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Weiterwursteln aus Angst vor Bankrott

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1.000.000,000.000 Dollar ist die Schuldenlast der Dritten Welt. Längst sind die Zinsen dafür unbezahlbar geworden. Mit neuen Krediten zahlt man alte Schulden. Wie lange wird das noch gutgehen?

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1.000.000,000.000 Dollar ist die Schuldenlast der Dritten Welt. Längst sind die Zinsen dafür unbezahlbar geworden. Mit neuen Krediten zahlt man alte Schulden. Wie lange wird das noch gutgehen?

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Allein heuer müßte Peru für seine Schulden Zinsen in der Höhe von 75 Milliarden Schilling zahlen - und das bei Exporterlösen von nur 60 Milliarden! Alan Garcia, neuer Präsident des Landes, will daher nicht mehr den üblichen Weg der Umschuldungs-verhandlungen gehen. Der Bevölkerung Perus gehe es ohnedies schon schlecht genug. Weitere, verordnete Austerität sei unzumutbar bei rückläufigem ProKopf-Einkommen (derzeit auf dem Niveau von 1965), Arbeitslosigkeit von 60 und Inflationsraten von 200 Prozent.

Nicht nur in Peru wächst der Unmut der Schuldner, denn überall sind die Probleme ähnlich. Kürzlich rief Cubas Fidel Castro (siehe Kasten) zur Bildung eines Schuldnerkartells auf — vorerst noch erfolglos. Aber wie lange noch?

Bis Jahresende werden die Länder der Dritten Welt Schulden in der Gesamthöhe von 970 Milliarden Dollar haben. Das wäre an sich nicht so schlimm, könnten sie ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen. Dem ist aber nicht so. Immer mehr Länder bringen nicht einmal die fälligen Zinsen auf. Wie kam es zu dieser Misere?

Der Schuldenberg baute sich während der siebziger Jahre auf. 1971 etwa betrugen die Schulden Lateinamerikas 20 Milliarden Dollar (rd. fünf Prozent des heutigen Betrages). Die Ölkrise war es dann, die auch den Geldsektor in Bewegung brachte. Enorme Geldbeträge wurden auf die Konten der Erdölproduzenten gutgeschrieben. Mangels geeigneter wirtschaftlicher Infrastruktur konnten die Gelder in den OPEC-Ländern kaum produktiv investiert werden und verblieben als Dollarguthaben im Bankensektor.

Damals erlebte der Euro-Dollar-Markt seinen phänomenalen Aufschwung: Banken (zunächst vor allem amerikanische) gründeten Zweigniederlassungen im Ausland (zunächst in London, später in der Karibik, in Luxemburg, in Ostasien), gewannen dadurch Bewegungsspielraum und entzogen sich gleichzeitig der Aufsicht ihrer Notenbank.

Die Ökonomen feierten dies als große Leistung des Bankensystems: das „Recycling“ der Petro-Dollars, also die Rückführung der im Erdölgeschäft verdienten Gelder in den Wirtschaftskreislauf.

Wo aber sollten die Banken die Mittel anlegen? In den Industrieländern herrschten Krisenstimmung und Investitionsunlust. In einigen Entwicklungsländern aber — den „Schwellenländern“, die am Sprung zur Industrialisierung standen - schienen Investitionen erfolgversprechend, etwa in Brasilien, Mexiko oder Taiwan.

„In einem fyettbewerbsrausch ohnegleichen wurden nahezu alle Kriterien einer Kreditwürdigkeitsprüfung über Bord geworfen“, kennzeichnet Ernst Lösch-ner, stellvertretender Direktor der Kontrollbank und Autor einer Analyse der Verschuldungsproblematik, die damalige Situation. Vergessen waren die vielen Staatsbankrotte der Vergangenheit (siehe Kasten). Staaten galten als unsinkbare Schiffe. .

