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Guerillas und der Kokainhandel

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Begonnen hat es damit, als kolumbianische Drogenhändler einen Verkaufsring aufbauen wollten und die Guerilla um Schutz baten. Heute ist diese Allianz zu einer Bedrohung für den ganzen Kontinent geworden.

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Begonnen hat es damit, als kolumbianische Drogenhändler einen Verkaufsring aufbauen wollten und die Guerilla um Schutz baten. Heute ist diese Allianz zu einer Bedrohung für den ganzen Kontinent geworden.

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Vor rund fünf Jahren intensivierten sich in lateinamerikanischen Hauptstädten zunehmend Gerüchte, wonach die Rauschgiftmafia sich mit lokalen Guerillagruppen zu verbünden begonnen habe. Diese unheilige Allianz sei für beide Seiten von Vorteü, hieß es. Die Guerillagruppen würden Geld und Waffen von der Rauschgiftmafia im Gegenzug für geleisteten militärischen Schutz erhalten. Die Bosse der Drogenszene — es handelte sich damals wie heute vorwiegend um Kolumbianer — waren im Begriff, ein gesamtlateinamerikanisches Drogenimperium aufzubauen, in dem sie hauptsächlich Kokain und Marihuana produzieren und dann von dort aus vermarkten wollten.

Da die Drogenproduzenten und -Händler angesichts wachsender Umsätze bald das Mißfallen der verschiedenen Regierungen erregten, mußten sie sich nach ihrem Selbstverständnis vor der Verfolgung durch die Staatsorgane „schützen“. Da bot sich die Kooperation mit den verschiedenen Guerillagruppen Südamerikas an, von denen einige inzwischen unter Auszehrungserscheinungen litten. Die Zusammenarbeit zwjschen.marxistischen Guerillagruppen und der Drogenszene nennen die Lateinamerikaner „narcoterrorismo“ — Drogenter-rorismus.

Die Kombination beider Faktoren ist zu einer ernsthaften Bedrohung für die Staaten Lateinamerikas geworden. Dort, wo schwache Demokratien herrschen, ist das Phänomen des „narcoterrorismo“ besonders stark entwickelt; in von rechten Diktatoren regierten Ländern — Chile und Paraguay - ist davon weniger zu spüren, obwohl hinter den Kulissen auch dort merkwürdige Querverbindungen zu bestehen scheinen, was besonders auf das südamerikanische Schmuggelland par excellence Paraguay hinsichtlich des Drogenmilieus zutrifft.

Drehpunkt und Durchgangsland für den Handel mit Kokain und Marihuana ist nach wie vor Kolumbien, das gut am schmutzigen Geschäft verdient. Ein hochrangiger Vertreter der Nationalbank erklärte 1981 gegenüber dem Autor, daß Kolumbien ungewollt Deviseneinnahmen von mindestens einer Milliarde Dollar aus dem Rauschgiftgeschäft erziele. Er bezeichnete den „Wirtschaftszweig“ als Parallelökonomie — „economia paralela“ — und zeigte sich skeptisch, daß es in naher Zukunft möglich sein werde, die Rauschgiftszene zu zerschlagen. Der Mann sollte recht behalten! Anfang April 1986 bestätigte der kolumbianische Verteidigungsminister General Miguel Vega Ur-ibe, daß sich sein Land einer „furchtbaren“ Herausforderung gegenübergestellt sehe: die Verbindung zwischen Rauschgiftmafia und Guerilla sei eine Gefahr für den Staat.

Kolumbiens Regierungen plagen sich seit über 30 Jahren mit diversen Guerillagruppen ab. Jahrelang führten diese ein Dasein am Rande der Gesellschaft, was sich aber änderte, als sie sich Nachschub aus der Drogenszene sicherten. Erkenntnisse aller lateinamerikanischen Sicherheitsorgane belegen, daß das Erstarken der diversen Guerillabewegungen auf deren Zusammenarbeit mit der Rauschgiftmafia zurückzuführen ist. Eindeutig erwiesen ist, daß die Guerillagruppen, die sich nur noch selten — anders als vor 15 Jahren - als „Freiheitsbewegungen“ darstellen, nicht von der allgemeinen Bevölkerung unterstützt werden.

