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Böses Erwachen nach dem Tequila-Rausch

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Mexiko ist wirtschaftlich und politisch wieder in Turbulenzen geraten. Der frühere Wirtschaftsmusterstaat wandelt am Rande des Bankrotts.

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Mexiko ist wirtschaftlich und politisch wieder in Turbulenzen geraten. Der frühere Wirtschaftsmusterstaat wandelt am Rande des Bankrotts.

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Wiederholt sich die Geschichte? Wird Mexiko nach 1982, als es durch die Erklärung seiner Zahlungsunfähigkeit eine weltweite Schuldenkrise auslöste, 1995 abermals das Signal zum Beginn einer großflächigen Finanzturbulenz geben? Vorübergehend sah es fast so aus, doch breit angelegte Hilfsmanöver gestatten derzeit einigen Optimismus, daß dem nicht so sein wird.

Überraschend kam die Krise vor allem auch deswegen, weil noch bis sehr kurz vor ihrem Ausbruch Mexiko als Beispiel für mustergültige Wirtschaftspolitik eines aufstrebenden Schwellenlandes gepriesen worden war und viele Investoren im Vertrauen darauf erhebliche Beträge dort angelegt hatten. Und tatsächlich: In den letzten Jahren waren unter der Begierung des damaligen Präsidenten Carlos Sahnas große Fortschritte bei der Modernisierung der Wirtschaft, bei der Sanierung des chronisch defizitären Staatshaushalts und der Eindämmung der Inflation, bei der Öffnung der Märkte und der Privatisierung von Staatsbetrieben erzielt worden. Insofern unterschied sich die Lage grundsätzlich von der vor Ausbruch der Schuldenkrise 1982.

Als schwerer taktischer Fehler Sahnas' stellt sich nun jedoch heraus, daß überfällige politische Reformen verzögert worden waren, um im Rahmen des traditionell autoritären Präsidialregimes ' die wirtschaftlichen Reformen problemloser durchsetzen zu können. Spätestens seit Anfang 1994 war die Situation jedoch sozialpolitisch nicht mehr zu halten, wie auch die damals ausbrechenden Unruhen in der Südprovinz Chiapas zeigten. Sahnas' Politik hatte die breite Bevölkerung zwar von der Geisel der Inflation befreit, die Einkommens- und Arbeitssituation aber nicht verbessert. Neue Arbeitsplätze wurden nicht geschaffen, hingegen stieg wegen der Liberalisierung und Konzentration in der Landwirtschaft die Abwanderung in die Städte - und in die Vereinigten Staaten. Zunehmende politische Instabilität infolge der Ermordung von zwei Präsidentschaftskandidaten sowie die bevorstehende Präsidentschaftswahl selbst ließen es 1994 angezeigt erscheinen, wieder eine wesentlich leichtere Geld-und Fiskalpolitik zu betreiben, um die Bevölkerung für die Begierungspartei günstig zu stimmen. Das führte zu einem raschen Wiederanstieg der Inflation und vor allem zu einer enormen Passivierung der Leistungsbilanz, deren Defizit schließlich das Ausmaß von acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichte - ein unhaltbarer Wert. Diese Politik geriet damit in Widerspruch zum erklärten Wechselkursziel, nämlich das Austauschverhältnis zum Dollar konstant zu halten. Die Entscheidung des inzwischen installierten neuen Präsidenten Ernesto Zedillo vom 20. Dezember 1994, den Peso um fünfzehn Prozent abzuwerten, war daher folgerichtig und unvermeidlich. Zu sehr hatte sich die vorangegangene Begierung Sahnas in den Glauben verrannt, allein durch die Mitgliedschaft in der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA und die Aufnahme in den exklusiven Industrieländerklub

OECD habe sich die mexikanische Wirtschaft derart gestärkt, daß auf banale ökonomische Fakten nicht mehr sonderlich geachtet werden müsse.

Nun wäre eine solche Abwertung letztlich nur eine Korrektur vorange-gingener Verfehlungen und zunächst kein Grund für eine verita-ble Krise. Dazu kam es aus zwei weiteren Gründen: Die erwähnte lockere Geld- und Ausgabenpolitik war durch die Emission kurzfristiger, in Peso denominierter Wertpapiere finanziert worden, von denen ein großer Teil auch im Ausland untergebracht wurde. Die Abwertung verminderte nun den Wert dieser Anlagen und frustrierte dementsprechend die ausländischen Investoren. Sie begannen die Papiere zu verkaufen, und als die Regierung nun nicht bereit oder auch nicht imstande war, den neuen Peso-Wechselkurs zu verteidigen, sondern ihn zum freien Floaten freigab - von vielen als schwerer Fehler beurteilt - da stürzte er vorübergehend auf 50 Prozent seines vorherigen Wertes und drohte zumindest ganz Lateinamerika in eine Börsen- und Finanzkrise zu reißen.

Wenig vertrauenerweckend in dieser schwierigen Phase war, daß die Begierung zur Abwertung keine flankierenden Maßnahmen ergriff und auch nicht erkennen ließ, ob sie solche ■ ergreifen wollte. Die in- und ausländischen Finanzmärkte waren mehrere Tage lang orientierungslos, was nicht zuletzt dazu führte, daß selbst mexikanische Banken begannen, Pesos abzustoßen.

Nicht gerade ein Ruhmesblatt ist die Mexiko-Krise auch für die internationalen wirtschaftspolitischen Beobachter und Überwachungsinstanzen wie den Internationalen Währungsfonds. Längere Zeit schon war offenkundig, daß der Peso überbewertet war, und die Schwäche der Leistungsbilanz passierte auch nicht von einem Tag auf den anderen. Doch unverdrossen wurde am Bild des Musterknaben gebastelt - ungeachtet der zunehmenden sozialen Probleme; umso peinlicher jetzt sein Versagen. Das jetzt eiligst und gegen manche Bestimmung geschnürte Hilfspaket noch nie dagewesenen Ausmaßes ist zweifellos wichtig, macht aber auch den Eindruck schlechten Gewissens.

Die Bevölkerung jedenfalls bereitet sich auf ein schwieriges Jahr vor, und das verheißt Schlimmes in einem Land, das nach den Problemen der achtziger Jahre unter großen Mühen einen minimalen Lebensstandard gerade wiedererreicht hat. Preise und Zinsen werden steigen, die realen Einkommen sinken. Die Exportwirtschaft allerdings wird vom niedrigeren Peso-Kurs profitieren, sodaß von dieser Seite Wachstum und Arbeitsplätze erhofft werden können. Deswegen sollte auch den Gegnern der NAFTA kein Baum gegeben, sondern die Integration Mexikos verstärkt fortgesetzt werden. Wird es der Regierung Salinas gelingen, die sozialen Spannungen unter solchen Umständen unter Kontrolle zu halten? Die wieder aufgeflammten Kämpfe der Chiapas zeigen, daß dies die entscheidende Frage für die Zukunft Mexikos sein wird. Militärisch wird sie wohl nicht gelöst werden können.

Insgesamt ist also zu sagen, daß zwar nicht die gleichen Fenler wie vor 1982 gemacht wurden, aber andere, nicht minder schwere, und nicht nur seitens der inländischen Wirtschaftspolitik, sondern auch von der internationalen Finanzwelt selbst. Leichtsinnige Verschuldenspolitik der mexikanischen Behörden, im Hoffen auf raschen Gewinn zu hohe Risikobereitschaft durch ausländischen Investoren, unterstützt durch Mängel der internationalen wirtschaftspolitischen Überwachung - das war die Mixtur, die den mexikanischen Tequila-Kater verursacht hat.

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