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Mit dem Rücken zur Wand

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Der Konflikt um Nikaragua hat sich verschärft, Washington hat seinen Druck auf das Sandinisten-Regi-me in Managua verstärkt. Indessen scheint eine politische Lösung der Krise durchaus möglich, berichtet der Autor dieses Beitrages, der vor kurzem das mittelamerikanische Land bereist hat.

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Der Konflikt um Nikaragua hat sich verschärft, Washington hat seinen Druck auf das Sandinisten-Regi-me in Managua verstärkt. Indessen scheint eine politische Lösung der Krise durchaus möglich, berichtet der Autor dieses Beitrages, der vor kurzem das mittelamerikanische Land bereist hat.

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Seit zwei Wochen beherrscht ein Schiff mit Waffenlieferungen für Nikaragua die Weltnachrichten, wobei nicht das Ausmaß — welcher Journalist spitzt sonst wegen einiger Hubschrauber auch nur den Bleistift — sondern die Tatsache, daß sie aus der UdSSR kommen, zum Problem geworden ist.

Zwar ist die Entdeckung dieser Lieferungen eher eine Blamage für die Nachrichtendienste der USA: Mit Milliarden teuren Satelliten und Aufklärungsflugzeugen des Typs AC-130 hat man zuerst auf der „Bakouriani" Container mit, dann wahrscheinlich mit und zuletzt ohne MIG-21-Uberschall-

Jets geortet. Trotzdem aber sind die Wirkungen für Nikaragua fatal.

Obgleich nur mit Zögern und auf Drängen maßgeblicher Freunde in der westlichen Welt, hat Nikaragua am 4. November mit viel Aufwand und vor allem mit großem Engagement breiter Bevölkerungskreise Präsident und Vizepräsident sowie eine gesetzgebende Versammlung gewählt. Mit der Ausarbeitung einer Verfassung durch die Nationalversammlung soll ein weiterer Schritt in Richtung Demokratie und eines parlamentarischen Regierungssystems westlichen Musters gesetzt werden.

Diese Maßnahmen sind sowohl für die innere Entwicklung, aber noch viel mehr in außenpolitischer Hinsicht wichtig. Denn das Land wird ohne die Unterstützung finanzstarker Staaten wirtschaftlich kaum überleben können.

Von all dem aber ist derzeit zum Schaden des Landes nicht mehr die Rede, und es erhebt sich die Frage, ob der Zeitpunkt des Eintreffens der Waffen nur ein unglücklicher Zufall und der Naivität der Führung in Managua anzulasten oder aber Absicht gewesen ist. Trifft das letztere zu, dann sind die Commandantes doch gefährlicher als bisher angenommen.

Wie dem auch sei, die Wahl Daniel Ortegas zum Präsidenten und Sergio Ramirez' zum Vizepräsidenten könnte trotzdem eine positive Entwicklung einleiten. Ramirez ist ein starkes ziviles Element in der etwas martialischen Führungsspitze der „Frente Sandini-sta", die von den neun „Kommandanten der Revolution" gebildet wird.

Noch vor den Wahlen hatte Daniel Ortega im inneren Führungszirkel der FSLN gedrängt: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir brauchen auch die Coordina-dora." Als Präsident wolle er die gesamte Opposition in den Ent-scheidungsprozeß einbeziehen, versprach er damals außerdem. Die Tatsache, daß gleich nach den Wahlen ein „Nationaler Dialog" aller maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte — auch kirchliche Repräsentanten nehmen daran teil - begonnen hat, deutet darauf hin, daß diese Absicht ernst gemeint war.

Aber auch die Coordinadora Parteien-Allianz scheint dem Ernst der Lage Rechnung zu tragen. Daniel Ortegas Wahl zum Präsidenten, konzedierte sie unmittelbar nach dem 4. November, hatte zumindest den Charakter eines Referendums. Mit dieser Legitimation könnten Ortega und die neue Regierung durchaus zu einem Fortschritt in den Friedensbemühungen in dieser Region beitragen.

Man sollte jedenfalls Ortega und seiner Regierung jetzt einmal eine gewisse Zeit zur Bewährung einräumen, ließ Artur Cruz am Mittwoch, dem 14. November, gegenüber der angesehenen „Washington Post" verlauten. In dieses Bild paßt auch, daß Cruz, derzeit auf einer Vortragsreise durch die USA, deutlicher als jemals zuvor die Politik Washingtons gegenüber Nikaragua kritisierte und die harte Linie Reagans als „nicht hilfreich" für die demokratischen Kritiker der Sandinisten im Land selbst bezeichnet hat.

Darüber hinaus zeigte sich Cruz zutiefst besorgt über die US-Kriegsschiffe vor der Küste Nikaraguas, obwohl die Sandinisten keine Gefahr für die Nachbarländer darstellen würden. Er könne aber nicht ausschließen, daß sie sich mit allen Mitteln zur Wehr setzten, sollte die von außen geschürte Aggression weiter fortschreiten.

Selbstverständlich sind die Sandinisten mitverantwortlich für die Konflikte. Sie haben zum Beispiel die Zahl der Mitglieder im provisorisch gesetzgebenden Organ, dem Staatsrat, in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht, die neuen Sitze aber nur mit Sandinisten besetzt und so natürlich die anderen Parteien vor den Kopf gestoßen. Andererseits haben die Sandinisten in der letzten Zeit durchaus Lernfähigkeit gezeigt, was man von anderen Machthabern in Zentralamerika nicht im selben Ausmaß behaupten kann.

Die Voraussetzungen für eine politische Lösung des Konflikts von Seiten Nikaraguas wären also durchaus gegeben. Die USA müßten dazu den bilateralen Dialog wieder aufnehmen und ernsthaft auf die Vorschläge Managuas zur Lösung der Spannungen eingehen. Denn Nikaragua hat den USA alle nur denkbaren Garantien angeboten, um die Furcht der USA, die UdSSR könnte in Zentralamerika Fuß fassen, zu zerstreuen.

Viele Anzeichen deuten aber darauf hin, daß die Sicherheitsinteressen der USA gar nicht der wahre Grund sind, warum ihnen die derzeitigen Machthaber in Managua ein Dorn im Auge sind. Es scheint eher so zu sein, daß das soziale Experiment, die Mobilisierung der Basis und damit die tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft das Mißtrauen Washingtons geweckt haben.

Aber selbst die Furcht, Nikaragua könnte dieses Modell in andere Länder Zentral- oder Lateinamerikas exportieren, ist weitgehend irrational. Die Bedingungen, die dieses soziale Experiment möglich gemacht haben, sind nicht beliebig wiederholbar.

Aber auch Nikaragua müßte seinen Teil zum Abbau des Konfliktes beitragen, indem es von sich aus darauf verzichtet, die Invasionshysterie weiter anzuheizen. Insbesondere müßte die neugewählte Regierung von dem Ju-stamentstandpunkt, den einige Kommandanten bisher vertreten haben, abrücken. Eine Lösung des Konfliktes ist nur mit, aber niemals gegen die USA möglich. Denn im zweiten Falle würden sicher die USA den längeren Atem besitzen.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg und war als Mitglied einer Delegation des österreichischen Nikaragua-Komitees auf Einladung der Regierung in Managua am 4. November Wahlbeobachter.

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