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Castros Flucht nach vorn

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Der erwartete Besuch Fidel Castros in Chile, seine Weigerung, die Beziehungen zu den USA und der OAS zu „normalisieren“ und sein Angebot an die „revolutionären Völker“, ihnen sogar mit Soldaten zu helfen, zeigen, daß die Spannungen in Lateinamerika sich einem neuen Höhepunkt nähern. Zwar sind sich alle lateinamerikanischen Länder darin einig, von den USA bessere Handelsbedingungen zu fordern, worauf Nordamerika zu antworten pflegt, daß man die Forderungen zwar respektiere, aber wegen des Kongresses nicht bejahen könne.

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Der erwartete Besuch Fidel Castros in Chile, seine Weigerung, die Beziehungen zu den USA und der OAS zu „normalisieren“ und sein Angebot an die „revolutionären Völker“, ihnen sogar mit Soldaten zu helfen, zeigen, daß die Spannungen in Lateinamerika sich einem neuen Höhepunkt nähern. Zwar sind sich alle lateinamerikanischen Länder darin einig, von den USA bessere Handelsbedingungen zu fordern, worauf Nordamerika zu antworten pflegt, daß man die Forderungen zwar respektiere, aber wegen des Kongresses nicht bejahen könne.

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Dieses Lied wird seit Jahren da capo gesungen. Auf der Generalversammlung der OAS in San Josė de Costa Rica waren sich bezeichnenderweise auch der neue Außenminister der rechten uruguayischen Regierung, Dr. Mora-Lange, Jahre hindurch Generalsekretär der OAS, und der neue Kanzler der linken chilenischen Regierung, Clodomiro Almayda, in der Forderung einig, durch eine „gemeinsame lateinamerikanische Politik“ und die Revision der bisherigen Organisationsformen zu einem „echten Dialog mit den USA“ zu kommen.

Fidel Castro widerspricht sich scheinbar. Er sagt gleichzeitig: „Die OAS muß verschwinden“ und „Sie muß die Imperialisten und ihre Gefolgsleute vertreiben, ehe über den Wiedereintritt Kubas zu reden ist“. Damit enthüllt er eine neue und gefährliche Zielsetzung einer lateinamerikanischen Integration. Er will nicht mehr — wie viele — einen „regionalen Block“ bilden, der den USA entgegentreten kann, sondern den lateinamerikanischen Halbkontinent in einen „imperialistischen“ und einen „revolutionären“ Block spalten.

Castro geht so weit, die Entsendung von Revolutionsexperten und sogar von Soldaten auf die „Hilferufe revolutionärer Völker“ seine „heiligste Pflicht“ zu nennen. Das bedeutet eine sensationelle Schwenkung in der kubanischen Revolutionspolitik. Sogar auf dem Höhepunkt des castroistischen Rausches — auf der OLAS-Konferenz in Havanna — lehnte er 1967 jede Intervention — mit kubanischen Waffen oder gar Truppen — ab. Für seine Wandlung beruft er sich in der Rede zum 10. Jahrestag seines Sieges an der Playa Giron auf die „revolutionäre Welle, die durch Lateinamerika geht“.

Er sieht sie in erster Linie in Chile verwirklicht. Er sprach von der „echten Brüderschaft“ und erklärte, daß das kubanische Volk „mit seinem Zucker, und wenn nötig, mit seinem Blute“ an dessen Seite stehe. Trotz seiner Solidaritätserklärungen bläst Allende aber noch nicht mit voller Tonstärke in das kubanische Horn.

Gastro vertraut auch auf den „revolutionären Prozeß“ in Peru und Bolivien, wo die nationalistischen Offiziere politische, wirtschaftliche und vor allem soziale Strukturänderungen verwirklichen, von denen Castro immer behauptete, sie seien nur mit „revolutionärer Gewalt" durchzusetzen.

Der kubanische Diktator meint ferner, daß Argentinien, Brasilien und Uruguay angesichts der täglichen Aktionen ihrer städtischen

Guerillas nach dem Sprachgebrauch von Kari Marx „im Vorzimmer der Revolution“ stünden. Aber mit den Prognosen Castros ist es eine eigene Sache. Er hat sich vor vier Jahren gründlich geirrt, als er auf den Sieg der ländlichen Guerillas in Venezuela, Guatemala, Kolumbien und Bolivien setzte. Trotz der konfusen innenpolitischen Situation in Argentinien ist dieser Staat sowenig — im castroistischen Sinne — „revolutionsreif“ wie Brasilien. Beide bilden sogar eine Art Bollwerk gegen die Expansion der Subversion.

Angesichts all dessen, was sich gegenwärtig in Kuba selbst abspielt, scheint Castro aus der Enttäuschung über ein Scheitern seiner Hoffnung auf einen neuen, besseren kubanischen Sozialismus die Flucht nach vom angetreten zu haben.

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