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Abschied vom Gold ?

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Drei große W kennzeichnen das wirtschaftliche Geschehen der sechziger Jahre: Wachstum, Wohlstand und Währung. Während sich sowohl der Wohlstand als auch das Wachstum im großen und ganzen zur allseitigen Zufriedenheit entwickelten, folgten die Krisen des Währungssystems Schlag auf Schlag. Keine einzige Währung bewahrte ihren Wert. Zwar vermochten sich einige Länder der Verschlechterung des Wechselkurses durch Abwertungen zu entziehen. Viel wichtiger für den einzelnen ist jedoch die Erhaltung des Binnenwertes, der Kaufkraft einer Währung. Die Inflation machte einen nicht unerheblichen Anteil des wachsenden Wohlstandes wieder zunichte. Kein Wunder, daß sich die Bestrebungen in aller Welt, die geltende Währungsordnung durch eine bessere zu ersetzen, immer mehr durchsetzten.

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Drei große W kennzeichnen das wirtschaftliche Geschehen der sechziger Jahre: Wachstum, Wohlstand und Währung. Während sich sowohl der Wohlstand als auch das Wachstum im großen und ganzen zur allseitigen Zufriedenheit entwickelten, folgten die Krisen des Währungssystems Schlag auf Schlag. Keine einzige Währung bewahrte ihren Wert. Zwar vermochten sich einige Länder der Verschlechterung des Wechselkurses durch Abwertungen zu entziehen. Viel wichtiger für den einzelnen ist jedoch die Erhaltung des Binnenwertes, der Kaufkraft einer Währung. Die Inflation machte einen nicht unerheblichen Anteil des wachsenden Wohlstandes wieder zunichte. Kein Wunder, daß sich die Bestrebungen in aller Welt, die geltende Währungsordnung durch eine bessere zu ersetzen, immer mehr durchsetzten.

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Das siebente Jahrzehnt hat in der internationalen Wirtschaftspolitik der Menschheit einen Kampf gegen die fortlaufende Schmälerung des Geldwertes und um die Balance unter den verschiedenen Volkswirtschaften beschert, wie er in dieser Intensität bis dahin unbekannt gewesen war. Diese Herausforderung brachte aber auch Entwicklungen in Gang, die zu Beginn dieses Jahrzehnts als Utopien bezeichnet worden wären, nun aber in eine Dekade hinüberwirken werden, von der man den endgültigen Sieg des menschlichen Genius über die Unzulänglichkeiten und Krisen unseres Wirtschaftssystems erhofft. Eine dieser Entwicklungen ist die Entstehung eines sehr feinen Netzes der Kooperation zwischen den wichtigsten Notenbanken. Die im Internationalen Währungsfonds, vor genau 25 Jahren ins Leben gerufen, vorgegebenen Möglichkeiten sind in einer geradezu atemberaubenden Weise derart erweitert und verfeinert worden, daß die „internationale Währungsfeuerwehr“ heute überall auftauchen kann, wo monetäre Brände zu löschen sind. Krisen der einen oder anderen Währung, von den wichtigsten besonders häufig im Falle des Pfund Sterling und des Dollars, werden — dem technischen Fortschritt in der Eroberung des Mondes vergleichbar — heute schon fast routinemäßig auf dem Wege sogenannter Swaps oder internationaler Beistandskredite erledigt. Der Zusammenbruch einer Währung, wie vor vierzig Jahren etwa der Mark in Deutschland, ist somit schlechterdings undenkbar geworden.