Schuld an der heutigen Misere sind allerdings auch noch andere Faktoren:

• Die Geldpolitik und die Budgetdefizite der USA trieben die Zinssätze Ende der siebziger Jahre in ungeahnte Höhen — sogar auf mehr als 20 Prozent. Da rund zwei Drittel der Kredite mit variablen Zinssätzen vereinbart waren, stiegen die Kosten enorm. Schätzungsweise 40 Prozent des Anstiegs der Verschuldung der Entwicklungsländer (E-Länder) zwischen 1979 und 1982 sind auf den Zinsanstieg zurückzuführen.

• Auch der Höhenflug des Dollars verteuerte den Schuldendienst, mußten doch für jeden Dollar mehr an Werten in Landeswährung aufgebracht werden.

• Zu allem Unglück fielen seit Beginn der achtziger Jahre die Rohstoffpreise, daher auch die Exporterlöse und damit die Zahlungsfähigkeit der E-Länder.

0 Nicht unerwähnt bleiben darf der wachsende Protektionismus der Industrieländer. Auf vielen Märkten wurden die Importe aus der Dritten Welt sehr erschwert.

Die wachsenden Probleme auf dem internationalen Kreditmarkt lassen sich aus der Umschul-dungsstatistik ablesen: Zwischen 1950 und 1975 gab es Umschuldungen von insgesamt 2,5 Milliarden

„Warum werfen aber Banken dem schlechten Geld gutes nach?“

Dollar, zwischen 1975 und 1980 wa-res es schon 12,2 Milliarden, und 1981 und 1982 kam es zu einem regelrechten Dammbruch: 48,7 Milliarden Dollar mußten umgeschuldet werden! „Bis zum Sommer 1982, als Mexiko sich außerstande sah, seinen Verpflichtungen nachzukommen, hatten die Banken nicht begriffen, was los war“, kennzeichnet Heinz Handler, Referent für Währungspolitik im Wirtschaftsforschungsinstitut, die damalige Konsternierung im Bankensektor.

Seither wird also am laufenden Band umgeschuldet. Was geschieht dabei eigentlich? Längere Rückzahlunsfristen sowie tilgungsfreie Zeiten werden vereinbart und neue Kredite zur Zahlung der fälligen Zinsen gewährt. Die Zinszahlung ist nämlich der springende Punkt: Solange die Zinsen für einen Kredit gezahlt werden, kann dieser auf der Aktivseite der Bankbilanz aufscheinen — auch wenn das Geld für die Zinsen vom Gläubiger kommt.

Warum werfen aber Banken dem schlechten Geld gutes nach? Damit die Länder eben nicht Bankrott erklären. Sobald dies nämlich geschähe, stünden den Forderungen der Einleger an die Bank keine eintreibbaren Forderungen der Bank an ihre Kreditnehmer mehr gegenüber. Aus Sorge um die Einlösbarkeit ihrer Guthaben würden die Einleger versuchen, ihr Geld abzuziehen. Bis zu einem gewissen Grad können Banken mit ihrem Eigenkapital solchen Forderungen nachkommen. Ist das Loch aber zu groß, reicht dieses Reservoir nicht aus. Einen Ausfall von Mexiko und Brasilien könnten die großen US-Banken nicht auffangen.

Bleibt also nur das Fortwursteln bis zum Krach? Oder werden die E-Länder ihre Schulden einmal zahlen können? „Im Grunde genommen geht es nicht um

Rückzahlung“, stellt Heinz Handler dazu fest, „es reicht, wenn die Kredite bedient, also Zinsen und fällige Tilgungen gezahlt werden.“ Schuldner, die solches leisten, haben bei Anlegern weiter Kredit. „Auch der Staat Österreich weitet ja seine Kredite immer aus. Netto zahlt er nie etwas zurück. Es gibt eben Gruppen, die gern sparen und anlegen wollen.“ Muß also nur durchgetaucht werden, bis die E-Länder wieder Zinsen aus eigener Kraft zahlen können?

Ernst Löschner sieht drei mögliche Entwicklungsvarianten: • Die „Ende-gut-alles-gut-Per-spektive“ setzt auf Zeitgewinn und Wachstum der Weltwirtschaft. Drei Prozent Wachstum in den Industrieländer würden ausreichend auf die Dritte Welt ausstrahlen, um dort die Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen, meinen Optimisten.

