Finaler Schlagabtausch mit Castro

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Jorge Edwards "politischer Roman ohne Fiktion" ist endlich auf Deutsch zu lesen. Mit "Persona non grata" führt der ehemalige chilenische Botschafter in Castros Kuba der frühen 70er Jahre.

Bürgerlicher Intellektueller", das war Fidel Castros Bezeichnung "für diejenigen, die es wagten, anderer Meinung zu sein und selbständig zu denken". Anfang der 1970er Jahre - die kubanische Revolution befand sich in einer tiefen (Wirtschafts)-Krise, Castros Vorgabe für die Zuckerrohrernte wurde weit verfehlt, sein Volk litt sichtbaren Mangel - war einer der Männer, die unter dem Verdacht der bürgerlichen Intellektualität standen, der neue, junge chilenische Botschafter auf Kuba, Jorge Edwards.

"Ich hätte es tausendmal vorgezogen, wenn Allende uns anstatt eines Schriftstellers einen Minenarbeiter geschickt hätte", ließ der Comandante en Jefe am Ende von Edwards dreimonatiger, interimistischer Amtszeit wissen. Als Repräsentant der neuen linken Regierung Chiles unter Salvador Allende war Edwards nach sechs Jahren diplomatischer Funkstille das Fleisch gewordene Symbol für die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und stand massiv unter Beobachtung. Der durchaus nicht unerfahrene Diplomat und Schriftsteller kannte Kuba von einem früheren Aufenthalt und hatte zahlreiche Schriftstellerfreunde in Havanna. Diesmal aber fand er sich in einem Land wieder, das - wie ihm zunehmend dämmerte - in eine Phase eingetreten war, die nur mehr wenig mit den ersten Jahren der von ihm feurig unterstützten Castro'schen Revolution gemein hatte.

Kritik an Castro

Der Erkenntnisprozess, der zu dieser Einsicht führte, ist das Thema von Edwards Buch "Persona non grata". Der "politische Roman ohne Fiktion" - wie Edwards sein Werk gegenüber seinem ersten, spanischen Verleger nannte - erschien 1973, drei Monate, nachdem General Pinochets Militärjunta die chilenische Demokratie unter Allende zerstört hatte. Es war, so Edwards, "zweifellos kein guter Moment, um Fidel Castro zu kritisieren". Kritisiert wurde Edwards, vielfach auch von denen, die wussten, dass seine kubanischen Berichte der Wahrheit entsprachen.

Mit 33 Jahren Verspätung erscheint das Buch, für das sich damals trotz begeisterter Lektoren kein deutscher Verlag fand, nun endlich auch zum ersten Mal auf Deutsch: Ein eindringliches Zeitdokument, geschrieben von einem brillanten, scharfsichtigen Beobachter und hochpolitischen Geist, gleichzeitig ein Bericht aus grauester Vorzeit, der heute 30-, 35-jährige darüber staunen lässt, dass der Dinosaurier Castro krankheitsbedingt erst Anfang August die Macht an seinen jüngeren Bruder abgegeben hat - und auch das vorläufig nur vorübergehend für ein halbes Jahr.

Kuba, wie Edwards es erlebte, stand 1971 an jenem Punkt, an dem der Sozialismus in eine verstaatlichte Militärdiktatur überging. Der Polizeiapparat funktionierte "tadellos, wie ein Uhrwerk", so "als wären auf diesem Gebiet die Improvisation und die Trägheit der Tropen ausgeblendet", die in allen anderen Bereichen herrschten. Die Flitterwochen zwischen Kuba und den europäischen Linksintellektuellen waren vorbei, weil Castro den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 gutgeheißen hatte. Überall wähnten er und sein Geheimdienst CIA-Spione, jegliche "Kritik wurde unter tausend Vorwänden ... entwertet".

Das Urteil über Edwards als "bürgerlichen Intellektuellen" ist, wie diesem im Rückblick klar wird, bereits vor seiner Ankunft gesprochen: Daraus folgt ein Katz-und Maus-Spiel, in dem alle kleinen Schikanen - von den Zufallsbekanntschaften, die sich als Aushorcher im Polizeidienst herausstellen, bis zu den verwanzten Zimmern und vagen, nie erfüllten Versprechungen - ebensogut bloße, dumme Zufälle sein könnten. Innerhalb weniger Monate zermürben sie Edwards.

Sein finaler Schlagabtausch mit Castro - eine dreistündige nächtliche Politdebatte am Vorabend seiner Ausreise - bildet den Höhepunkt dieses Buches. Es zeigt Castros Schwächen und Stärken in großer Klarheit - und Edwards Kühnheit unter bedrohlichen Umständen: "Wissen Sie, was mich bei diesem Gespräch am meisten beeindruckt hat?" fragte Castro Edwards gegen Ende. "Was, Herr Premierminister?" "Ihre Gelassenheit!"

Persona non grata

Von Jorge Edwards

Aus d. chilen. Span. v. Sabine Giersberg u. Angelica Ammar

Wagenbach Verlag, Berlin 2006

283 Seiten, geb., e 23,20

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