*

Diese Feuerwehr hat jedoch — das wird auch an der Schwelle zum achten Jahrzehnt da und dort noch verkannt — nicht die Aufgabe, Mauern zu stützen, die ohnehin einstürzen wollen. Sie soll nur kurzfristige Krisen überbrücken, nicht strukturelle verewigen. Was diese Deformation in der Struktur des Weltwährungssystems angeht, so stehen wir heute mittendrin in der Suche nach dem Stein der Weisen. Nachdem es sich in den letzten zwei Jahren politisch, prestigemäßig und auch sonst noch als so unendlich schwierig erwiesen hat, die einzig vernünftige Konsequenz einer Paritätsänderung zu ziehen, wird ein Versuch die währungspolitische Diskussion des kommenden Jahrzehnts einleiten: der Versuch, die starre Struktur der Wechselkurse in der Richtung einer begrenzten Beweglichkeit ein wenig aufzuweichen.

Konkreter sind schon die als Therapie gegen internationale Liquiditätsengpässe gedachten sogenannten Sonderziehungsrechte geworden, eine Art internationalen Buchgeldes, dessen erste Tranche in Höhe von dreieinhalb Milliarden Dollars mit der ersten Minute des neuen Jahrzehnts in Kraft treten wird. Und noch aktueller schickt sich zum Abgesang der sechziger Jahre jenes Medium zum Abschiednehmen an, um das in der zweiten Hälfte des zu Ende gehenden Jahrzehnts die heißesten Diskussionen entbrannt waren: Das Gold ist auf seinem ständigen, wenn auch nicht linearen Abstieg vom einzigen Rückgrat einer Währung über seine Rolle als eines von mehreren Reservemedien nun im Begriff, als währungspolitisch bedeutsame Komponente weit in den Hintergrund zu treten. Es ist gut möglich, daß beim nächsten Wechsel der Jahrzehnte die Sonderziehungs-

rechte als Bestandteil der Weltwährungsreserven quantitativ die jetzt auf ungefähr 40 Milliarden Dollars zu beziffernden Goldvorräte der Notenbanken bereits überflügelt haben werden — ob man dies für glücklich halten mag oder nicht, ob die besonders im amerikanischen Lager aktiven „Golddemonetisierer“ sich besonders anstrengen werden oder nicht. Den Titel eines „Eckpfeilers“ im internationalen Währungssystem trägt das Gold bald nur noch ehrenhalber.

Kein Regisseur hätte es besser arrangieren können, daß dieser Trend ausgerechnet zum Übergang vom alten Jahrzehnt in das neue mit aller wünschbaren Deutlichkeit hervortritt. Seit der im November 1967 ausgebrochene „Goldrausch“, den die Hoffnung auf eine offizielle Erhöhung des seit 1934 unverändert

gebliebenen Goldpreises von 35 Dollar je Feinunze nährte, gleichbedeutend mit einer entsprechenden Abwertung des Dollars als Quittung für das ständige außenwirtschaftliche Defizit der Vereinigten Staaten — seit dieser „Goldrausch“ im März 1968 eine Spaltung des Goldmarktes in einen offiziellen, ausschließlich den Notenbanken vorbehaltenen, nach wie vor mit einem Unzenpreis von 35 Dollar rechnenden Teil und einen freien Teil provozierte, pendelte der freie Marktpreis für Gold immer deutlich oberhalb des offiziellen Niveaus. Als spekulative Erwägungen im März 1969 diesen Preis bis auf 44 Dollar emporgetrieben hatten, rieben sich jene (auch und gerade in der Schweiz anzutreffenden) Lobbyisten schon die Hände, die den Goldpreis bald bei 50 Dollar und sogar bei der doppelten Höhe

des offiziellen Preises, bei 70 Dollar, sahen. Das Erwachen seither war fürchterlich. In dem Maße, wie — besonders seit Anfang November — der freie Goldpreis allmählich, aber in unheimlicher Stetigkeit auf das offizielle Niveau herunterkam, wurden die Gesichter immer länger. Und der 9. Dezember, jener Tag, an dem die freie Notierung das erste (und bisher einzige) Mal unter 35 Dollar abrutschte, ohne daß die Notenbanken Anstalten zu Stützungsaktionen getroffen hätten, wird noch lange im Gedächtnis haften. Denn dieser Tag hat die Frage nach dem künftigen Schicksal des Goldes so konkret wie noch nie aufgeworfen — und zum Teil schon beantwortet. *

