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Ein Toter ohne Begräbnis?

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Die Konferenz der amerikanischen Präsidenten in Panama ist auf den 21. Juli verschoben worden. Der Kontinent ist in alarmierender Unruhe: In Argentinien halten peronisrische Putschversuche an. In Brasilien stürmt die hungrige Menge Eisenbahnen und Autobusse. In Peru und Guatemala kennzeichnen Ausnahme-recht, Generalstreik und Straßenkämpfe das politische Klima. In Kuba werden Mordpläne gegen den Diktator Batista am laufenden Band aufgedeckt. So haben die Präsidenten — nach südamerikanischer Auffassung — dringendere Sorgen, als an einer Konferenz teilzunehmen, die ihnen keinerlei Vorteil bringen kann.

Ihr äußerer Anlaß ist verstrichen: die 130. Wiederkehr des Tages, an dem der „Befreier“ Simon Bolivar die „1. Interamerikanische Konferenz“ in Panama eröffnete. Sie hatte kein Ergebnis. Aber ihre Tagesordnung war weit kühner als heute. Sie schloß die „innere Demokratisierung“ und die „Bildung panamerikanischer Land- und Seestreitkräfte“ ein.

Die „Einheit Amerikas“, die in Panama bekräftigt werden soll, ist eher eine geographische Fiktion als eine politische oder gar wirtschaftliche Realität. Ein wohlhabender Argentinier kennt Paris, aber nicht Caracas. Eine große brasilianische Zeitung berichtet mehr aus London als aus Buenos Aires. Die Verschiedenartigkeit der Regierungsformen, der Gegensatz zwischen Demokratien und Diktaturen, erschwert die polftische, die Gleichartigkeit der Wirtschaft — Rohstoffproduktion, nicht Industrieerzeugung — die ökonomische Zusammenarbeit zwischen den südamerikanischen Staaten. Die 0EA, die panamerikanische Organisation, verhindert Kriege zwischen ihnen. Sie bilden in der UNO einen zahlenmäßig bedeutenden und deshalb umworbenen Block. Darin erschöpft sich die „amerikanische Solidarität“.

Washington betreibt — nach südamerikanischer Auffassung — die Panamakonferenz aus zwei Gründen: Zunächst soll sie das (zutreffende) Wahlargument der Demokraten widerlegen, daß die Republikaner durch ihre Handelspolitik die Beziehungen zu Südamerika erheblich verschlechtert haben. Eisenhower, Stevenson und Kefauer überbieten sich in Erklärungen, mit denen sie das Interesse für Südamerika unterstreichen. Sodann will das State Depart-ment der sowjetrussischen politischen und wirtschaftlichen Offensive nach Südamerika entgegenwirken. Man glaubt in Washington, dat? Moskau mit der Lockerung der zentralen Kontrolle die Chancen der südamerikanischen Kommunisten erhöht hat. mit den Nationalisten wieder „Volksfront “-Koaltionen einzugehen. Diese Erwartung ist — von Südamerika aus gesehen — irrig. Zwar schreibt die nationalistische Presse, solange ihre Vertreter nicht an der Regierung sind, ebenso wie die kommunistische von der „imperialistischen Kolonialpolitik der Yanquis“. Aber es fehlt jedes konkrete Anzeichen dafür, daß eine der nationalistischen Parteien Südamerikas im Augenblick bereit wäre, mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten. Ganz anders sind freilich die Bemühungen Moskaus zu beurteilen, in Südamerika wirtschaftlich Fuß zu fassen. Die verheerende Finanz- und Devisenlage vieler südamerikanischer Staaten und die Inflation bieten Moskau — auf längere Sicht — große Möglichkeiten. Denn „Washington behandelt Südamerika als vergessenen Kontinent“ — ist das Schlagwort im Süden. Man weist darauf hin, daß nur 1,2 Prozent der 45 Milliarden Dollar, die Washington in den ersten sieben Jahren nach dem Weltkriege verschenkt hat, nach Südamerika geflossen seien, und behauptet, daß sich das nordamerikanische Privatkapital nicht genug für diesen Halbkontinent interessiere, obwohl er mit sieben Milliarden Dollar Handelsaustausch der beste Kunde der USA sei. Vor allem war man empört, weil die nordamerikanische Regierung Getreide, Fleisch und Baumwolle aus den riesigen Agrarüberschüssen an traditionelle Kunden der südamerikanischen Länder verschleuderte und ihnen so eine Konkurrenz machte, die sie als unlauter bezeichneten. Gerade am Vorabend der Panamakonferenz hat das State Department die Aende-rung dieser Wirtschaftspolitik angekündigt! Bulganin hat den südamerikanischen Staaten angeboten, ihre Rohstoffe in unbegrenzter Quantität abzunehmen und ihnen dafür Industrie ausrüstungen, Verkehrsmittel usw. zu liefern. Als der stellvertretende Ministerpräsident der Sowjetunion, Mikojan, für Juni eine kommerzielle (?) Werbereise nach Argentinien, Brasilien und Uruguay ankündigte, schickte Washington ohne jede „Publicity“ eine Delegation in diese Staaten. Was sie versprochen hat, wurde nicht bekannt. Tatsache ist aber, daß als Folge dieser Intervention aus Südamerika Mikojans Besuch „abgeblasen“ wurde.

Die Konferenz der Präsidenten in Panama soll eine „Grundsatzerklärung“ vor allem gegen das Vordringen des Kommunismus auf dem Kontinent beschließen. Aus Südamerika antwortet man, daß Foster Dulles eine solche Erklärung — anläßlich des Guatemalakonfliktes — schon auf der panamerikanischen Konferenz in Caracas, 1954, durchgesetzt habe und der „autochthone Totalitarismus“, das Diktatorunwesen, eine größere und nähere Gefahr darstelle als der kommunistische. Aber schon auf der Panamerikanischen Konferenz des Jahres 1945 wurde die uruguayische These abgelehnt, nach der jede Gewaltherrschaft in eine m amerikanischen Staate den inneren und äußeren Frieden aller bedrohe. Jede Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen Regierungen, die aNe Schattierungen zwischen reiner Demokratie und blutiger Tyrannei aufzeigen, ist eben nur auf der Basis der „Nichtintervention in die inneren Angelegenheiten“ möglich. So muß eben Eisenhower mit Trujillo an einem Tisch sitzen und die „protokollarischen Llmarmungen“ austauschen, obwohl dieser Diktator seit 25 Jahren die Dominikanische Republik als Familien-AG. ausbeutet und für viele politische Morde verantwortlich gemacht wird. Gerade deshalb bezeichnet die Presse in den freien Staaten Südamerikas die Panamakonferenz als eine „Farce“ mit „hohlem Gerede“. Das Organ der argentinischen Sozialisten, „Vanguardia“, fand den Beifall der demokratischen Presse anderer Staaten, als es schrieb: „Das Projekt der Konferenz ist tot. Es handelt sich um einen Toten ohne Bestattung. Graben wir sie ein und werfen wir auf den Sarg eine Handvoll Erde aus den amerikanischen Staaten, in denen soviel für die Freiheit gelitten, gestöhnt und gestorben wird.“

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