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In den Fußstapfen Castros

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Mit Janio Quadros, der Anfang 1961 im Palast der Morgenröte in Brasilien einzog und den Besen schwang gegen alle Verderbnis, zu der er auch die Imperialisten und die ausländischen Geldgeber rechnete, schien für manche Brasiliens Anschluß an den Sowjetblock nur eine Frage der Zeit. Ostentativ folgte er den Fußstapfen seines Helden, Fidel Castros, nach. Die Investitionen stockten, Washington fühlte sich herausgefordert, als Janio Kubas Erzrevolutionär Guevara demonstrativ den höchsten Orden an die Brust hängte und Chruschtschow Freundschaft gelobte. Der westlichen Welt konnte er keinen größeren Gefallen erweisen, als er im August des vorigen Jahres desertierte. Vergeblich versucht er jetzt nach seiner sechsmonatigen Weltreise, die er zur Erholung von seiner siebenmonatigen Regierungszeit unternahm, seinen Präsidentenstuhl zusammenzuleimen. Die Frage ist nur, ob die Massen wieder auf ihn hereinfallen, wenn der Kampf um den Gou-verneursposten von Sao Paulo beginnt, dessen Wahl im Oktober fällig ist.

Daß mit der Reise die „unmittelbare Gefahr eines kommunistischen Umsturzes abgeblasen“ ist, wie Goulart in New York versicherte, mag die mißtrauischen Amerikaner beruhigt haben, doch ist es für sie kein Geheimnis, was hier in ganz Lateinamerika zur Zeit gespielt wird. Hier sind sich die chinesischen und sowjetischen Kommunisten einig in der gemeinsamen Anstrengung, den Riesen Brasilien bis nächstes Jahr sturmreif zu machen. Es genügt ihnen die kleine Bresche in dem erneuerten Freundschaftsbund, der Vorbehalt, der noch aus der Regierungszeit Janios stammt: Brasilien gehört keinem der beiden großen Blöcke an und erklärt sich für die „friedliche Koexistenz der sozialistischen und westlichen Welt“.

Als Goulart vor dem Kongreß in Washington sich zu dieser „unabhängigen“ Politik bekannte, sie begründete und Kubas Recht auf Selbstbestimmung betonte, reagierten sie, wie ein Augenzeuge dem Korrespondenten der „Furche“ versicherte, mit eisiger Miene, „es war. als ob plötzlich das Licht ausgegangen wäre“.

Diese merkwürdige Reservation des Denkens konnte jedoch die wiederhergestellte Harmonie nicht trüben, im Gegenteil. Der Freimut des brasilianischen Präsidenten fand überall, wo er das Wort ergriff, selbst bei der bürgerlichen Schicht mit ihrem Kommunistenkomplex, die höchste Achtung. Der Vorbehalt, vom Ausland als Daumenschraube der brasilianischen Staatsmänner dem reichen Nachbar gegenüber bewertet, wurde schon vor Jahren in Itamarati, dem Auswärtigen Amt in Rio, ausgeheckt. Damals war es in Washington Mode, auf bestem Fuß mit den zahlreichen Despoten in den mittel- und südamerikanischen Ländern zu stehen, die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten regte sich nicht auf über die grausame Unterdrückung dieser Völker. Man konnte sogar Bekenntnisse von hoher Seite hören, es sei leichter mit Diktatoren als mit demokratischen Regierungen Geschäfte zu machen. Der Amerikaner interessierte sich für Rohstoffe in Lateinamerika, aber nicht um Menschen.

Es war daher für die Kommunisten damals nicht schwierig, Sowjetrußland als den Freund der Ausgebeuteten und die USA als die Verbündeten der Unterdrücker hinzustellen. In christlichdemokratischen Kreisen, ob in Buenos Aires oder Caracas, überall wurde die verhängnisvolle Rolle der Amerikaner als mächtigste Propagandisten für die Sowjetisierung Lateinamerikas beklagt. Die Warnungen des damaligen Bundespräsidenten Kubitschek nützten nichts. Eines Tages war es auch in Brasilien ausgemacht: „Großartiger als der wirtschaftliche Aufschwung des freien Europa ist das Hochkommen des kommunistischen Ostens, voran der Sowjetunion. Bald wird sie die Wirtschaftskraft der Amerikaner überschatten und mit sichtbar umfangreicheren Hilfsmitteln den unterentwik-kelten Zonen unter die Arme greifen, als das der sogenannten freien Welt überhaupt möglich ist, wie auch das Beispiel Rotchina zeigt.“ So stand es in einem Geheimdokument von Itamarati, 1958.

Doch datiert die Verstimmung schon aus .der Nachkriegszeit. Goulart nahm kein Blatt vor den Mund. Die Kongreßmitglieder erinnerte er an jene Elendsjahre, als im Mai 1945 die südamerikanischen Maschinen, die jahrelang auf Höchsttouren für die amerikanische Kriegswirtschaft liefen, plötzlich stillstanden.

Während die heimkehrenden Sieger in den Großstädten vom Volk umjubelt wurden, nisteten sich in den südamerikanischen Industriezentren die apokalyptischen Reiter ein.

Nicht Bomben töteten die Bewohner, sondern der Hunger. Es war eine schreckliche Zeit. Wo waren die Amerikaner? Sie halfen Europa, selbst ihren früheren Feinden, mit dem Marshall-Plan, aber uns hatten sie vergessen. Obwohl Brasilien wieder, wie 1914, einer ihrer Alliierten war.

So sprach Goulart. Und der ganze Kongreß applaudierte. Nur wer diese Zusammenhänge nicht kennt, mag von einer Erpresserpolitik Brasiliens reden. Mit der „Allianz für den Fortschritt“ kann Brasilien noch aus der roten Schlinge gezogen werden, falls die Hilfe großzügig und schnell kommt, ohne daß Washington, wie Goulart warnte, die Bedingung daran knüpft, daß zuerst das Land politisch und wirtschaftlich stabilisiert werde, wo doch die Hilfe notwendig ist, eben weil die Verhältnisse nicht stabil sind.

Seit dem 7. September des vorigen Jahres ist „Jango“, wie der Präsident vom Volk gern genannt wird, in Amt und Würden. Welches Staatsoberhaupt kann sich rühmen, in wenigen Monaten solche Erfolge einzuheimsen? Der gegenüber den Vereinigten Staaten immer sehr skeptische „Correio“ schreibt zu Goularts Ankunft in Brasilia: „Jetzt wissen wir, wie wir daran sind. Wir und die Yankees können einander wieder ins Gesicht sehen.“

Wenn kürzlich „Christ und Welt“ eine ganzseitige Bilanz über den heutigen amerikanischen Präsidenten überschreibt: „Kennedy — ein Fragezeichen“, so ist er für die Südamerikaner ohne Fragezeichen. Ein Volk von 70 Millionen, wenn auch im Schatten des Kubaners, schenkt ihm sein volles Vertrauen. Kennedy wird noch in diesem Jahr nach Brasilien kommen — ein gutes Echo auf Goularts Aussprache.

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