Nun beginnt man jenen Analytikern verstärkt Glauben zu schenken, die den Argumenten der Lobby mit der

Feststellung widersprechen, der nichtmonetäre Goldbedarf sei noch auf längere Zeit hinaus nicht in der Lage, die laufende Goldgewinnung, also das Angebot am freien Markt, zu absorbieren. Dies aber wäre für einen nennenswerten Wiederanstieg des freien Goldpreises von großer Wichtigkeit, denn seit dem gleichlang wie die Goldmarktspaltung zurückliegenden Washingtoner Beschluß ist die Neuproduktion * aus dem Kreislauf unter den Notenbanken ausgeschlossen und ist das Gold damit in die Nähe anderer, ganz gewöhnlicher Rohstoffe gedrängt worden, die nicht eine so glänzende Vergangenheit vorzuweisen haben wie das gelbe Metall. Daß man sich daran gewöhnen sollte, vermehrt den bisher unterschätzten Warencharakter des Goldes zu beachten, ist um so eher geraten, als sich die Notenbanken von der jüngsten Preisentwicklung offensichtlich nicht aus der Ruhe bringen und sich durchaus nicht drängen lassen, auf ihren Boykottbeschluß gegen neugewonnenes Gold aus Südafrika, der Sowjetunion, Kanada oder sonst-woher zurückzukommen.

In der Tat ist nicht einzusehen, warum man mit dem schon 1934 fiktiven Buchwert von 35 Dollar, den die Notenbanken während der Preisexzesse am freien Markt unverändert beibehielten, nicht auch bei einem freien Preis unterhalb dieser Marge sollte operieren können — auch wenn zuzugeben ist, daß dem Beschluß von Washington nichts anderes als die Idee eines höheren freien Preises zugrunde lag. Seit in diesen Tagen der währungspolitische Ausschuß des US-Kongresses das amerikanische Schatzamt einstimmig davor gewarnt hat, in der Frage einer Übernahmegarantie bei 35 Dollar gegenüber Südafrika nunmehr nachgiebiger zu werden, ist noch ungewisser, ob dem Gold selbst dieses denkbare, höchst bescheidene Comeback in die währungspolitische Arena noch gelingen wird. Wenn-das Gold am freien Markt in nächster Zeit wieder teurer werden sollte, dann sicher nicht aus monetären Gründen, sondern zum Beispiel deshalb, weil das — ebenfalls zu einem Kennzeichen des ausgehenden Jahrzehnts gewordene — exorbitant hohe internationale Zinsniveau sinken könnte, Alternativanlagen weniger attraktiv machen und manch einem die Rückkehr zum zinslosen Gold erleichtern würde.

So wie im Alltag die Münzen und Scheine immer mehr vom bargeldlosen Verkehr verdrängt werden, so ist auch die hohe Zeit des Goldes als Währungsmetall zugunsten modernerer Medien internationaler Liquidität grundsätzlich abgelaufen — ob zugunsten des in diesem Jahrzehnt so häufig geschmähten, hart am Rande der Disqualifikation lavierenden, neuerdings aber wieder bemerkenswert geachteten Dollars, steht noch dahin. Zwar läßt sich nicht übersehen, daß die amerikanische Währung gegen Ende dieses Jahrzehnts faute de mieux dank des Aufkommens der Euromärkte ihre internationale Stellung deutlich verstärkt hat. Die Tatsache aber, daß die USA das siebente Jahrzehnt mit einem nie auch nur annähernd vorgekommenen Rekorddefizit der Zahlungsbilanz von annähernd 10 Milliarden Dollar werden abschließen müssen, beleuchtet die Anfälligkeit des Dollars auch auf seinem Wege in die siebziger Jahre mit einem grellen Licht.

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