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Alles wird teurer!

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Die Spareinlagen werden derzeit im allgemeinen mit 3,5% verzinst. Anderseits kann man annehmen, daß die Kosten der Lebenshaltung je Jahr fast um 3% steigen. Inr direkt proportional zu diesem Steigen der Lebenshaltungskosten verringert sich die Kaufkraft des Schillings. In anderen Ländern vollzieht sich die Verringerung des Geldwertes noch stärker. Das kann uns aber nur ein schwacher Trost sein. Der Sparer erhält jedenfalls nach einem Jahr für eingelegte 100 S, in Kaufkraft gemessen, nur 100,50 S zurück.

Auf der anderen Seite werden die Schuldner der Geldinstitute verhalten, die genommenen Kredite lediglich nominell zurückzuzahlen. Wer zu Jahresbeginn einen Betrag von 100 S leiht, zahlt zum Jahresende — wieder in Kaufkraft gemessen — nur etwa 97 S zurück. Gute Schillinge werden genommen und weniger gute zurückgezahlt.

Die Nutznießer des Prozesses der säkularen Inflation (der langsamen, aber unaufhaltsamen Reduktion des Geldwertes) sind also jene Personen und Institutionen, welche kreditwürdig sind. Kreditwürdigkeit bedeutet, wie-immer in Zeiten sinkenden Geldwertes, nicht nur eine Chance auf Kreditinanspruchnahme, sondern auch auf Anteil an Abwertungsgewinnen.

Freilich ist damit noch nicht gesagt, daß es nun besser ist, das Geld daheim in den Strumpf zu geben. Der Strumpfsparer hat nach einem Jahr nicht 100 S, sondern nur noch 97 S an Kaufkraft.

Wer die Geldverschlechterung herbeiführen hilft, durch Preiserhöhung oder nur durch Verbreitung von Gerüchten („alles wird teurer“), sollte bedenken: Jede Aktion, die zu einer Verringerung des Geldwertes beiträgt, ist gleichbedeutend mit einer zwangsweisen Abhebung auf den Konten der Sparer und einer kostenlosen Zubuchung (einer Habenbuchung) auf den Konten der (großen) Kreditnehmer.

Die Akkumulation von Kapital ist nicht allein, wie das oft dargestellt wird, das Ergebnis der „Ausbeutung“ der Arbeiter, sondern in einem nicht unerheblichen Umfang auf die Reduktion der Kaufkraft des Geldes zurückzuführen. Der kleine Mann — als Sparer — trägt dazu bei, daß der Große noch größer wird. Mit Recht und Besorgnis weisen heute angesehene Wirtschaftszeitungen darauf hin, daß die Reduktion der Kaufkraft des Schillings, die geradezu vorhersehbar geworden ist, sich auch auf das „A n 1 e i h e k 1 i m a“ auswirken muß. Wer sein Geld auf lange Frist in Form von Schuldverschreibungen anlegt, rechnet bei Zeichnung der Anleihe nicht allein mit den Zinsen, sondern auch mit einer substanzgesicherten Tilgung. Wem gewiß ist, daß er nach zehn Jahren für einen Zeichnungsbetrag von 100 S nur 65 S zurückerhält, findet auch in hohen Zinsen keine Attraktion für eine Anleihezeichnung.

Die Flucht in substanzgesicherte Papiere, wie Aktien, ist nicht leicht, da das Anbot an selchen Papieren außerordentlich gering ist. Es wäre übrigens interessant, zu erfahren, wer eigentlich die Personen sind, die sich schließlich etwa in den Besitz von Zertifikaten der Investitionsfonds zu setzen wissen, ob die Zuteilung tatsächlich „gestreut“ war oder ob die „Beziehungskäufe“ einen erheblichen Teil der Zuteilung ausmachten.

Die Weltmarktpreise, die in den meisten Waren eine Tendenz nach unten zeigen, die Verringerung der Absatzmöglichkeit von Gütern auf den Weltmärkten als Folge überhöhter Preise (die wieder gestiegene Selbstkosten reflektieren), bilden eine natürliche Bremse für das Absinken des Geldwertes. Der Prozeß einer Stabilisierung des Geldes über Absatzverringerung und Zahlungsbilanzdefiziten ist aber mit Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Rückbildung verbunden, und vor allem mit einer Gefährdung der politischen Ordnung. Das sollten die Preis- und Lohnsteigerer überlegen! . *

In den letzten Jahren wird viel und oft unüberlegt gegen die Koalition geschrieben. Man fordert auf „Parteitagen der Treue“ ihre Liquidation und erhebt diese Forderung mit um so mehr Nachdruck, als man ohnedies weiß, daß es kaum zur Auflösung der Zusammenarbeit der beiden Sozialpartner kommen wird. Niemand wird und darf die Auswüchse übersehen, die in einem System der Rationierung der politischen Macht bis hinunter in die kleinsten Führungsgremien der öffentlichen und halböffentlichen Verwaltung liegt. Wer sich aber noch den kühlen Blick für die Realitäten gewahrt hat und seine Meinung nicht von Boulevardpresse und „Komikern“ bestimmen läßt, muß sich vor Augen halten, daß die positiven Wirkungen des Bestehens der Koalition die negativen weit überwiegen.

Auf höchster Ebene haben der Kanzler und der tatsächliche Führer der österreichischen Sozialisten (der Präsident des ÖGB) eine Vereinbarung getroffen, deren- Wirkung wir bereits zu spüren bekommen: Die Hysteriker auf beiden Seiten, die Preis- und Lohnlizitierer, haben nicht mehr die Oberhand. Sicher vermag das R a a b-Olah-Abkommen niemanden so recht zu freuen, weil es nur den Charakter eines Kompromisses hat. Nun ist aber nicht jedes Kompromiß ein faules. Es gibt auch schöpfe* rische Kompromisse, die den Tatbestand, daß es keine Besiegten und keine Nur-Sieger geben dürfe, widerspiegeln. Erinnern wir uns doch, daß die Stabilisierung der Währung nach 1945 ebenfalls mit einem Kompromiß begonnen hat, mit einem Stillhaltungsabkommen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. Wir erkennen neuerlich, wie notwendig es ist, daß beide Sozialpartner starke Organisationen haben, so stark, daß sie die Angehörigen jener Gruppe, die sie vertreten, auch binden können.

Wir dürfen nicht übersehen, daß gert.de in der Zeit der Anpassung Österreichs an die weltweiten wirtschaftsorganisatorischen Umstellungen die Stabilität des Schillings an den Bestand und an das Funktionieren der Koalition gebunden ist. Das sollten jene bedenken, die bei Gelegenheit und ohne viel Überlegung den politischen Alleingang fordern. Keine der beiden Parteien in Österreich hat heute die Kraft und das Können, um allein mit Erfolg zu regieren.

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