# Die „Alle-müssen-etwas-bei-tragen-Alternative“ rechnet mit Schwierigkeiten auf den Finanzmärkten. Einige Länder kämen trotz Umschuldung nicht zurecht. Um ein Ausufern solcher Probleme zu verhindern, müßten einzelne Rettungsaktionen, die die Gläubiger etwas kosten, stattfinden.

• Die „Stoppt-die-globale-Kri-se-Perspektive“ tritt ein, wenn mehrere Großschuldner umfallen. Dann müßten die Regierungen den Bankenkrach verhindern. Zur Kassa gebeten würde der Steuerzahler. „Es besteht dazu keine politische Alternative“, meint Löschner, hält dieses Szenario aber für unwahrscheinlich.

Mit der derzeitigen Methode der Umschuldungen wird der Offenbarungseid vertagt, an der Belastung der Schuldner aber nichts geändert. Weder werden günstigere Zinsen eingeräumt noch Abstriche von Forderungen ge-

,,'Mit der Methode der Um-schuldungen wird der Offenbarungseid vertagt...“ macht. Solange das funktioniert, verdienen die Geldgeber und die Banken prächtig.

„Eigentlich hat es mich gewundert, daß es bis jetzt so gut gelaufen ist. Das läßt sich eigentlich nur politisch erklären“, meint Handler. Sicher ist der Druck der USA wegen der hohen Beteiligung der US-Banken nicht unerheblich. Aber auch der führenden Schicht in den E-Ländern sagt man kein gesteigertes Interesse an einem Krach nach. Sie haben von der Mißwirtschaft der letzten Jahre profitiert, haben die geborgten Gelder vielfach für Konsum und nicht für produktive In^ vestitionen verwendet, und so manche Milliarde ist aus der Dritten Welt wieder auf private Konten in den Industrieländern zurückgeflossen. Da verordnet man lieber den ohnedies an Kummer gewöhnten Landsleuten, den Gürtel noch enger zu schnallen.

Bis jetzt haben aber die beim Umschulden vom Internationalen Währungsfonds verordneten Sparprogramme keinen Umschwung gebracht. Die Leistungsbilanzen der 16 größten Schuldner sind weiterhin passiv, wenn auch die Defizite von 55 Milliarden Dollar 1981 auf 12 Milliarden im Vorjahr gefallen sind. Und dabei war die weltwirtschaftliche Situation im Vorjahr rosiger als heuer. Wie lange aber werden sich die verelendeten Massen der Dritten Welt noch gefallen lassen, daß ihnen der Brotkorb immer höher gehängt wird?

Immerhin wurden allein 1983 und 1984 rund 105 Milliarden Dollar an Zinsen für mittel- und langfristige Kredite von den E-Ländern gezahlt. Auf Dauer werden sie nicht bereit sein, diesen Klotz am Bein mitzuschleifen. Daher werden wir an den Lasten mittragen müssen.

„Wenn ich mir erwarte, daß die E-Länder ihre Schulden bedienen, dann muß ich ihnen auch die Möglichkeit geben, ihre Leistungen zu verkaufen“, wendet sich Löschner gegen den Protektionismus im Westen. Auch die Rohstoffpreise werden erhöht werden müssen, um den Wert der Exporte aus E-Ländern zu steigern. Und schließlich wird auch „eine bestimmte Form des Forderungsverzichtes zu erwarten sein“, sieht Löschner voraus.

Diesen geordneten Weg würden wir mit steigender Konkurrenz (und daher höherer Arbeitslosigkeit), mit höheren Rohstoffpreisen und deutlich geringerem Zinsertrag bezahlen. Fortwursteln birgt die Gefahr eines Krachs in sich. Seine Folgen sind schwer vorherzusehen. Sicher ist nur, daß ihre Bewältigung uns mindestens ebenso teuer zu stehen käme.

Siehe dazu: SOUVERÄNE RISKEN UND INTERNATIONALE VERSCHULDUNG. Von Ernst Löschner. Manz, Wien 1983.

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