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Als wäre nichts geschehen

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Trotz katastrophaler wirtschaftlicher Verhältnisse kommt der Friedensprozeß in Mittelamerika voran: der jüngste Bericht über Menschenrechtsverletzungen löste in El Salvador den befürchteten Militärputsch nicht aus; Violeta Chamorro hält Nikaragua auch zu Beginn ihres vierten Regierungsjahres zusammen; die Rückführung der indianischen Flüchtlinge nach Guatemala geht zäh, aber doch voran.

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Trotz katastrophaler wirtschaftlicher Verhältnisse kommt der Friedensprozeß in Mittelamerika voran: der jüngste Bericht über Menschenrechtsverletzungen löste in El Salvador den befürchteten Militärputsch nicht aus; Violeta Chamorro hält Nikaragua auch zu Beginn ihres vierten Regierungsjahres zusammen; die Rückführung der indianischen Flüchtlinge nach Guatemala geht zäh, aber doch voran.

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Der zwölfjährige Bürgerkrieg in El Salvador gehört wohl endgültig der Vergangenheit an. Zwar knirscht es an vielen Ecken und Enden des Friedensabkommens zwischen der Regierung von Präsident Alfredo Cri-stiani und der ehemaligen FMLN-Guerillakoalition, aber letztlich bewegt sich doch manches. Die ExGuerilla hat sich als politische Partei eintragen lassen und unternimmt sogar wirtschaftliche Initiativen. Die EG will dafür in den kommenden Jahren knapp 30 Millionen Dollar zur Verfügung stellen, auch nichtstaatliche Organisationen unterstützen wirtschaftliche Vorhaben der ExGuerilla.

Auch die Verringerung der massiven Bewaffnung aller Gruppen schreitet voran. Unter UN-Auf sieht wurden alte Guerilla-Waffen vernichtet, die Straffung und Verdünnung der Armee- und Polizeistreitkräfte geht weiter. Ehemalige „befreite Zonen" kommen langsam wieder unter Regierungskontrolle.

Eine kritische Situation löste allerdings der jüngste Bericht über Menschenrechtsverletzungen im Lande aus, den die „Wahrheitskommission" unter UN-Ägide in New York erarbeitet hatte. Sie nannte nicht nur die Ereignisse, sondern auch die Täter beim Namen. Auf der Liste scheinen neben Guerilleros vor allem hohe Militärs auf. Belastet wird auch Verteidigungsminister General Rene Emilio Ponce. Er setzte mit der Erklärung seines Rücktritts zunächst eine Geste. Aber Präsident Cristiani hatte andere Vorstellungen: er peitschte eine Amnestie für alle im Menschenrechtsbericht Belasteten durch den Kongreß und ließ das Rücktrittsgesuch des Generals liegen. Zwei Wochen nach der öffentlichen Rücktrittserklärung erschien Ponce wieder im Ministerium als wäre nichts geschehen.

El Salvador wird diese Provokation der Internationalen Gemeinschaft durch Präsident Cristiani teuer zu stehen kommen, denn drastische Kürzungen und Streichungen von Finanzhilfen sind zu erwarten.

Scheinen in El Salvador die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Neubeginn dennoch geschaffen, so geht in Nikaragua wirtschaftlich fast nichts mehr. Immerhin kann Violeta Chamorro in der verfahrenen Situation die Regierung halten. Dies gelang ihr nur mit reichlich unorthodoxem Vorgehen. Sie stieß den eigenen rechten Flügel ab, um mit den gemäßigten Sandinistas enger zusammenarbeiten zu können.

Seit dem 9. Jänner funktioniert das Parlament nur dank eines Paktes, der den Sandinistas ihren Besitzstand weitgehend erhält. Der rechte Regierungsflügel mit dem bisherigen Parlamentspräsidenten Alfredo Cesar hingegen wollte gerade diese „pinatas"

(mit diesem Begriff aus der Welt der Kinderfeste wird die selbstgetätigte Überschreibung von Staatseigentum in sandinistischen Privatbesitz knapp vorder Amtsübergabe 1990umschrieben) aufknacken.

Das Erbe aus drei Bürgerkriegsjahrzehnten lastet schwer auf Guatemala, in dem Jorge Serrano, ein in die Reserve zurückgetretener General, das dritte Jahr seiner konstitutionellen Präsidentschaft antritt. Beginnt die Wirtschaft sich endlich zu konsolidieren, so bleibt doch die Menschenrechtslage prekär. Nicht zuletzt deshalb, weil die Armee die Auseinandersetzung mit der Guerilla praktisch gewonnen hat.

Die dabei angewendete Politik der „verbrannten Erde" hat im indianischen Nordwesten große Flüchtlingswellen über die Grenze nach Mexiko getrieben. 46.000 Flüchtlinge werden dort von internationalen Hilfsorganisationen betreut, illegal dürften sich allerdings 150.000 guatemaltekische Indianer in Mexiko aufhalten. Das Abkommen des Flüchtlingssprechers mit der Regierung vom Oktober des Vorjahres ermöglicht seit Jänner die schrittweise Rückführung der Geflohenen (FURCHE 9/1993).

Rigoberta Menchu, die Friedensnobelpreisträgerin gehört zu den Beobachtern, die für die Einhaltung der Zusagen garantieren sollen. Auf dem Papier sieht die Sache gut aus, denn die Regierung verspricht sicheres Geleit, Anerkennung alter Landtitel, Billigkredite für den Neubeginn und Befreiung vom Militärdienst und von der berüchtigten „zivilen Selbstverteidigung". In der Praxis gibt es schon über die Rückmarschwege

Differenzen. Die Indianer wollen die angebotenen Militärrouten, da zu gefährlich, meiden und würden es vorziehen, auf der Panamerikana zurückzuwandern. Noch schwieriger ist die Landfrage, denn das, was die Indianer bei ihrer Flucht aufgaben, ist längst von Mestizo-Kolonisten besetzt.

Brüchig wie die Lage ist, geht das Vorhaben dennoch weiter, weil viele internationale Institutionen beobachtend und helfend eingreifen. Insbesondere die Nahrungsmittelhilfe der EG und der Skandinavier schlägt positiv zu Buche.

Von den USA hat die Region, jetzt halbwegs befriedet, wenig zu erwarten. Zwar ist die überfällige Besetzung des Vizeaußenministers mit Zuständigkeit für interamerikanische Fragen mit Alexander Watson endlich erfolgt, aber Watsons gute Kenntnis Lateinamerikas darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Washingtons Interesse heute eigentlich an der Südgrenze von Mexiko aufhört; daß Violeta Chamorro für Nikaragua nur einen Teil der ihr zugesagten Mittel nach und nach bekommt. Neue Mittel für die desolate Region, die sich im Kampf gegen alles, was nach Kommunismus aussah, nicht zuletzt im Interesse der USA zerrieben hat, sind derzeit in Washington jedenfalls nicht locker zu machen.

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