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„Stets endet es schlimm...“

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Die Schwierigkeiten eines Kaufkraftvergleiches über längere Perioden sind wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Art. Wenn wir bedenken, daß der Wert konsistenter statistischer Reihen in Europa erst in den späten zwanziger Jahren erkannt wurde, zum damaligen Zeitpunkt die Massenproduktion von Konsumgütern in Europa erst anzulaufen begann und die Kon-. sumgewohnheiten ' einem grundlegenden Wandel unterworfen waren, dann erscheint das Unterfangen wenig erfolgversprechend, einen Kaufkraftvergleich an Hand nicht homogener Indexreihen über ein halbes Jahrhundert hinweg anzustellen.

Im Falle Österreichs ist weiter zu bedenken, daß die Schilling-Währung nach dem 17. März 1938 in Österreich mit der Reichsmark-Währung parallel lief und vom 25. April 1938 an den von der Oesterreichischen Nationalbank ausgegebenen Noten ihre Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel abgesprochen wurde. Wohl erlangte der Schilling am 21. Dezember 1945 wieder seine frühere Stellung als Zahlungsmittel, doch war die Basis des Umtausches 1:1 nicht die gleiche wie 1938; damals erfolgte die Umrechnung in einer den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen keineswegs entsprechenden Relation 1 Reichsmark = 1,50 Schilling. Der Versuch, einen Kaufkraftvergleich durch Indexverkettung anzustellen, bezweckt daher lediglich, die Vorstellung einer annähernden Größenordnung zu vermitteln und eine Grundlage für währungspolitische Überlegungen zu geben.

Für. die Kaufkraftmessung bildet der Kleinhandelspreisindex, der die Preisentwicklung 1914—1949 registriert, eine brauchbare Grundlage.

Er geht vom Verhältnis 1 Goldkrone = 14.400 Papierkronen = 1,44 Alt-Schilling aus, wobei sich folgende Relationen ergeben:

25 Jahre nach der Einführung der Schillingwährung hatte also der Alt-Schilling von 1924 mehr als drei Viertel seines Wertes eingebüßt.

Der auf Basis April 1938 = 100 berechnete Lebenshaltungskosten-Index weist nach mehrmaliger Verkettung mit den zwischenzeitlich aufgestellten Indices für 1972 eine Meßzahl von 1217,3 auf. Unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Erhöhung der Verbraucherpreise im Jahre 1973 (7,6 Prozent) errechnet sich für 1973 ein Wert von 1311,8. Diese Zahl stellt das 3,19fache des Jahresdurchschnittes von 1949 dar, der mit 411,5 in der gleichen Indexreihe ausgewiesen wird.

Multipliziert man den Quotienten von 3,19 mit dem oben ausgewiesenen Wert von 882 für 1949, so ergibt sich, daß S 100,— des Jahres 1924 kaufkraftmäßig S 2813,58 des Jahres

1973 entsprachen. Für Jahresmitte

1974 dürfte sich bei Annahme einer fünfprozentigen Erhöhung der Verbraucherpreise im Halbjahr eine Indexzahl von 2954 errechnen. Man kann somit sagen, daß ein Schilling

des Jahres 1924 heute nur noch Via seiner Kaufkraft besitzt.

Diese Rechnung hat trotz aller Einwände statistischer, ökonomischer

und dialektischer Art eine währungspolitische Problematik. Das Nationalbankgesetz 1955 macht es in 2, Abs. 3 der Notenbank zur Pflicht, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß der Wert des österreichischen Geldes in seiner Kaufkraft im Inland sowie in seinem Verhältnis zu den wertbeständigen Währungen des Auslandes erhalten bleibe. Die alten Satzungen aus dem Jahr 1923 sprachen im Artikel 1, Abs. 2 lediglich vom Außenwert der Währung, und das nur in bezug auf die metallische Einlösung. In den 19 Jahren seit Inkrafttreten des Nationalbankgesetzes hat sich — am Stand der Lebenshaltungskosten gemessen — die Kaufkraft des Schilling um etwa 50 Prozent verringert.* Für die Notenbank erhebt sich die Frage, wie sie diesem gesetzlichen Auftrag bei gleichzeitiger Bedacht-nahme auf die Regierungspolitik gemäß 4 des Nationalbankgesetzes gerecht werden soll; in bezug auf diesen Paragraphen hat sie jedenfalls ihr Plansoll übererfüllt. Eine Verteidigung der Kaufkraft der

Währung mit allen Mitteln würde allerdings nicht nur einen Verzicht auf Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum bedingen, was in der gegenwärtigen Phase der Konjunktur zwar vertretbar und durchführbar erscheint, dem politischen Image der im Amt befindlichen Regierungspartei jedoch nicht sehr förderlich wäre. Das Mittel der wechselkurspolitischen Experimente —' in den Statuten des IMF verpönt — kann nicht ad inflnitum strapaziert werden, schon gar nicht im Alleingang unter Verzicht auf das Ziel eines Zahlungsbilanzausgleiches. Eine Preisstabilität, wie sie 1924 bis 1938 herrschte, wobei in den dreißiger Jahren auf der ganzen Welt für ein Heer von Arbeitslosen weniger die Kaufkraft als das Einkommen von Bedeutung war, ist mit den anderen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen unvereinbar.

Einen schwachen Trost mag die Tatsache bilden, daß es in anderen Ländern um die Kaufkraft nicht besser bestellt ist. Wenn somit ein eigentlich freudiger Anlaß eines fünfzigjährigen Geburtstages im

Hinblick auf den Kaufkraftverlust schmerzlich stimmt, dann vor allem deswegen, weil die Prognosen noch zu viel mehr Pessimismus Anlaß geben. Aber das hat bereits Rene Sedil-lot im Vorwort seines zur Standardliteratur für das Währungswesen gehörenden Buches „Toutes les mon-naies du monde“ gesagt. Dort stellt er lapidar fest: „Pour les monnaies ca flnit toujours mal.“ Gegenüber diesem nüchternen, empirisch gewonnenen Realismus versagt eine noch so gute, auf politische Mentalreservation ausgerichtete Propaganda in Währungsbelangen.

* Ein Preisanstieg von rund 3,5 Prozent pro Jahr als Durchschnitt von nahezu zwei Jahrzehnten ist mehr, als widerspruchslos hingenommen werden kann. Bereits 1964 hat der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen in seiner Untersuchung über die Preis- und Einkommensentwicklung festgestellt, daß „jede Teuerungsrate, die über den langjährigen Durchschnitt von etwa 2 Prozent hinausgeht, als recht bedenklich gewertet werden muß“.

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