Enge Verbindungen sind einigen Guerillabewegungen zu Kuba und Nikaragua nachgewiesen worden. In Kolumbien, Mexiko, Peru, den USA und Kanada hat es Drogenprozesse gegeben, in denen Kuba und Nikaragua als Helfer und Drahtzieher genannt worden sind. In diesem Zusammenhang wurde auch der ehemalige IOS-Manager Roberto Vesco genannt, der seit Jahren auf Kuba lebt und Fidel Castro „beratend zur Seite“ steht. Vesco gilt als hochkarätiger Krimineller und wird von der amerikanischen Justiz seit langem gesucht.

Kubas Fidel Castro verdient am Drogenhandel, der von einem seiner hochrangigen Marineoffiziere logistisch betreut wird. Castro liefert Waffen, die von den Drogenhändlern bezahlt und von diesen an Guerilleros über ihre Kanäle weitergeleitet werden. Auch der nikaraguanische Innenminister Tomas Borge ist ins Dienstleistungsgewerbe eingestiegen: er stellt Flugzeuge für den Drogentransport in die USA.

Und soeben erst hat die kolumbianische Kommission, die beauftragt war, die Hintergründe des Uberfalls auf den Justizpalast in Bogota im November vergangenen Jahres aufzuklären, mitgeteilt, daß an dieser Aktion, bei der immerhin 122 Menschen starben, mindestens drei nicaraguanische Terroristen und ein Panamaer neben den Guerilleros der kolumbianischen M-19 Gruppe teilgenommen haben. Grund des Uberfalles auf den Justizpalast: dort lagerten die Akten über die Rauschgiftszene Kolumbiens und wohl auch über das Land hinausgehend. In Kolumbien sind Politiker, angesehene Geschäftsleute und Beamte in den Drogenhandel verwickelt gewesen und dürften es noch sein. Nicht anders geht es in Peru, Bolivien und Ekuador zu - von Paraguay ganz zu schweigen, über das die diversen „Pulverchen“ nach Argentinien, Brasilien und Uruguay weitergeleitet werden.

Nachdem seitens der Regierungen der politische Wille besteht, das Rauschgiftproblem in den Griff zu bekommen, haben sich im Februar die Regierungen von Ekuador, Kolumbien und Peru darauf geeinigt, gemeinsam gegen die Drogenmafia vorzugehen. Sie beschlossen, erst einmal die vielen geheimen Flugpisten im Amazonasgebiet auszuschalten und den grenzüberschreitenden Verkehr von Drogenhändlern und

Guerilleros einzudämmen. Das Unternehmen wurde mit dem Decknamen „Operation Condor“ versehen. Die Regierungen wissen, daß sie die reiche Drogenmafia ausschalten müssen, wenn sie den Guerillasumpf in ihren Ländern trockenlegen wollen.

Die Partisanen operieren nämlich inzwischen jeweils nicht mehr nur innerhalb der nationalen Grenzen als „Befreiungsarmeen“, sondern sehen sich als „kontinentale“ Macht. Sie können davon ausgehen, daß ihr materieller Nachschub funktioniert. Und seit einige Guerillagruppen begonnen haben, ihren Kämpfern einen Sold zu bezahlen — der natürlich aus den Kassen der Drogenszene stammt - haben sie auch kaum noch Rekrutierungsprobleme. Bei der hohen Arbeitslosigkeit Lateinamerikas ist das durchaus verständlich.

Damit beginnt erneut ein Kapitel der lateinamerikanischen Guerillageschichte, welches eigentlich vor knapp 20 Jahren als abgeschlossen galt. Damals war der Berufsrevolutionär Ernesto „Che“ Guevera kläglich gescheitert, der versucht hatte, in der Andenkette mehrere „Vietnams“ zu schaffen, in denen der „US- Imperialismus verbluten“ sollte.

