Die Kolumbianer sagen Nein zum Frieden

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Entgegen allen Erwartungen stimmte Kolumbien gegen das schon abgeschlossene Abkommen zwischen Regierung und FARC. Gerade die vom Krieg am meisten betroffenen Flüchtlinge sind vielfach gegen den Friedensschluss mit den Rebellen. Ein Lokalaugenschein.

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Entgegen allen Erwartungen stimmte Kolumbien gegen das schon abgeschlossene Abkommen zwischen Regierung und FARC. Gerade die vom Krieg am meisten betroffenen Flüchtlinge sind vielfach gegen den Friedensschluss mit den Rebellen. Ein Lokalaugenschein.

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Diberney On ist gegen den Frieden. Der Flüchtling aus Kolumbien mit der sanften Stimme arbeitet für eine katholische Menschenrechtsorganisation und hat ein Projekt namens "Junge Friedensstifter" initiiert. Auf die Frage "Sind Sie für das Abkommen zur Beendigung des Konflikts und zur Schaffung eines sicheren und nachhaltigen Friedens?" hat On aber eine klare Antwort. "No." On hat Angst, man könnte ihn wegschicken, sobald in Kolumbien offiziell Frieden herrscht.

Alles war für den Frieden bereit. "Es lebe der Frieden! Es lebe Kolumbien!", hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den begeisterten Kolumbianern zugerufen. In weißen Hemden hatten sich Präsident und Rebellenführer nach Jahren der Feindschaft umarmt. Ein halbes Jahrhundert des Krieges war vorüber, zum ersten Mal in der Geschichte herrschte Frieden in der gesamten westlichen Hemisphäre. Die Welt schöpfte wieder Hoffnung, als die beiden Männer nach vier Jahren intensiver Verhandlungen feierlich ihre Namen unter das Abkommen setzten. Nur auf eine Gruppe hatten sie vergessen: auf das kolumbianische Volk.

Denn die Kolumbianer stimmten am 2. Oktober mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen den schon abgeschlossenen Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC. Nach einem starken Finish der Kampagne rund um Expräsident Álvaro Uribe setzte sich das No-Lager überraschend durch. Präsident Juan Manuel Santos und Rebellenführer Rodrigo Londono, bekannt unter seinem Kampfnamen "Timoschenko", waren über den Ausgang des Referendums entsetzt. Keiner der beiden will den Krieg, doch das Schicksal Kolumbiens liegt jetzt nicht mehr allein in ihren Händen. Der Waffenstillstand sei nur noch bis zum 31. Oktober in Kraft, verkündete Santos. Worauf Londono die Frage stellte, die das ganze Land beschäftigt: "Und dann geht der Krieg weiter?"

"Möge Gott ihnen vergeben"

Auch der Flüchtling Diberney On hätte gerne eine Antwort auf diese Frage. Der 26-Jährige sitzt vor einer Missionsstation in Ibarra, einer mittelgroßen Stadt im Norden Ecuadors. "Das Ergebnis spricht für sich", meint er, "es zeigt, was wir mitgemacht haben." On gehört zu den 57.000 Kolumbianern, die ins südliche Nachbarland geflohen sind. Der Konflikt im Kolumbien hat 6,7 Millionen Menschen zu Vertriebenen gemacht, fast so viele wie der Krieg in Syrien.

Doch auch in Ecuador sind die Flüchtlinge nicht willkommen. Kolumbianer gelten als faul und unehrlich, kaum eine Bank will den Ausländern Geld borgen. Da aber viele Kolumbianer nicht registriert sind, haben sie Angst, sich gegen die allgegenwärtigen Schikanen zu beschweren. "Das Geld", bemerkt der 26-jährige Fabian Rivera, der hier als Kellner arbeitet, "reicht gerade einmal zum Überleben." Der Friedensprozess in ihrem Heimatland ist für viele Flüchtlinge "una gran mentira", eine große Lüge.

An eine Zeit, in der Frieden in Kolumbien herrschte, kann sich keiner der Flüchtlinge erinnern. 1964 wurde die Rebellenarmee FARC von radikalen Kleinbauern gegründet. Die Wurzeln des Konflikts liegen aber noch tiefer: im Landraub der spanischen Eroberer, der Vertreibung der Indios, der Versklavung der Afrikaner. Finanziert von Drogenschmuggel und Entführungen avancierte die FARC bald zu einer stramm organisierten Guerillatruppe mit einem sicheren Rückzugsgebiet im unzugänglichen Dschungel des Südens. Regelmäßige Regierungsoffensiven ab der Jahrtausendwende zwangen die Rebellen aber an den Verhandlungstisch. Die Zahl ihrer Kämpfer hatte sich da schon auf 8.000 halbiert.

