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Das Gespenst der Inflation

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Meist geht es den lateinamerikanischen Staaten gut, wenn sie ausnahmsweise gute Ernten zu hohen Weltmarktpreisen absetzen können. Obwohl Weizen, Fleisch, Leinsamen und Mais sehr günstig exportiert werden und es nur mit der Wolle nicht klappt, ist Argentinien in die gefährlichste Inflation geraten. Die Währungsreserven sind — 1964 um 140 Millionen USA-Dollars — auf die grotesk niedrige Summe von 186 Millionen Dollar gefallen. Der Geldumlauf ist in 14 Monaten (auf 251 Milliarden) um 80 Milliarden Pesos gestiegen. Die Staatsbank muß täglich zwei bis drei Millionen Dollar verkaufen, um den Dollarkurs (auf zirka 150 Pesos) zu stützen. (Der „schwarze“ Kurs auf dem sogenannten „Parallelmarkt“ steht bei 205 und soll bis März auf 220 klettern.) Die Kaufkraft fällt monatlich um drei Prozent. Die Löhne werden — bei Ablauf der Tarifverträge — um 30 bis 40 Prozent erhöht. Die Regierung verhandelt über die Verlängerung der Kredite, von denen 1965 zirka 600 Millionen Dollar abzudek-ken wären, darunter 233 Millionen an den „Pariser Klub“. Eine Delegation der „Weltbank“, die über ein 100-Millionen-Dollar-Darlehen verhandelte, verlangte eine „gesunde politische und wirtschaftliche Sifcuation“, deren Vorliegen bezweifelt wird. Die größte Sorge bereitet die Eisenbahn, ein desorganisiertes Unternehmen mit uraltem Material und weit überbesetztem Personal, dessen Defizit in diesem Jahr etwa 7800 Millionen Schilling betragen soll und in dem noch dazu (für eine fünfund-vierzigprozentige Lohnerhöhung) laufend gestreikt wird.

Die Handels- und Ruralverbände machen — in Übereinstimmung mit den unzähligen Oppositionsparteien — die Regierung des Präsidenten Dr. Illia für den wirtschaftlichen Abstieg verantwortlich. Sie werfen ihm vor, das Land nach veralteten Parteirezepten durch die „dirigierte Wirtschaft“ zugrunde zu richten.

Auf der anderen Seite hat aber das Sozialprodukt 1964 um 8,9 Prozent zugenommen. Die außenpolitische Situation ist vorzüglich. Doktor Illia will in diesem Jahr einen Staatsbesuch in Brasilia machen und bei der Einweihung der neuen internationalen Andenstraße den chilenischen Präsidenten Dr. Frei treffen, nachdem der chronische Grenzkonflikt wieder der Schiedsgerichtsbarkeit der englischen Krone überantwortet wurde. Vor allem ist Doktor Illia der erste zivile Präsident seit 30 Jahren, der nicht nach der Pfeife der Generäle tanzt. Das beweist natürlich nicht, daß er gegen einen neuen Militärputsch gefeit ist. In vier langen Briefen, die er unter anderem den Zeitungen schickte, forderte der pensionierte Brigadegeneral Enrique Rauch den Aufstand der Offiziere: „Die dramatische Situation, die sich täglich verschärft, beruht nicht nur auf der Unfähigkeit,der fehlenden Ehrenhaftigkeit und dem ungebändigten Ehrgeiz der Hauptdarsteller, sondern auch auf überholten sozialen und politischen Strukturen.“ Rauch verlangt eine „starke Regierung“, die sich auf Heer und Gewerkschaften stützt. Da er sich „im Untergrund“ verborgen hält, wurde er vom Militärgericht in Abwesenheit wegen „Desertion“ aus dem Heer ausgestoßen. (Die Zeitschrift „Todo“ meldet, daß die Brief von Pater Julio Meinville geschrieben seien, einem Priester, der Rassenhetze im Stil von Streicher in Argentinien trieb und treibt.) Obwohl die Propaganda Rauchs wenig ernst genommen wird, scheint wegen der Wirtschaftspolitik der Regierung eine gewisse Mißstimmung auch in Teilen des Heeres zu bestehen. Jedenfalls sprach auch der argentinische Vizepräsident Dr. Perette über die Staatsstreichgerüchte und erklärte, daß jeder Versuch, einen Umsturz zu unternehmen oder ein Chaos hervorzurufen, vereitelt werden würde.

Diese Warnung galt nicht nur den Putschoffizieren, sondern auch den „Kampfeinheiten“, die von der „pe-rönistischen Jugend“ gebildet werden. Die Perönisten bleiben in zahlreiche Gruppen gespalten. Der „NeoPeronismus“ (Peronismus ohne Peron) scheint sich jetzt um den früheren Rektor der Universität La Plata, Dr. Francisco Marcos Anglada, zu scharen. Die „offizielle Richtung“ — die für die Rückkehr Peröns kämpfte — hat in erster — aber noch nicht in letzter — Instanz der Wahlgerichte die Anerkennung des „Partido Justicialista“ gegen den Widerspruch des Regierungsvertre-ters erreicht. In ihr wird aber scharf um die Kandidaten gerungen, die zu den Parlamentsnachwahlen am 14. März aufgestellt werden. Im Gegensatz zu diesen Gruppen, die in legalem Kampf an die Macht zu kommen hoffen, stehen die Fanatiker, die in den Gewerkschaften und bei der Jugend Gehör finden. Sie berufen sich mit dem Wahlspruch „Vaterland und Souveränität“ auf die Erklärung, die Perön bei seiner Rücksendung aus Brasilien abgab, daß die „Befriedung“ zu Ende sei und der „revolutionäre Kampf“ beginne. Straßenunruhen, Sabotageakte und Attentate beweisen ihre Tätigkeit.

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