Exodus oder die FISKALE REUE

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Nicht nur Griechenland -uns allen droht das Schicksal der Staatspleite, meint Starökonom Tomás Sedlácek zur Krise in der Euro-Zone.

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Nicht nur Griechenland -uns allen droht das Schicksal der Staatspleite, meint Starökonom Tomás Sedlácek zur Krise in der Euro-Zone.

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Wer den Hang zu Zeitreisen hat, wird sich am Ausgang der U-Bahn von Athen an die Epoche der ersten episch erfassten Völkerwanderung erinnern. Exodus steht da in großen Lettern. Damit hat man bis vor wenigen Tagen noch eher das zweite Buch des Alten Testaments verbunden und den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten als die Schuldenkrise in Europa. Aber nun hat sich das geändert. Der Exodus ist nicht mehr der filmreife Teil einer Heilsbotschaft -sondern spielt als aktuelle Tragödie am Mittelmeer.

Griechenland, die Wiege unserer westlichen Zivilisation, scheint über kurz oder lang in Konkurs gehen zu müssen. Wir könnten hier nun auf die konkrete Krise eingehen, aber das macht die FURCHE ohnehin seit Wochen. Mir geht es im nachfolgenden eher um die symbolische Bedeutung dieser größten wirtschaftlichen Krise Europas: Denn die griechische Krankheit ist meines Erachtens keine griechische Krankheit, sondern eine Malaise der gesamten westlichen Zivilisation. Deshalb ist auch die Wahrnehmung der griechischen Krise seltsam.

Der hellenische Schrecken

Fast alle Staaten sind auf geradezu unheimliche Art verschuldet. Erstaunlicherweise vermag uns aber nur Griechenland zu erschrecken. Fast alle Politiker versprechen doch den Himmel auf Erden und bezahlen für diese Illusion auch mit dem Geld aller. Erstaunlicherweise wird es aber immer nur bei Griechenland offensichtlich (gemacht). Fast alle westlichen Regierungen geben seit Jahren und Jahrzehnten mehr aus, als sie haben und einnehmen. Erstaunlicherweise wird das aber nur am Beispiel Griechenland dargestellt. Und noch erstaunlicher daran ist, dass diese Darstellung ausgerechnet jene Politiker Europas übernehmen, die zu Hause genau das gleiche tun, was sie Griechenland vorwerfen.

Die durchschnittliche Gesamtverschuldung der Staaten der Europäischen Union liegt derzeit bei mehr als sechzig Prozent. Diese sechzig Prozent wiederum haben wir uns selbst vorgeschrieben, als Schulden-Plafond einzuhalten. Aber wir halten unsere Versprechen uns selbst gegenüber nicht. Und andere tun das ja auch nicht. In sehr regelmäßigen Abständen überreden sich etwa die Vereinigten Staaten selbst, ihre Schuldendecke nach oben zu schrauben. Ganz zu schweigen von Japan.

Wenn wir also unsere eigenen soliden und hochgelobten Standards einsetzen würden, überall würden die roten Alarmlichter blinken und Sirenen ertönen. Fragen Sie sich also lieber nicht, wem die Stunde schlägt, sonst würden sie schon in unmittelbarer Nähe die Glocken bimmeln hören. Griechenland ist uns, so gesehen, nur ein wenig voraus. Griechenland ist eine Fallstudie, eine Warnung für uns alle. Und eigentlich ist es nicht einmal eine Warnung sondern ein Omen -etwas, das relativ sicher eintreten wird.

Denn unser wirtschaftliches Voranschreiten wird weiter auf dem bereits ausgetretenen Pfad erfolgen, den wir schon vor Jahren eingeschlagen haben. Und dieser Pfad führt uns auf direktem Weg zu einem griechischen Schicksal. Weder unsere Budgets, noch unsere ökonomischen Existenzen sind ausgeglichen.

Geschäft und Reue

Ist es nicht interessant, dass in der deutschen Sprache wie im Bibelgriechisch das gleiche Wort für Schulden auch für die Sünde verwendet wird? Die wörtliche Übersetzung der entsprechenden Stelle im Vaterunser kann daher sowohl "vergib uns unsere Sünden" wie auch "vergib uns unsere Schuld(en)" bedeuten. Trotz dieser zweifachen Möglichkeit der Sinngebung ist der Sünden-und nicht der Schuldenerlass die zentrale Botschaft des Christentums geworden und damit eine der Säulen der westlichen Zivilisation.

Aber die Vermischung bleibt aufrecht. Denn wir beten um Vergebung der Schuld, können aber nur eine Vergebung der Sünden erlangen. Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Wirtschaftsdebatte wie eine Fortsetzung der theologischen Diskussion. Denn die theologischen Debatten über Schuld/Sünden in wirtschaftlicher Hinsicht drehen sich eigentlich um den gleichen Kern. Und dieser Kern ist Schuld im Sinne von Sünde.

Nun lehnt Griechenland -im Gegensatz zu Ländern wie Portugal -seine Buße für seine Geschäftsschulden ab. Buße, so meinen wir, bedeutet eine Änderung der Mentalität, weil sich mit der Abtragung der Schulden auch die schlecht balanciert Lebensweise ändern müsse. Diese Umkehr -die Anerkennung seiner eigenen Schuld -ist auch das grundlegende Prinzip der Vergebung.