Das vorgeschlagene Abkommen beinhaltete nun eine Generalamnestie für alle Terroristen, die ihre Waffen abgeben, und sah selbst für Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Höchststrafe von nur acht Jahren vor. Das findet Ehblarte Aguirre, der auch aus Kolumbien nach Ecuador geflohen ist, ungerecht: "Möge Gott ihnen vergeben. Ich kann es nicht." Der FARC wurden zudem fünf Sitze im kolumbianischen Senat und damit der Zugang zur Parteienfinanzierung zugesichert. Und schließlich gelang es den marxistischen Guerilleros nach 50 Jahren doch noch, eines ihrer Ziele zu erreichen: eine Landreform, wenn auch in viel kleinerem Ausmaß als erhofft. Für viele Experten eine dringend notwendige Maßnahme. Andere hingegen sehen die Landreform als ersten Schritt zu einem sozialistischen Chaos à la Venezuela. Aguirre fasst die Wut vieler Flüchtlinge zusammen: "Das Land zu verraten, den Tyrannen die Freiheit zu schenken und uns einem kommunistischen Regime zu unterwerfen -das ist kein Frieden."

Der Fluch des Krieges

Und selbst wenn es Frieden mit der FARC geben sollte -die Gewalt in Kolumbien ist damit noch lange nicht vorbei. Insgesamt soll bloß ein Zehntel der im gesamten Krieg verübten Gewalttaten auf das Konto der FARC gehen. Die kleinere katholisch-marxistische ELN kämpft schon genauso lange, 80 Prozent der Massaker kamen aber laut einer von der Regierung eingesetzten Kommission nicht von links. Die meisten der über 220.000 Toten wurden Opfer der rechtsextremen Paramilitärs. Am Höhepunkt der Gewalt in den späten 90er-Jahren sollen Todesschwadronen der rechten AUC mehr als 200 Massaker pro Jahr verübt haben. Sie ermordeten Menschenrechtsaktivisten, Lehrer und einfache Dorfbewohner, die sie linker Sympathien verdächtigten. Militär und Regierung drückten dabei oft ein Auge zu.

2005 schloss der damalige Präsident Uribe Frieden mit den Paramilitärs, mehr als 20.000 Kämpfer wurden demobilisiert. Zumindest auf dem Papier. Tatsächlich schlossen sich die meisten erneut Verbrecherbanden an. "Warum sollte das jetzt anders sein?", fragt On ernüchtert, "dann nennen sie sich eben nicht mehr FARC." Dass sich die Geschichte wiederholen könnte, weiß auch Sonia Aguilar von UNHCR Ecuador. "Der Friedensvertrag in Kolumbien könnte dazu führen, dass manche Flüchtlinge in bestimmte Gegenden zurückkehren können, während andere wieder flüchten müssen", fürchtet Aguilar. Wie die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 37 Prozent zeigt, haben viele Kolumbianer den Glauben an den Frieden verloren.

Ein ungewisser Frieden

Kellner Fabian Rivera hält den Friedensprozess im Unterschied zu vielen anderen Flüchtlingen für eine "große Chance". Auch der 24-jährige Flüchtling Deyvid Alviras, sieht sich eher in der Mitte zwischen Sí-und No-Lager. Alviras will zwar, "dass der Krieg endlich aufhört", mit den Sonderprivilegien für die FARC-Terroristen ist er aber nicht einverstanden. Jetzt soll Uribe, Expräsident und Wortführer der No-Kampagne, dem frischgekürten Friedensnobelpreisträger Santos dabei helfen, einen besseren Deal auszuhandeln. Nach der Wahl gab sich der konservative Hardliner versöhnlich: "Die Kolumbianer, die für Ja gestimmt haben und die für Nein gestimmt haben, haben eines gemeinsam: Alle wollen den Frieden." Es fragt sich nur, welche Zugeständnisse das kolumbianische Volk für diesen Frieden zu machen bereit ist und wie lange die Geduld der FARC noch währen wird. Während die marxistische Guerilla in einer offiziellen Reaktion ihren Willen zum Frieden bekräftigte, rief ein FARC-Kommandeur alle Einheiten auf, ihre Posten zu beziehen. Die Verhandlungen der nächsten Wochen und Monate werden zu einem Wettlauf gegen die Zeit und zu einem Streit um die Interpretationshoheit über die Geschichte des kriegsgeplagten Landes.

Auch On wünscht sich den Frieden, einen gerechten und dauerhaften Frieden. Schon seit Jahren wartet er darauf, seine in Kolumbien verbliebenen Eltern endlich wiedersehen zu können. Vorerst wird er weiter warten müssen.

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