nicht erst die spektakuläre Hinwendung Washingtons nach Europa hat die Generäle, Minister, Grundbesitzer und Spekulaten Dateinamerikas vergrämt, sondern die Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände im ganzen Kontinent.

Südamerika droht immer mehr zu einem nationalistischen Vietnam zu werden, in dem die Fronten quer durch die Massen und die führende Oberschicht gehen. Der Nationalismus der rassenintegrierten Länder richtet sich geigen Washingtons offizielle Politik und leitet eine neue Phase in den Beziehungen zu den kommunistischen Staaten ein. Als Kuba Castroismus sich einst vor der Haustür der USA mit roten Rubeln und Raketen installierte, meinten die treu antikommunisti-schen Oligarchien Südamerikas ebenso wie der in Fragen des launischen Kontinents eher naive Präsident Kennedy, daß die Probleme mit einem kräftigen Dollarstoß regulierbar seien. Ein zweiter Marshallplan sollte 1961 als „Allianz für den Fortschritt“ Südamerika sanieren und die soziale Disharmonie ebenso beseitigen wie die latenten Ängste Washingtons, daß sich außer Kuba auch andere Volksdemokratien an der weichen Flanke etablieren könnten.

Aber nicht erst die legendäre Pathe-tik eines Che Guevara oder des

Rebellenpriesters Camillo Torres ließen das Unternehmen von Anfang an fragwürdig erseheinen, sondern die Parxis der amerikanischen Hilfe, die grunidsätzlichen Geschäftscharakter aufwies. „Latein-amerifca leistet an erster Stelle den USA Entwicklungshilfe“,. meint die argentinische Zeitung „Primer a Plana“. Die Südamerikaner müssen etwa Investitionsgüter vielfach um 20 Pozent teurer kaufen als am Weltmarkt, US-Firmen in den verschiedensten Branchen einschalten, ihre Waren auf amerikanischen Schiffen transportieren. US-Firmen kontrollieren die Energieversorgung ebenso wie den Straßenbau, finanzieren die Armeen dubioser Befehlshaber und verursachten eine Verschuldung Lateinamerikas binnen 8 Jahren um 100 Prozent. Aber Lateinamerikas Schicksal ist durch die Dollarmilliarden nicht leichter geworden. So sanken die Wachstumsraten der Wdrtschaft seit 1961, als das Allianzprogramm begann, laufend. Und der Anteil Südamerikas am Welthandel reduzierte sich in dieser Zeit von 11 auf 5 Prozent.

23 Millionen Menschen sind in Südamerika arbeitslos (5 Millionen mehr als 1961), die Hälfte aller Kinder geht in keine Schule, 1301 Millionen Menschen verdienen nicht mehr als 250 Schilling monatlich, allein im Andenstaat Peru sterben etwa jährlich 40.000 Kinder an Unterernährung. ....

So wundert es die Beobachter einer düster werdenden Szene auch nicht, wenn dem Millionär Rockefeiler aus dem reichsten Land der Welt Steine, faule Eier und Brandbomben entgegenfliegen. Der Fehlgriff der Person des ambitionierten Millionärs mit klingendem Namen ist ein nicht wieder gut zu machender Fauxpas von Präsident Nixon.

Denn erstmals revoltiert nicht allein die Jugend, die linke Intelligenz an den Hochschulen: erstmals glaubt auch ein großer Teil der konservativen führenden Oberschicht und ein Gutteil der Militärs in den einzelnen Staaten nicht mehr an eine gute Nachbarschaft mit den USA. Lateinamerika ist zu einem Pulverfaß geworden — und die Funken sprühten allerorts umher. Funken schlägt aber auch China mit der schleichenden Unterstützung des roten Widerstandes. Kuba hat demonstrativ nicht am Moskauer Gipfel teilgenommen und Castro hat seinen Haß auf die „Yanqui“ nicht aufgegeben. Peking ist in Kuba und im revolutionären Untergrund zu Hause. Um so offener zeigt sich auch hier der rote Widerspruch: denn Moskau unterstützt ganz offen die saugende, antisoziale Oberschicht: Uruguays Regierung schloß mit der Sowjetunion ein Handelsabkommen über 20 Millionen Dollar, Venezuela nahm ebenso wie Ecuador diplomatische Beziehungen zur UdSSR, zu Unigarn und der Tschechoslowakei auf, in Peru boten die Sowjets der Militärdiktatur Ausrüstungsgüter um 100 Millionen Dollar an. Die USA hingegen erleben Rückschlag auf Rückschlag: Peru verstaatlichte die Erdölfirmen, die in amerikanischem Besitz waren, und gab bei diesem Anlaß sogar eine Briefmarke zum „Tag der nationalen Würde“ heraus, Brasiliens Generale stoppten den Kauf von Land am Amazonas durch US-Amerikaner, Ecuador veranlaßte die US-Firmen, zwei Drittel des Landbesitzes, nämlich die Ölfelder, zurückzugeben, Chile zwang die Amerikaner, das Ausbeutungsrecht an Kupferminen an den chilenischen Staat abzutreten.

Denn der Nationalismus. antiamerikanischer Emotion schlägt hohe Wellen. Und die Reaktion Washingtons läßt noch keine klare Linie erkennen. Auf Grund der sogenannten „US-Foreign Assistant Act“ muß Washington Entwicklungshilfe einstellen, wenn US-Eigentum verletzt wird. Entzieht man aber den rebellischen Lateinamerikanern auch nur einen Dollar, brechen Versorgung und Sozialfürsorge wie ein Kartenhaus zusammen. Die Folgen sind nicht abzusehen.

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