Aber die aktuelle griechische Regierung - und vielleicht das gesamte griechische Volk -wollen keine Vergebung, zumindest nicht jene, die ihnen die Geldgeber anbieten. Das Paradoxe daran ist, dass, wenn die Griechen sich entscheiden würden, aus dem Euro auszutreten, diese erzwungene Änderung viel radikaler sein würde, als wenn sie sich dafür entschieden, das Rettungs-Programm fortzusetzen, oder das zumindest versuchten. Denn auf den Straßen von Athen sehen wir die direkten Auswirkungen der Verweigerung: Kein Geld für Renten, keine Löhne für Beamte und noch mehr Arme.

Die gescheiterte Regierung Samaras versuchte es auf dem herkömmlichen Weg der Tilgung/Vergebung. Sie begann, zumindest Teilerfolge zu sammeln, und 2014 sah eigentlich vielversprechend für Griechenland aus. Es sollte Wirtschaftswachstum, wenn auch auf sehr bescheidenem Niveau geben, die Arbeitslosenzahlen gingen erstmals seit 2011 wieder zurück.

Doch diese kleine Chance ist seither vergeben worden und nun haben wir einen Beinahe-Bankrott. Das Land ist unfähig, auch nur einen Bruchteil seiner Schulden zurückzuzahlen.

Vielleicht wäre es also das Klügste in der aktuellen Situation, Griechenland und seine glücklose Wirtschaft in eine Art Quarantäne zu nehmen. Wenn schon eine Staatspleite, dann nicht unbedingt mit dem Ausscheiden aus der Euro-Zone.

Denn in diesem Fall wären tatsächlich alle Schmerzen des griechischen Volkes vollkommen sinnlos gewesen, die Sense, wie es bei uns in Tschechien heißt, würde gegen den Stein mähen, und das bekäme keinem der Beteiligten gut. Es wäre eine Verschwendung, selbst wenn es richtig ist, dass in Griechenland Politiker seit Jahrzehnten überproportional Schulden gemacht haben.

Schulden als Sünde

Doch zurück zum Symbolhaften: Die Tatsache, dass die Schulden im biblischen Kontext ein Synonym für Sünde sind, gibt dem Ganzen eine neue Konnotation. Schon Hannah Arendt hat in ihrem Buch "Die Banalität des Bösen" beschrieben, dass dieses Böse weder die Form von Dämonen und Vampiren mit Reißzähnen hat, wie wir uns selbst immer vorstellen und einzureden versuchen. Das Böse ist eigentlich viel banaler. Es ist bürokratisch, technisch und - aus dieser Perspektive betrachtet -vermutlich auch wirtschaftlich.

Die Sünde der Schuld/Schulden gleicht diesem Begriff des Bösen. Sie ist banal. Am Anfang sieht es aus wie etwas Kleines, ein paar Prozent des BIP vielleicht, was eine Nation leicht bewältigen kann, ohne dabei unterzugehen. Die Schulden versorgen uns auch mit der Illusion, wir könnten uns durch sie mehr (Verbraucher)-Freiheit erkaufen. Aber das gilt eben nur für die Gegenwart. Die Schuld muss ja erst eine zukünftige Verbraucherfreiheit bezahlen. In diesem Sinne ist Geld Energie, die (dank Zinsen) reibungslos durch die Zeit reisen kann, um zu gegebener Zeit ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten, wenn keine Vorsorge getroffen wurde.

Was nun die Krise des Euro und Griechenlands betrifft, so wird das, was passieren könnte, nämlich der Grexit, einen echten Einschnitt in der Geschichte der EU bedeuten. Und es wird eine schlechte Nachricht werden, nicht nur für die Griechen, sondern für die Österreicher, die Tschechen, die Amerikaner und die Chinesen.

Denn meinem Dafürhalten nach liegt der wahre Grund für diesen Zusammenbruch nicht in der Wirtschaft. Er liegt auch nicht im Euro. Er liegt in der Art, wie in Europa Politik gemacht wird. Denn Politiker sind es, die Schuld mit Schulden verwechseln und gleichsetzen. Den Griechen wird nur dann vergeben werden, wenn sie für weitere Schulden (Kredite) ihre Freiheit übergeben.

Und um das noch einmal auf eine generelle Ebene zu heben: Regierungen können heute zwar nicht einfach Geld drucken, aber Schulden über ihre Finanzpolitik produzieren. Und das tun sie buchstäblich und bis zum beinahe Bankrott.

Eigentlich sollte also als Konsequenz aus den aktuellen Geschehnissen die Finanzpolitik von der Politik getrennt werden. Denn es sind die Ausgaben, welche die Politiker in Versuchung führen. Und es sind die Steuern, über die ihnen ihre Schulden allzu leicht vergeben werden.

| Der Autor ist unter anderem Mitglied des Beraterstabes des World Economic Forum |

Schulden und Sühne

Die Europäische Union befindet sich nach eigenem Empfinden derzeit in der größten Krise ihrer Geschichte. Griechenland steht kurz vor dem Ausscheiden aus dem Euro. Das politische Gefüge hat in der Krisenpolitik versagt. Zeit, sich die Ursache des Ungemachs einmal näher anzusehen. Über Schulden und ihren nahen Verwandten, die Sünde -und wie man beiden entkommt.

Redaktion: Oliver Tanzer

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