Strandbad - © Foto: picturedesk.com / Austrian Archives / Imagno (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Corona und Ferien: See, Strand und Schuldensumpf

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Corona hat die Schuldenunion verfestigt. Solidarität mit Italien ist keine freiwillige Leistung. Sie ist Pflicht zum Selbstschutz.

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Corona hat die Schuldenunion verfestigt. Solidarität mit Italien ist keine freiwillige Leistung. Sie ist Pflicht zum Selbstschutz.

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Man kann das Drama um die Schulden Europas anhand eines derzeit höchst beliebten Schlachtrufs der österreichischen Wirte und Hoteliers zusammenfassen: „Wozu brauchen wir a Meer? Mir brauch ma ka Meer.“ Es geht Rufenden dabei nicht direkt um ihr persönliches Badevergnügen, sondern um jene Milliarden, die durch die Gäste an Öster­reichs Seen sonstigen Touristenzielen in die von Corona geschädigten Registrierkassen gespült werden. Heuer sollen die Ausfälle zumindest teilweise durch heimische Gäste ersetzt werden. Als exemplarischer Helfer in dieser Sache kann die Sonntagsausgabe der Kronen Zeitung gelten, die zu guten 50 Prozent aus Werbung für den Urlaub im Land bestand, appetitlich angerichtet mit den schönsten Bildern von hie und da. Eingeleitet wurde das rotweißrote Ensemble aber mit einem Bild von einem leeren Strand am Mittelmeer, der mittels Holzpfählen und Schnüren in ­coronaabstandsgerechte Segmente unterteilt war. Die Krone fragte im Bildtext rhetorisch dazu: „Sieht so unser Urlaub aus? Absperrungen statt endloser Weite?“

Wer würde dazu wohl Ja sagen, angesichts der üppigen Schönheit von Dirndl, Schweinsbraten und Tretboot am kühlen See? Das ist ein schöner Plan für ein tatsächlich schönes Land, das dieser Tage in Fernsehen und Zeitungen flächendeckend als Urlaubsziel angepriesen wird. Und das bringt die eigentliche Rechnung auf den Punkt: Wir retten unseren Fremdenverkehr, indem wir den ausländischen Fremdenverkehr nicht retten. Doch genau hier wird die an und für sich so einfache Sache, etwas Gutes für die eigenen Leut zu tun, ökonomisch kompliziert.

Strandstaaten im Schuldensumpf

Denn um die Strand-Staaten, also vor allem Italien, aus dem Schuldensumpf zu ziehen, von dem es gerade verschluckt zu werden droht, braucht es die Hilfe der übrigen Mitglieder der Eurozone. Je mehr man nun also die Gäste im Inland zu halten versucht aus durchaus nachvollziehbaren Motiven, desto weniger wird es Italien möglich sein, sich selbst zu retten. Ganze Regionen, wie Venetien und die Emilia-Romagna, aber auch Ligurien und die Inseln werden unter Milliardenverlusten zu leiden haben, die letztlich auf einen Einbruch der Steuereinnahmen in Rom hinauslaufen – und damit auf noch höhere Staatsschulden.

Dies ist also nichts anderes als ein für regionale und nationale Augen unsichtbarer ökonomischer Teufelskreis zulasten der Eurozone. So locker die Schuld- und Schuldenzuschreibung gegen die Südeuropäer derzeit also in die Mikrofone fließen mag. Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass Italien Teil einer europäischen Gemeinschaft ist, die genauso stark ist wie ihr schwächstes Glied. Wenn man diesem schwächsten Glied etwa durch etwas verzögerte Reisefreigaben die Möglichkeit nimmt, sich selbst zu helfen, wird der Rest der Zone auf der anderen Seite mehr helfen müssen. Und tatsächlich ist es, wie der famose Bankdirektor Bernhard Spalt von der Erste Bank in der Frankfurter Allgemeinen sagte, „wurscht“, ob das in Form von Krediten oder nicht rückzahlbaren Darlehen erfolgt.

So zeigt sich letztlich, dass derzeit zwar jedem Staat sein Hemd näher sein mag als der europäische Rock. Dass aber das Hemd unmittelbar zu jenem Zeitpunkt zerrissen wird, zu dem der europäische Rock sich auflöst.

Kredite, die den europäischen Geldgebern im Fall Griechenlands wenigstens noch Zinsen in die Tasche spielten, müssen letztlich als Schulden irgendwo verzeichnet werden, und die Höhe dieser Gesamtschulden – im Fall Italiens sind es über 130 Prozent des BIP – dient auf den Finanzmärk­ten als Gradmesser für die Anfälligkeit des Landes. Dieser Umstand führt wieder dazu, dass italienische Anleihen mit Spekulationsoffensiven zu rechnen haben, die den Schuldendienst unfinanzierbar machen – was wiederum vom Rest Europas bezahlt werden müsste, um den Euro als Gesamtes zu retten.

In der Logik der Dinge schließt sich an dieses Problem die Diskussion an, ob denn der Euro ein Fehlkonstrukt sei und was zu tun sei, um die Belastung weg von den Nettozahlern zu bringen. Etwa durch Einführung eines Südeuro, einer Weichwährung, die in einem gewissen Rahmen abgewertet werden kann, um damit Staatsschulden hinwegzuinflationieren. Aber solche Umgestaltungen erfordern ruhige wirtschaftliche Zeiten. Wird ein solches Vorhaben in einer Krise in Angriff genommen, verursacht es einen solchen Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten, dass sich der Euro als Ganzes zur Disposition stellt.

So zeigt sich letztlich, dass derzeit zwar jedem Staat sein Hemd näher sein mag als der europäische Rock. Dass aber das Hemd unmittelbar zu jenem Zeitpunkt zerrissen wird, zu dem der europäische Rock sich auflöst. Wer darüber etwas Trost sucht, findet ihn nicht unbedingt am Wolfgangsee, sondern in der trockenen Euro-Schuldenstatistik. Dort zeigt sich, dass die Österreicher selbst gar nicht schlecht verschuldet sind. 33.800 Euro pro Bürger. Das ist viel schlechter als Griechenland mit 29.000 und Spanien mit 23.000 Euro und annähernd so schlecht wie Italien mit 35.000 Euro. Es gibt also zumindest zur Nettoerhabenheit nicht gar so viel Grund, als man meinen möchte, wenn man den Rittern der Sparsamkeit so zuhört. Denn im Schuldenmeer dümpeln irgendwie doch alle – und diese unfreiwillige Gemeinschaft der Schulden wird immer fester, je brüchiger der Euro wird.

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