6934108-1983_03_06.jpg
Digital In Arbeit

Lateinamerika 1983

Werbung
Werbung
Werbung

Das Jahr 1983 beginnt für Lateinamerika im Schatten einer düsteren Bilanz für 1982: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind überwältigend und drohen das bißchen „periphere Autonomie“ neben dem großen Bruder USA zu ersticken.

In der Karibik mit ihren vereinzelten Linksabweichlern herrscht gespannte Ungewißheit. Und der mittelamerikanische Hexenkessel ächzt unter dem inneren und äußeren Druck. Das dunkle Bild wirkt auch auf Europa und damit auf Österreich zurück — zweistellige Wachstumsraten bei den Exporten nach Lateinamerika gehören der Vergangenheit an.

Die Generalstatistik für den Subkontinent zeigt zum ersten Male seit dem Zweiten Weltkrieg nicht wirtschaftliche Expansion,

sondern für 1982 zumindest ein Schrumpfen von zwei Prozent. Auf den Schuldenkonten stehen 300 Milliarden (300 000 000 000!) Dollar

Die Länder, welche 1982 noch positiv abschließen, zeigen keinen Aufschwung, sie schwammen auf den auslaufenden Wellen vergangener Booms. Die großen Schuldner (Mexiko, Brasilien, Argentinien, Chile) werden sich 1983 ausschließlich der Sanierung widmen müssen.

Aber auch die anderen Staaten müssen sich wie diese ehedem so

hoffnungsvollen „Schwellenländer“ den strikten Regeln des internationalen Währungsfonds unterwerfen. (Solche Regeln, wie etwa die Abschaffung gestützter Lebensmittel- oder Heizölpreise, treffen vor allem den unteren Mittelstand, nicht aber die Reichen.) Nur dann ist eine Umschuldung möglich.

Die Bankrottsituation hat vor keinem Land haltgemacht, nicht vor demokratisch oder halbde- mokrati6ch regierten, nicht vor den militärisch verwalteten, nicht vor den Erdölstaaten. Auch jene Länder, die wie Chile — das Paradepferd der späten siebziger Jahre — auf das monetaristische Modell umgeschwenkt hatten, stürzten ab. Chile 1982: Minuswachstum 14 Prozent, Arbeitslosigkeit zumindest 24 Prozent.

So steht 1983 mit hektischem Löcherstopfen ins Haus — und mit der Gewißheit, daß bisher in Lateinamerika ausprobierte Wirtschaftsmodelle schweren Krisen nicht standhalten können. Großprojekte sind im Austeritätsjahr 1983 nicht drin, was wiederum Westeuropa, das selber um Balance ringt, trifft: Denn die Technologieimporte werden auf das Notwendigste beschränkt und die

Importkontrollen für Konsum- und Luxusgüter verschärft.

Dazu kommt die Enttäuschung Lateinamerikas über die moralische Unterstützung Großbritanniens durch dessen EG-Partner im Falkland/Malvinen-Krieg. Damit wurden erste Gespräche über ein atlantisches Dreieck (Südamerika-US A-Westeuropa) im Keim erstickt und die lateinamerikanische Hoffnung auf den alten Kontinent begraben.

Die wirtschaftliche Katastrophe auf dem Subkontinent beengt außerdem den jungen Spielraum lateinamerikanischer Außenpolitik. Die strikten Bedingungen des Währungsfonds und die bilateralen Schulden in den USA zwingen die Länder südlich des Rio Grande in die alte Abhängigkeit vom Wirtschaftsgiganten im Norden. (Die Ausnahme bleibt Kolumbien, das — zwar hoch verschuldet — über so hohe Devisenbestände verfügt, daß es sich weder vom Währungsfonds noch von den USA anschaffen lassen muß.)

Am härtesten trifft das Mexiko, das seinen Wirtschaftsnationalismus in den vergangenen Jahren in ein Instrument eigener Außenpolitik umzumünzen wußte — was den US-Druck auf Mittelamerika

und die Karibik eindämmte. Mexiko muß jetzt, mit leeren Taschen, doch noch die bisher vermiedene enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten, vor allem auf dem Energiesektor, durchziehen.

Da auch Venezuela mit einer Rezession zu kämpfen hat, bleiben die Probleme im und um das karibische Becken 1983 wieder den US-Administratoren überlassen: jenen Leuten, die in jeder Linksabweichung den Teufel Sowjetunion sehen, der zugunsten der Ruhe im Hinterhof der USA ausgetrieben werden muß.

In diesem Jahr wird kaum ein lateinamerikanisches Land gegen die zunehmende Isolierung Nikaraguas, Granadas, Kubas und Surinams kämpfen können. Zumindest für Nikaragua gilt, daß es _ nicht zuletzt diese von den USA forcierte Isolierung ist, die dem Gespenst der linkstotalitären Diktatur Fleisch und Blut ansetzen läßt.

Schon stehen in Honduras die von der Reagan-Administration unterstützten Infiltrationstruppen bereit. Während 1983 möglicherweise der Bürgerkrieg in El Salvador aus den Schlagzeilen verschwindet, steht über Nikaragua die Drohung eines verschleißenden Grenzkrieges.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung