Drogenvernichtung im Konsensverfahren

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Kolumbien will in einem Jahr 100.000 Hektar Coca-Plantagen vernichten. Doch die Cocabauern sind misstrauisch und wehren sich. Zu oft habe der Staat seine Versprechen nicht gehalten. Tatsächlich ist das Programm ehrgeizig und kostet sehr viel Geld.

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Kolumbien will in einem Jahr 100.000 Hektar Coca-Plantagen vernichten. Doch die Cocabauern sind misstrauisch und wehren sich. Zu oft habe der Staat seine Versprechen nicht gehalten. Tatsächlich ist das Programm ehrgeizig und kostet sehr viel Geld.

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Bei der 60. Sitzung der UNO-Drogenkommission ging es schwerpunktmäßig um den zunehmenden Drogenkonsum von Frauen. Aber auch alternative Entwicklung und neue Wege bei der Bekämpfung von Drogen und Drogensucht waren ein Thema. So sollen zwar die großen Drogenbosse mit aller Härte verfolgt, geringere Vergehen aber nicht zwingend mit Haftstrafen geahndet werden, wie Jurij Fedotow, der Direktor des UNO-Büros für Drogen und Verbrechen (UN-ODC) in seiner Eröffnungsrede anregte.

Was die kolumbianische Regierung mit der FARC-Guerilla im Rahmen des jüngst unterzeichneten Friedensabkommens ausgehandelt hat, passt perfekt in diese neue Politik, die in vielen anderen Teilen der Welt noch auf Skepsis trifft.

Im Rahmen eines side-event, also abseits des Plenarsaals mit seinen rigide reglementierten Redebeiträgen, stellte Kolumbien - vertreten durch Außenministerin María Ángela Holguín, Konfliktnachbereitungsminister Rafael Pardo Rueda und Präsidentenberater Eduardo Díaz Uribe - seine Pläne vor.

Der Plan zur Abkehr von der Drogenökonomie ist ein zentraler Punkt des Friedensabkommens und Pardo betonte auch wiederholt, dass er nur mit der Unterstützung der ehemaligen Rebellen gelingen könne. Ein Vertreter der FARC, der urspünglich bei der Präsentation dabei sein sollte, wurde wieder ausgeladen. In diesem Jahr, so Pardo, wolle man sich auf 40 Gemeinden konzentrieren, wo der Coca-Anbau die wichtigste Einnahmequelle der Kleinbauern ist.

Staatliche Unterstützung

Wer seine Plantagen freiwillig vernichtet, kann mit staatlicher Unterstützung rechnen. Ein Jahr lang soll die Familie umgerechnet 340 US-Dollar monatlich bekommen und beim Anbau von Alternativprodukten technisch und finanziell unterstützt werden. Für heuer werden die Kosten auf 200 Millionen Dollar geschätzt. Straßenbau, Errichtung von Kliniken und Schulen, die Erschließung von Märkten, die im Rahmen der ebenfalls im Friedensabkommen verankerten integralen ländlichen Entwicklung vorgesehen sind, sollen die Transformation der Coca-Gebiete ergänzen und gleichzeitig Jobs für die Übergangszeit anbieten. Ausgeschlossen vom Programm sind jene, die neue Felder angelegt haben, um in den Genuss der staatlichen Beihilfen zu kommen. Felder von Bauern, die die Vereinbarungen nicht einhalten, und große Plantagen sollen zwangsweise abgeholzt werden.

Auf die Frage, was passiert, wenn die Regierung ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, gibt es keine befriedigende Antwort. "Das darf nicht passieren", sagt Eduardo Díaz Uribe zur FUR-CHE: "Wenn der Friedensprozess scheitert, scheitert das Land". Er gibt aber zu, dass eines der größten Probleme darin liege, das Vertrauen der Gemeinden zu gewinnen, die jahrelang weit abseits staatlicher Kontrolle oder sogar im Widerstand gegen den Staat gelebt haben. Dieses Misstrauen zeigt sich auch in der kleinen Ortschaft Pueblo Nuevo de Briceño im Departement Antioquia, wo seit Mitte vergangenen Jahres ein Pilotprojekt für den Übergang von verbotenen zu legalen Kulturen läuft.

Die Coca-Bauern unter Begleitung der FARC haben sich dort ausbedungen, die CocaSträucher vorerst stehen zu lassen, aber auf die Ernte zu verzichten. Erst wenn der Staat seine Versprechungen erfülle, wollen sie den letzten Schritt setzen und die Coca-Felder umackern.

In Bolivien habe es viele Jahre gedauert, bis die Coca-Bauern die Drogenpolizei nicht als feindlichen Eindringling, sondern als Verbündeten gegen die Drogenmafia akzeptiert haben, sagt der Journalist und Experte für Drogenpolitik und alternative Entwicklung Robert Lessmann.

Unrealistische Ziele

Das Ziel von 100.000 Hektar, die in einem Jahr durch legale Kulturen wie Kakao, Kaffee oder Pfeffer ersetzt werden sollen, hält er für unrealistisch:

"Das hat noch nie irgendwo auf der Welt geklappt." In Bolivien sei die Anbaufläche unter dem ehemaligen Coca-Gewerkschafter Evo Morales anfangs leicht gestiegen. Seit 2010 nehme sie aber dank längerfristiger Substitutionsprogramme kontinuierlich ab. "Und das Entscheidende", so Lessmann, "ohne Gewalt". Denn die Zwangseradikationen unter früheren Regierungen waren die häufigste Ursache für blutige Zusammenstöße in Bolivien.

Den schönen Power-Point-Folien von Minister Pardo traut auch Coletta Youngers vom USamerikanischen Thinktank Washington Office on Latin America (WOLA) nicht über den Weg. Sie weiß von Gemeinden, die ein Abkommen mit der Regierung geschlossen haben und trotzdem Ziel von Zwangseradikationen gewesen sind: "Offenbar gibt es da eine Entkopplung von Ministerien, die das Friedensabkommen umsetzen wollen und Sicherheitskräften, die den Prozess sabotieren." Gleichzeitig gibt es Berichte, dass Gebiete, die von der FARC geräumt wurden, weil sie sich vereinbarungsgemäß in 26 Sammelpunkten konzentriert haben, jetzt von kriminellen oder paramilitärischen Banden übernommen wurden. "Die finden ein gemachtes Nest vor", sagt Berater Díaz Uribe. Rafael Pardo bestreitet diese Meldungen: "Die Armee hat 80.000 Mann mobilisiert, um die Kontrolle zu übernehmen. Finden Sie das zu wenig?"

Verheerende Umweltschäden

Zu optimistisch dürften auch die Annahmen der Anbauflächen sein. Während Minister Pardo auf einen Zensus von 2015 verweist, wonach 96.000 Hektar mit Coca-Kulturen bepflanzt seien, hat die US-Drogenbehörde praktisch zeitgleich mit der Präsentation in Wien einen neuen Bericht veröffentlicht, der für 2016 von 188.000 Hektar ausgeht. Aus einer solchen Menge kann man mindestens 700 Tonnen reines Kokain gewinnen.

Die Rechtsopposition in Kolumbien macht die Politik von Präsident Juan Manuel Santos dafür verantwortlich, der vor zwei Jahren die Luftbesprühungen mit dem giftigen Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat ausgesetzt hat. Fast 20 Jahre chemischer Zwangseridaktion im Rahmen des von den USA oktroyierten militaristischen Plan Colombia haben aber wenig bewirkt. Im Gegenteil: Bauern, die auch ihre legalen Agrarprodukte durch das Entlaubungsmittel vernichtet fanden, haben sich mit ökologisch verheerenden Folgen tiefer in den Urwald vorgearbeitet, um neue Felder anzulegen.

Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas kann den neuen Zahlen aber auch Positives abgewinnen. So sei zwar die mit Coca bepflanzte Fläche insgesamt gewachsen, doch der Anstieg sei gegenüber den vorangegangenen Jahren prozentuell geringer ausgefallen.

Außerdem verweist er auf erfolgreiche Polizeiarbeit. Allein in diesem Jahr seien schon 64 Tonnen Kokain beschlagnahmt worden. 2016 waren es nach offiziellen Angaben stolze 421 Tonnen Kokain und Basispaste, das ist das halbverarbeitete Zwischenprodukt, das die Bauern selber herstellen können.

Was die Substitutionspläne von Regierung und FARC begünstigen könnte, ist ein durch die Überproduktion beginnender Preisverfall. In den USA ist zwar der Drogenkonsum insgesamt gestiegen, doch wird Kokain zunehmend durch synthetische Designerdrogen verdrängt. Die kolumbianische Drogenmafia versucht daher, die heisse Ware vermehrt im Inland loszuschlagen. Es wird beobachtet, dass sich der Drogenmissbrauch auch auf dem Land und unter Jugendlichen verbreitet. Straßenhändler mieten sich im Umfeld von Schulen ein und versuchen, auch in den Schulen eine Klientel aufzubauen.

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