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Die Veruneinigten Staaten von Amerika

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Die „Organisation der Amerikanischen Staaten“ („OAS“), die nach den Worten des argentinischen Unterstaatsekretärs Jorge Väzques „in einer Struktur der Unterwerfung und Ungleichheit eine schläfrige und dienstfertige lateinamerikanische Bürokratie konsolidiert“, soll reformiert werden. Dazu haben die Staatssekretäre der 23 Staaten kürzlich in Lima getagt. Sie werden in der zweiten Etappe Ende August in Washington und in einer dritten im November wieder in der peruanischen Hauptstadt zusammentreten. Das Ergebnis dieser Marathonkonferenz wird der nächstjährigen Generalversammlung der „OAS“ in Atlanta vorgelegt werden. Ob die Reformen dann in zwei oder in vier Jahren in Kraft treten, ist strittig. Obwohl man — nicht nur in Laternamerika — an ergebnislose Konferenzen gewohnt ist, bei denen Millionen Worte mit einem Minimum an Wirkung in die Luft geredet werden, scheint die „OAS“ die bestehenden Rekorde zu schlagen.

Zwar sind sich alle Staaten — auch die USA — darüber einig, daß die panamerikanische Organisation in ihrer augenblicklichen Form unbeweglich und unwirksam geworden ist. Aber die 23 Länder sind in vier Lager gespalten: die von den USA geführte Gruppe will geringfügige, im wesentlichen nur formelle Änderungen befürworten. Die von Peru und Chile vertretene Richtung verlangt tiefgreifende Strukturberichtigungen, während Argentinien und das auf der Konferenz nicht offiziell vertretene Kuba den Ausschluß der USA aus der „OAS“ fordern. Die vierte Gruppe wartet ab.

Der Exekutivsekretär der „OAS“ für Wirtschaftsfragen, Walter Sedwitz, hat vor einiger Zeit erklärt, daß die lateinamerikanischen Nationen immer weniger bereit seien, ihre Probleme auf panamerikanischer Ebene zu diskutieren; vielmehr beraten sie erst untereinander, um dann die USA an den Gesprächen teilnehmen zu lassen. In der Praxis habe sich die „OAS“ in eine lateinamerikanische Organisation verwandelt.

Obwohl diese Formulierung etwas überspitzt erscheint, vor allem angesichts der Tatsache, daß vorläufig Washington der Sitz der „OAS“ ist, so ist die Achillesferse der ganzen panamerikanischen Zusammenarbeit der Gegensatz zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Diesen zwischenstaatlichen inneramerikanischen „Klassenkampf“ hat der argentinische Delegierte Väzques in die Formel gefaßt: „Es gibt keine gemeinsame Politik für den Unterdrücker und den Unterdrückten.“

Nun hat ein bekannter Südamerikaspezialist — ein früherer Beamter des State Departement —, William D. Rogers (kein Verwandter des Außenministers), vor einiger Zeit mit starkem Echo geschrieben, die USA zeigten in ihrer Lateinamerikapolitik das Bild eines „dummen und verwirrten Nilpferdes“, sie sollten sich aus der „OAS“ zurückziehen. Auf der Konferenz in Lima hat def nordamerikanische Delegierte anerkannt, daß die Beziehungen zu Lateinamerika weit von der „reifen Partnerschaft“ entfernt sind, die Nixon proklamiert.

Die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder ist dabei, die diplomatischen Beziehungen zu Kuba bilateral wieder aufzunehmen und der Aufhebung der Sanktionen, die gegen Kuba verlangt wurden, zuzustimmen.

Vor allem gilt der Frontalangriff der reformfreudigen Lateinamerikaner dem „Interamerikanischen Verteidigungsabkommen“ („TIAR'), das von Argentinien, Peru, Mexiko, Venezuela und andern in Frage gestellt wird. Diese Länder bezeichneten die militärische Blockbildung an der Seite der USA als „unvereinbar mit der politischen und ideologischen Neutralität“ und nannten es „grotesk“, daß Kuba wegen seiner Haltung zum Ostblock ausgeschlossen bleibt, während die USA mit China und der Sowjetunion paktierten.

Freilich ist die Haltung der lateinamerikanischen Staaten hiebei häufig zweideutig. Auf der einen Seite wollen Chile und Argentinien den „blockfreien Staaten der Dritten Welt“ beitreten und an deren Algierkonferenz teilnehmen, anderseits akzeptiert Allende noch Militärhilfe der USA. Washington legitimierte auch kürzlich den Verkauf von F-5-Überschall-Jagdflugzeugen an Argentinien und Chile, wobei (so die „New York Times“) in Regierungskreisen darauf hingewiesen wurde, daß hiedurch der nordamerikanische Einfluß bei den Käuferstaaten wachse und der Gebrauch der Waffen kontrolliert werden könne. Die kürzlichen Erklärungen des nun zurückgetretenen argentinischen Präsidenten Cämpora deuteten auf die Absicht, das für das bisherige lateinamerikanische Sicherheitsdenken ausschlaggebende Militärabkommen zu kündigen.

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