In Argentinien geboren, in Kolumbien und Kuba als „internationalistischer Revolutionär“ im Einsatz, hatte er sich verkalkuliert und wurde 1967 nach dem Verrat durch die Indianer des Hochlandes - die nicht von ihm „befreit“ werden wollten — von der bolivianischen Armee gefangengenommen und kurz darauf erschossen.

Seit längerem gibt es eine Zusammenarbeit zwischen einzelnen Partisangengruppen aus verschiedenen Staaten. Vor einigen Jahren meldeten venezolanische Zeitungen, daß versprengte Guerillagruppen des Landes vom benachbarten Kolumbien aus unterstützt würden. Nur wenige Menschen in Venezuela wollten diese Meldung seinerzeit ernst nehmen.

Heute gibt es also eindeutige Beweise, daß sich ein Kern einer grenzüberschreitenden, multinationalen, marxistischen Guerilla formiert hat. Man arbeitet noch von „Fall zu Fall“ zusammen — siehe Uberfall auf den Justizpalast in Bogota — und ist ansonsten bestrebt, die Aktionen der einzelnen Gruppen miteinander abzustimmen. Aus Unterlagen kolumbianischer und ekuadorianischer Sicherheitsorgane geht zum Beispiel hervor, daß die kolumbianische M-19 Guerilla, die sich besonders eng mit der Rauschgiftmafia verbündet hat, mit der ekuadorianischen Freizeitguerilla „Alfaro vive, carajo!“ kooperiert. Die Koordination und Langzeitplanung für einen kontinentalen Aufstand liegen in den Händen der Kubaner, wie bolivianische Sicherheitsorgane zur eigenen Überraschung feststellten.

In der bolivianischen Hauptstadt La Paz war es im Oktober vergangenen Jahres durch eine Kette glücklicher Zufälle der Polizei gelungen, die kubanische Botschaft als „Kommandozentrale“ für den Aufbau einer Guerilla kontinentalen Ausmaßes auszumachen. Die Auswertung der bei Durchsuchungen sichergestellten Unterlagen ergab, daß die Kubaner eindeutig die Kontaktpersonen für echte oder Möchtegern-Guerilleros sind.

Mitte Februar dieses Jahres hatte sich der bolivianische Vizeinnenminister, Guido Meruvia, in der Öffentlichkeit dahingehend geäußert, daß kurz zuvor in der ostbolivianischen Stadt Santa Cruz ein Treffen internationaler Terroristen stattgefunden habe. Da man keinen Grund sah, gegen diese „Internationalisten“ vorzugehen, konnten sie ungestört über Taktik, Strategie und Koordinierungsfragen diskutieren. Die bolivianische Regierung wollte nichts gegen die Terroristen unternehmen, weil diese bislang sich nichts in dem Andenstaat zuschulden kommen lassen hatten. Und ein Gesuch benachbarter Staaten, den einen oder anderen „Internationalisten“ zu verhaften, lag nicht vor. Ergo begnügte man sich mit der Beobachtung der Gruppe!

Dies schien ohnehin vernünftig zu sein, denn die neue Regierung Paz Estenssoro, demokratisch im vergangenen Sommer gewählt, verspürte wenig Neigung, sich mit Problemen zu belasten, die nicht sofort gelöst werden müssen. Vordringlich war für Paz Estenssoro im vergangenen Jahr den anarchistischen Gewerkschaften die Flügel zu stutzen.

Als vor wenigen Wochen die amerikanische Regierung der brasilianischen Staatsführung den Hinweis gab, in Brasilien würden Guerillagruppen aufgestellt, da erklärte die Regierung Jose Sarney den Amerikanern noch, dies sei erstens absolut unmöglich, und zweitens ginge all dies die Amerikaner nichts an. Mitte April stellte sich dann zum allgemeinen Erstaunen der Brasilianer doch heraus, daß der amerikanische Geheimdienst CIA besser informiert war als die entsprechende eigene SNI-Dienst-stelle (brasilianischer Geheimdienst). Fünf Mitglieder der marxistisch unterwanderten Arbeiterpartei (Partido dos Trabalha-dores — PT) hatten einen Banküberfall durchgeführt. Die geraubten Gelder sollten der nikaraguanischen Sandinistenregie-rung zukommen.

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